Er wollte seine Familie aus Mariupol evakuieren und wurde als Geisel genommen

Er wollte seine Familie aus Mariupol evakuieren und wurde als Geisel genommen

Ukrinform Nachrichten
Journalisten in Wien und Delegationen bei der OSZE wurden über die Geiselnahme ukrainischer Zivilisten durch russische Soldaten informiert

Eines der am weitesten verbreiteten Verbrechen der russischen Besatzungsarmee in der Ukraine ist die willkürliche Festnahme und Geiselnahme von Zivilisten. Nach internationalem Recht stellen solche Handlungen zumindest ein Kriegsverbrechen dar. Angesichts des Ausmaßes und des systematischen Charakters der Deportation von Ukrainern in spezielle Haftanstalten könnte es sich dabei auch um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln, was ein noch schwereres internationales Verbrechen darstellt.

Besonders verbreitet war dies im Südosten der Ukraine sowie in den Oblasten Kyjiw, Tschernihiw, Sumy und Charkiw, die in den ersten Wochen der umfassenden Invasion besetzt wurden. Zivilisten wurden willkürlich und unbegründet festgenommen, oft sogar ohne eine Erklärung zu erhalten: an Kontrollpunkten, auf der Straße, an „Filtrationspunkten“ oder einfach in ihren eigenen Wohnungen. Einige wurden später nach Verhören und Schlägen freigelassen, die meisten wurden jedoch in das Territorium der Russischen Föderation gebracht. Wie zum Beispiel unser Kollege, der UNIAN-Korrespondent Dmytro Chyljuk, der zusammen mit seinem Vater auf der Straße in seinem Heimatort Kosarowytschi in der Oblast Kyjiw von den Besatzern gefangen genommen wurde. Der 75-jährige Mann hatte Glück und wurde freigelassen, aber sein Sohn, ein Journalist, befindet sich immer noch in Gefangenschaft, in einer unbekannten Haftanstalt irgendwo in der Russischen Föderation.

Die Zahl der von den Invasoren gefangen genommenen Zivilisten ist derzeit nicht bekannt, da Russland keine Informationen über die festgehaltenen Zivilisten gibt. Das ukrainische Team die Medieninitiative für Menschenrechte (MIMR) untersucht die russischen Kriegsverbrechen, einschließlich des gewaltsamen Verschwindenlassens von Personen. Also, bis Anfang April 2023 ermittelte die MIMR 948 zivile Geiseln, die in Russland und den besetzten Gebieten festgehalten werden. Wie die Initiative betont, „könnte die tatsächliche Zahl jedoch 5–7 Mal höher sein.“

Auf der Grundlage von Appellen von Angehörigen schätzt der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinets, die Zahl der vom russischen Militär inhaftierten Angehörigen und Freunde auf rund 20.000 Personen. Und nach der Befreiung der besetzten Gebiete könnte die Zahl sogar noch höher liegen, sage er voraus.

Quelle: mipl.org.ua
Quelle: mipl.org.ua

Zivile Geiseln werden in den besetzten Gebieten der Ukraine und in der Russischen Föderation festgehalten und oft transportiert, auch tief in die Russische Föderation hinein. Die MIMR hat auch Fälle dokumentiert, in denen Menschen in Belarus festgehalten wurden, in einem Filtrationslager in der Stadt Narowlja, nahe der ukrainischen Grenze. Dank Zeugenaussagen ehemaliger Gefangener hat die MIMR eine interaktive Karte der Orte erstellt, an denen die Russische Föderation zivile Geiseln und Kriegsgefangene festgehalten hat oder noch festhält. Das sind mehr als 100 Orte, von den Oblasten Donezk und Cherson bis zur Oblast Irkutsk.

Trotz ihres Nichtkombattantenstatus behandeln die Invasoren die inhaftierten Zivilisten auf die gleiche Weise wie ukrainische Kriegsgefangene, mit denen sie oft zusammen festgehalten werden: Psychische und physische Gewalt ist die Regel.

Quelle: mipl.org.ua
Quelle: mipl.org.ua

Dieses wichtige Thema der willkürlichen Festnahme und Geiselnahme ukrainischer Zivilisten wurde am vergangenen Freitag im OSZE-Hauptquartier in Wien beleuchtet, wo die Missionen der Ukraine, der EU und der USA gemeinsam mit der MIMR eine geschlossene Veranstaltung mit dem Titel „Vermisst in der Besatzung: Wo Russland ukrainische Gefangene festhält“ abhielten. Die Delegationen der teilnehmenden Staaten konnten eine Karte der Orte sehen, an denen Russland ukrainische Zivilisten als Geiseln festhält, und Zeugenaussagen der Opfer selbst hören, darunter die der ehemaligen Geisel Wjatscheslaw Sawalnyj, der von den Besatzern gefangen genommen wurde, als er im März letzten Jahres versucht, seine Familie aus Mariupol zu evakuieren.

Vor der Veranstaltung in der Hofburg erzählte der ehemalige Gefangene, der 10 Monate in russischer Gefangenschaft verbrachte, seine Geschichte bei einem Treffen mit Journalisten im Gebäude von der ukrainischen Mission bei der OSZE.

Festnahme an einem Kontrollpunkt, Schläge und Scheinhinrichtung

„Am Tag der vollumfassenden russischen Invasion war meine Familie in Mariupol, ich selbst war in Kyjiw. Am 4. März verloren wir den Kontakt zu Mariupol. Die Medien begannen, über die schrecklichen Zerstörungen und Kämpfe zu berichten, die sich auf das Stadtzentrum verlagert hatten. Am 5. März wurde mein Sohn 7 Jahre alt. Er feierte seinen Geburtstag im Keller seines eigenen Hauses, unter Beschuss. Ich war gezwungen, mein Auto zu nehmen und sie zu evakuieren“, begann Wjatscheslaw Sawalnyj, 53, Ingenieur von Beruf, der in einem Bowlingclub gearbeitet hatte.

Zu dieser Zeit wurde die russische Armee in der Nähe von Orichiw in der Oblast Saporischschja, etwa 200 km von Mariupol entfernt, aufgehalten. In dem Gebiet fanden Kämpfe statt, und Zivilisten durften aus Sicherheitsgründen nicht in die von Russland besetzten Gebiete reisen. Deshalb musste Wjatscheslaw etwa zwei Wochen in Saporischschja ausharren. Er verfolgte die Telegram-Kanäle und sah, dass sein Viertel in Mariupol bereits „völlig zerstört“ war. Eines Tages meldete sich seine Frau – es gelang ihr, das Telefon an einem Generator aufzuladen und dorthin zu steigen, wo es Mobilfunk gab. Am nächsten Tag, dem 22. März, gelang es dem Mann, „die Kampflinie zu durchbrechen“, obwohl er sofort unter Beschuss geriet.

Als er etwa 50 km fuhr, wurde er an einem russischen Kontrollpunkt aufgehalten. Dem Ingenieur zufolge wurde der Verdacht vor allem durch sein Alter geweckt – er war damals 52 Jahre alt und sah viel jünger aus. Außerdem fand das russische Militär auf seinem Telefon eine Karte der Kämpfe – eines jener Bilder, die auf Telegram veröffentlicht wurden, die die Menschen verfolgten und sich gegenseitig schickten, um besser zu verstehen, wo die Kämpfe stattfanden.

„Die Soldaten, die mich anfangs bewachten, zeigten keine Aggression, sie warteten nur. Als die Offiziere eintrafen, änderte sich alles – sie begannen ein hartes Verhör. „Sie verdächtigten mich, ein ukrainischer Spion zu sein“, sagte Sawalnyj. „Sie schossen mit einer Pistole neben meinen Kopf, schlugen mir mit einer Pistole ins Gesicht und schossen auch neben meine Füße. Sie verlangten, dass ich ein Geständnis schreibe.“

Dann wurden er und andere inhaftierte Zivilisten geschickt, „um unsere eigenen Gräber zu schaufeln und uns auf Hinrichtung vorzubereiten.“

„Es war eine Scheinhinrichtung, wir wurden nicht geschossen. Eine Person, die ihr eigenes Grab schaufelte, wurde aber ins Bein geschossen. Es tat ihnen sehr leid, dass sie uns nicht sofort schießen konnten, weil es einen Befehl gab“, sagte der Mann.

Danach verbrachten die willkürlich festgehaltenen Zivilisten etwa drei Tage im Keller und warteten darauf, „woanders hin transportiert zu werden.“ Während dieser Zeit erhielten sie nur einmal Wasser und Nahrung.

Besonders schwierig war es für zwei ukrainische Soldaten, die in Zivilkleidung versuchten, der Umzingelung zu entkommen: „Sie wurden die ganze Nacht geschlagen.“

Verhör eines Zivilisten, der wie ein ukrainischer Offizier aussah, in Melitopol

Danach wurden Wjatscheslaw und drei weitere Männer mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in einen Pick-up geschoben und zu einem neuen Verhörort gebracht. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um Melitopol, das bereits von den Russen besetzt war.

„Bei der Ankunft wurden wir geschlagen. Sie nahmen uns unsere persönlichen Gegenstände. Dann wurden wir zum Verhör gebracht, jeder von uns wurde einzeln befragt. Ich bat darum, meine Frau anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass ich höchstwahrscheinlich nicht kommen würde. Sie erlaubten mir das – sie wollten wissen, wo ich tatsächlich anrufen würde. Schließlich verdächtigten sie mich, ein Spion zu sein, und versuchten daher, wenigstens einen Hinweis zu finden, der diesen Verdacht bestätigte.“

Die ganze Zeit lagen die Gefangenen auf dem Boden. Sie wurden mit verbundenen Augen auf die Toilette gebracht.

Dabei waren die Russen bereit, die gefangenen Ukrainer zu verhören und zu testen. Sie ließen jeden Gefangenen durch die Datenbanken des ukrainischen Innenministeriums laufen, um zu überprüfen, ob er in den Streitkräften gedient hatte, ob ihm Waffen ausgehändigt worden waren usw.

„In meinem Fall hat das sie noch mehr verärgert und sie noch mehr misstrauisch gemacht. Aus irgendeinem Grund sah ich für sie wie ein ukrainischer Offizier aus, aber in all diesen Datenbanken war nichts über mich zu finden, ich habe nicht in der Armee gedient“, sagte Sawalnyj.

Ihm zufolge bat er die Russen dringend, ihn gehen zu lassen, um seine Familie zu evakuieren, die in Mariupol unter Beschuss war.

„Sie sagten mir: ‚Sie werden vermutlich ausgetauscht werden. ’ In den folgenden Monaten, während ich in Russland im Gefängnis saß, habe ich mich immer wieder daran erinnert“, sagte Sawalnyj.

Oleniwka und das „Zickzacksitzen“ auf dem Weg zum „Austausch“

Von Melitopol aus wurden die festgenommenen Zivilisten – etwa 25 Personen zusammen mit Wjatscheslaw – in eine Besserungsanstalt in Oleniwka bei Donezk gebracht. Die Besatzer hatten sie in ein Filtrationslager verwandelt.

 „Dort waren wir in einer Baracke zusammen mit dem Militär untergebracht. Es gab keine Unterscheidung. Man konnte es nur sehen: Wenn man Zivilist war, trug man Zivilkleidung, wenn man ein Soldat war, der bei den Feindseligkeiten gefangen genommen worden war, trug man Militäruniform.“

Der Mann verbrachte zwei Wochen in Oleniwka. Ihm zufolge wuchs das Filtrationslager in dieser Zeit beträchtlich: Waren es zum Zeitpunkt seiner Ankunft etwa 600 Menschen, so waren es bei seiner Abreise bereits etwa 2.000.

„Ich blieb dort zwei Wochen lang. Dann kamen die Autos und ein russischer Offizier erschien, ohne Abzeichen, mit einer Hasskappe. Er sagte, dass wir ausgetauscht würden. Und er holte die erste Gruppe von 100 Leuten aus der Baracke ab, darunter auch mich. Wir waren in der zweiten Gruppe. Es war der 15. April.“

Etwas vorauseilend sei bemerkt, dass niemand aus Oleniwka zu einem „Austausch“ abgeholt wurde. „Als ich zurückkehrte, suchte ich nach den Familien der Menschen, die mit mir in Oleniwka gewesen waren und die in dieser ersten Gruppe von 100 Personen gegangen waren. Sie fanden sich in Woronesch, Taganrog und auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation“, sagte der ehemalige Häftling später in einem Gespräch mit Journalisten.

Quelle: mipl.org.ua
Quelle: mipl.org.ua

Zur selben Zeit, im April, wurden die Männer in einem Lastwagen zum „Austausch“ transportiert, wobei sie auf eine besondere Art und Weise auf dem Boden sitzen mussten.

„Mir wurde gesagt, dass wir zu unserer eigenen Sicherheit, damit wir sicher ankommen, auf eine besondere Art und Weise im Auto sitzen müssen. Später erfuhr ich, dass der NKWD das ‚Zickzacksitzen’ nannte. Alle saßen hinten im Lkw, die Hände wurden unter die Achseln der nächsten Person gelegt und dann wurden Handschellen angelegt. Bei jedem Schlagloch wurden die Handschellen immer fester gedrückt“, sagte Wjatscheslaw, „wir fuhren die ganze Nacht und kamen am Morgen auf dem Flugplatz an. Es dauerte etwa dreißig Minuten, mir die Handschellen abzunehmen, weil sie so festsaßen. Die Leute ihre Notdurft im Auto verrichteten, indem sie sich auf den Boden setzten. Während der ganzen Fahrt gab es wildes Geschrei. Besonders hart war es für diejenigen, die vorne im Wagen saßen, weil alle Menschen sich auf ihnen stützten.

Auf dem Flugplatz wurden den Gefangenen die Augen mit Klebeband verbunden und in ein Transportflugzeug geladen. Nach einigen Stunden Flug wurden sie ausgeladen und sofort in Lieferwagen geschoben, mit denen sie in ein russisches Gefängnis, Kursk U-Haft Nr. 1 gebracht wurden.

Folter in Kursker U-Haft und ein verrückter Ermittler

„Nach der Tradition dieser Anstalt wurden wir beim so genannten ‚Empfang’ sofort verprügelt. Diesmal hatte ich großes Glück, denn als sie mich aus der Zelle holten, taumelte ich – entweder vor Müdigkeit oder weil mich jemand geschubst hatte – und schlug mit dem Kopf gegen die Ecke der Tür. Da war viel Blut, und sie mussten mich verbinden. Ich wurde also nicht geschlagen. Alle anderen wurden bis zum Morgen geschlagen. Es war offensichtlich, dass die Leute, die uns verprügelten, Alkohol getrunken hatten: Sie stanken nach Alkohol.“

Laut Wjatscheslaw behandelte die Verwaltung der U-Haft zivile Geiseln aus der Ukraine anders als die dort festgehaltenen kriminellen Gefangenen, die sich frei bewegen konnten und von Anwälten besucht wurden.

„Wir wurden anders behandelt. Morgens und abends gab es Kontrollen, bei denen wir auf den Korridor hinausgeführt und verprügelt wurden. In meiner Zelle saß ein Mann, ein Zivilist aus Wolnowacha, das so sehr gelitten hatte wie Mariupol. Es gibt keins mehr. Alle seine Verwandten sind durch die Feindseligkeiten gestorben. Als er inhaftiert wurde, hatte er nicht einmal Zeit, seinen Neffen zu beerdigen, die Leiche wurde irgendwo zu Hause gelassen. Er war ein gutmütiger, einfacher Zivilist. Und jedes Mal, wenn sie ihn auf den Korridor führten und anfingen, ihn zu schlagen, konnte er sich einfach nicht beherrschen... er machte sich in die Hose. Sie setzten auch einen Hund ein und hetzten ihn, um er einige Leute zu beißen.“

In der Besserungsanstalt gaben die Gefangenen, wie ihnen gesagt wurde, Proben ihrer Nägel und Haare zur DNA-Analyse ab. Während sie in einer Schlange warteten, um sich „Verfahren“ und zahlreichen Verhören zu unterziehen, waren sie in einer unbequemen Lage: auf den Knien, mit den Händen hinter dem Rücken gefesselt.

„Eines Tages wurden wir in Handschellen zum Ermittlungsausschuss gebracht, die Militärpolizei kam. Ich war schockiert, als ich eine Büste und ein Porträt von Stalin im Büro des Ermittlers sah. Am Ende des Verhörs hatte ich das Gefühl, mit einem Verrückten zu sprechen – er sagte, sie würden unsere Städte zertrümmern und auslöschen, bis wir uns fügen“, so Sawalnyj.

Ihm zufolge hat ein Ermittler namens Walerij Donezkij „meine Geschichte in Briefform geschrieben“ und sie ihm zur Unterschrift gegeben. Wjatscheslaw Sawalnyj unterschrieb sie als Zeuge.

„Sie wussten wahrscheinlich noch nicht, was mit uns geschehen würde, denn es waren die ersten anderthalb Monate des Krieges, und alles lief nicht nach den Plänen Russlands. Und sie versuchten, uns Hoffnung zu machen, dass wir ausgetauscht und freigelassen würden und dass uns niemand mehr hier brauchte. Aber nach der Verlegung, der Folter und diesem ‚Empfang’ in Kursk habe ich natürlich nichts mehr geglaubt.“

Eine Besserungsanstalt in der Oblast Tula und 33 Körner Buchweizenbrei

Und er hat nicht umsonst geglaubt.

Am 6. Mai wurden die ukrainischen zivilen Gefangenen nach einer weiteren Runde von Schlägen zum Flugplatz gebracht und an einen anderen Ort der Inhaftierung verlegt – eine Besserungsanstalt in der Oblast Tula.

„Dort angekommen ging alles von vorne los: Wir wurden wieder geschlagen und in Zellen gesteckt. In unserer Zelle befanden sich 24 Personen. Alle waren Zivilisten, bis auf einen Mann. Dieser Ort befindet sich in der Stadt Donskoj, die Oblast Tula, „IK-1“, eine Besserungsanstalt. Wir befanden uns in einem separaten Gebäude auf dem Gelände einer großen Anstalt.“

An dieser Stelle seiner Erzählung lenkte der ehemaligen Geisel die Aufmerksamkeit der anwesenden Journalisten darauf: „Ich mache Sie auf die Namen dieser Gefängnisse aufmerksam, weil sie Wärter haben, ihre Namen sind bekannt. Ich bin der Meinung, dass diese Leute genauso bestraft werden sollten wie die Leiter der Konzentrationslager nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Die unrechtmäßig inhaftierten ukrainischen Zivilisten hatten keinen Kontakt zur Außenwelt. Sie wussten nicht einmal, welcher Tag oder welche Uhrzeit es war.

„Während des ganzen Sommers 2022 mussten wir hungern und bekamen nur sehr wenig zu essen. Einmal haben wir 33 Körner Buchweizenbrei gezählt. Und wir bekamen 50 Gramm oder weniger Tee.“ „Die Menschen waren erschöpft“, so erzählte der ehemalige Gefangene über die schrecklichen Bedingungen in der russischen Anstalt. „Wir wurden ohne Grund nach draußen gebracht und geschlagen. Wir mussten stehen, sitzen durften wir nicht. Die Anzahl der Kniebeugen, die wir machen mussten, hing vom Starrsinn der Person ab, die gerade Dienst hatte, manchmal bis zu 3.000.“

Die Situation bei der medizinischen Versorgung war nicht besser. In Wjatscheslaws Zelle saß zum Beispiel ein Mann mit Gasbrand an den Beinen, der starke Antibiotika bekam.

„Diejenigen, die gesundheitliche Probleme hatten, mussten in den ersten Stock gehen, wenn sie in die medizinische Abteilung gebracht wurden. Auf dem Weg zur medizinischen Abteilung wurden sie geschlagen. Auch auf dem Rückweg. Das nannte man Gesundheitsprävention.“

Rückkehr nach dem Austausch und das Problem der Freilassung ziviler Geiseln

Nach Ansicht von Wjatscheslaw Sawalnyj könnte die Tatsache, dass er körperlich fit war und Sport trieb, zu seinem Überleben beigetragen haben. Erst am 8. Januar 2023 konnte er im Rahmen des Austauschs freigelassen werden und nach Hause zurückkehren.

„Meine Familie musste das besetzte Gebiet für etwa drei Wochen alleine verlassen. Sie hatten kein Essen, kein Geld“, fügt er hinzu, nachdem er seine Erzählung beendet hat, und beantwortet die Fragen der Journalisten nach dem Schicksal seiner Frau und seines Sohnes. „Jetzt sind sie in Berlin. Wir haben uns immer noch nicht getroffen. Wir skypen nur. Ich kann nicht frei reisen, wir sind im Krieg.“

„Sind Sie freigelassen worden?“, fragen die Journalisten erneut nach den Umständen der Freilassung.

„Von ihnen (die russische Seite - Anm. d. Red.)? Sie lassen niemanden gehen. Ich wurde gegen einen russischen Kriegsgefangenen ausgetauscht. Sie müssen verstehen, dass sie niemanden einfach so gehen lassen“, antwortet der ehemaligen zivilen Geisel.

Er betont auch, dass er eine Geisel war: „Ich befand mich auf dem Territorium der Russischen Föderation. Dies ist ein schweres Kriegsverbrechen – die Entführung ukrainischer Bürger und ihre Verlegung in ein anderes Gebiet. Dafür gibt es einen Begriff – Geisel.“

Nach Angaben der MIMR werden ukrainische Zivilgeiseln in Russland häufig formell angeklagt, „Akte des internationalen Terrorismus“, „Hochverrat“ und Widerstand gegen eine „militärische Spezial-Operation“ begangen zu haben. Die meisten von ihnen werden jedoch ohne Anklage festgehalten, und Russland gibt weder ihren Familien noch der Ukraine oder internationalen Organisationen Auskunft über sie.

Und das ist ein großes Problem. Denn die Tatsache, dass Zivilisten, die willkürlich vom russischen Militär gefangen genommen wurden, keinen Status haben, erschwert ihre Rückkehr in die Heimat. Es gibt so gut wie keine rechtlichen Mechanismen für ihre Freilassung, denn diese Menschen hätten überhaupt nicht inhaftiert werden dürfen.

Nach Angaben der MIMR werden einige der zivilen Geiseln von der russischen Seite in Militäruniformen gekleidet und als ukrainische Kriegsgefangene gegen russische Kriegsgefangene ausgetauscht. Andere Zivilisten werden einfach gegen Militärs ausgetauscht. Einige werden ohne Erklärung freigelassen, so wie sie inhaftiert wurden. Viele Zivilisten in den besetzten Gebieten werden nach ihrer Freilassung aufgefordert, ihre Heimatorte zu verlassen.

„Was die Mechanismen angeht, so ist das schwierig, denn nach dem humanitären Völkerrecht ist es verboten, Zivilisten gefangen zu nehmen. Nur militärisches Personal kann gefangen genommen werden. Deshalb sieht das Völkerrecht keine klaren Mechanismen für die Freilassung dieser Menschen vor. Sie sollten ohne jegliche Bedingungen freigelassen werden, da sie überhaupt nicht gefangen genommen werden dürfen“, antwortete Ljubow Smatschylo, Analystin an der MIMR, auf der Pressekonferenz in Wien auf die Frage eines Ukrinform-Korrespondenten nach möglichen Mechanismen für die Freilassung von Zivilisten, die von den russischen Besatzern festgehalten werden.

Was ist mit der Rolle des Roten Kreuzes?

„Wir kennen die konkreten Haftanstalten in Russland. Wir haben das Rote Kreuz gebeten, dorthin zu gehen und diese Anstalten zu besuchen. Aber sie antworten, dass es für sie schwierig ist, Einlass in diese Anstalten zu erhalten, da Russland ihn nicht gewährt“, sagte die Vertreterin der MIMR. „Wir sind jedoch überzeugt, dass das Rote Kreuz mehr Druck auf Russland ausüben soll, um diese Anstalten zu besuchen. Wie Wjatscheslaw bereits erwähnt hat, werden an diesen Anstalten sowohl Zivilisten als auch Kriegsgefangene festgehalten. Daher kann das Rote Kreuz nach gängiger Praxis solche Anstalten besuchen. Die andere Sache ist, dass die Russen, wenn sie dem Roten Kreuz den Zugang gestatten, Zivilisten an solchen Anstalten verstecken, indem sie sie vor dem Besuch einfach an andere Haftanstalten oder in ein anderes Gebäude bringen, weil sie wissen, dass es verboten ist, Zivilisten festzuhalten.“

„Haben sich Vertreter des IKRK oder anderer internationaler Organisationen während Ihrer illegalen Inhaftierung mit Ihnen in Verbindung gesetzt?“, frage ich Wjatscheslaw Sawalnyj ebenfalls.

 „Nein, nicht während der gesamten 10 Monate“, charakterisiert die kurze Antwort des Mannes deutlich die „Effektivität“ des IKRK, der UNO und anderer internationaler Organisationen im Umgang mit dem Phänomen der ukrainischen Zivilgeiseln.

Wasyl Korotkyj, Wien


Let’s get started read our news at facebook messenger > > > Click here for subscribe

Bei dem Zitieren und der Verwendung aller Inhalte im Internet sind für die Suchsysteme offene Links nicht tiefer als der erste Absatz obligatorisch, außerdem ist das Zitieren von Übersetzungen aus ausländischen Medien nur mit dem Link auf die Webseite von „ukrinform.de“ und auf die Webseite des ausländisches Mediums zulässig. Das Zitieren und die Verwendung der Inhalte in Offline-Medien, mobilen Apps, SmartTV sind nur mit der schriftlichen Erlaubnis von „ukrinform.ua“ möglich. Inhalte, die mit „Werbung“ und „PR“ gekennzeichnet sind, sowie Texte im Block „Releases“ werden als Werbung veröffentlicht. Die Verantwortung für deren Inhalt übernimmt der Werbeträger.

© 2015-2024 Ukrinform. Alle Rechte sind geschützt.

Design der Webseite — Studio «Laconica»

erweiterte SucheWeitere Suchkriterien ausblenden
Period:
-