Minenräumer, der durch russische Mine sein Sehvermögen verlor, hilft nun anderen Betroffenen

Minenräumer, der durch russische Mine sein Sehvermögen verlor, hilft nun anderen Betroffenen

Ukrinform Nachrichten
Ukrinform erzählt die Geschichte von Dmytro Slepkan, humanitärem Koordinator der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine

Die Ukraine gehört zu den am stärksten mit Minen und anderen Sprengkörpern verseuchten Ländern. Laut Premierminister Denys Schmyhal haben wir fast 139.000 Quadratkilometer potenziell verminte Gebiete. Das ist zum Beispiel größer als die Fläche Griechenlands, Bulgariens oder Österreichs. Seit Beginn des umfassenden Krieges wurden fast 780 Unfälle mit Minen und Sprengkörpern registriert, 324 Menschen kamen ums Laben und über 790 wurden verletzt.

Dmytro Slepkan ist einer von denen, dessen Leben mit dieser schrecklichen Realität verflochten ist. Als ehemaliger Mitarbeiter des Staatskatastrophenschutzdienstes wurde er bei der Erfüllung einer Aufgabe im Donbass Opfer einer russischen Mine. Er hat das Sehvermögen verloren. Doch trotz der Schwierigkeiten hat er nicht geknickt. Jetzt arbeitet er bei der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine als humanitärer Koordinator und kümmert sich um Hilfe, einschließlich finanzieller Unterstützung, für von Minen betroffene Ukrainer. Dank seiner Bemühungen konnten bereits über 400 Menschen die nötige Hilfe erhalten.

Seine Geschichte ist nicht nur über Verlust und Kampf, sondern auch über neue Möglichkeiten, die man selbst unter schwierigsten Umständen finden kann.

ÜBER DEN BERUFLICHEN WEG UND VERLETZUNGEN

„Ich hatte noch als Kind einen Traum, Soldat zu werden. Ich habe an einem Militärlyzeum studiert und später eine Hochausbildung als Minenräumer absolviert“, beginnt Dmytro seine Geschichte. „Weiter diente ich in der Pyrotechnik-Abteilung des Staatskatastrophenschutzdienstes in der Region Donezk, wo ich später stellvertretender Leiter der Gruppe wurde. Im Jahr 2019 erfüllten wir Aufgaben im Bezirk Bachmut. In der „grauen“ Zone wurde die Wasserversorgung beschädigt und die Siedlungen, die dort Wasser erhielten, waren lange Zeit ohne zentrale Wasserversorgung. Uns war klar, dass die Lage kritisch war, denn Tausende von Menschen waren ohne Wasser. Daher beschlossen wir, die Straße so schnell wie möglich freizumachen, damit die Reparaturarbeiter sicher hindurchfahren konnten.

Alles lief nach Plan: Wir einigten uns auf eine Route und begannen mit der Minenräumung. Ein vorausgehender Minenräumer entdeckte einen improvisierten Sprengsatz, der wie eine Mine aussah. Da die Genehmigung der Sprengung lange dauern konnte und wir während der Feuerpause nur 8 Stunden Zeit hatten, entschieden wir uns für eine manuelle Entschärfung. Zuerst schien es keine große Aufgabe zu sein, doch im Inneren war ein Auslöser versteckt, und der Sprengsatz detonierte. Der hochstehende Minenräumer wurde getötet, ich wurde schwer verletzt und ein weiterer Pionier wurde durch Granatsplitter verletzt.

Nach der Explosion lag ich auf dem Boden und alles um mich herum wurde rot und schwarz. Es schien mir, als sei dies das Ende, ich dachte, so käme der Tod …

Ich habe schwere Verletzungen erlitten: Augen, Hände, Ohren. Ein Auge musste amputiert werden, da die Verletzung tief war und ein hohes Infektionsrisiko bestand. Das zweite Auge konnte gerettet werden, die Sehkraft kam jedoch nicht zurück. An jenem Tag erblindete ich komplett.“

ÜBER REHABILITATION UND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN WÄHREND UND NACH DER REHABILITATION

„Der Weg zur Genesung nach der Verletzung ist ein äußerst komplexer und langwieriger Prozess, der nicht nur die körperliche Rehabilitation, sondern auch emotionale Phasen umfasst. Von Ablehnungen und Wut bis hin zu Depression und Akzeptanz, ich habe das alles durchgemacht“, fährt Dmytro Slepkan fort. „In den ersten beiden Jahren habe ich erfolglos versucht, mein Sehvermögen wiederherzustellen. Behandlungen in der Ukraine, der Türkei und den USA brachten nicht den gewünschten Erfolg und die Zeit ging weiter. Also beschloss ich, mich auf die soziale Rehabilitation zu konzentrieren und mich so zu akzeptieren, wie ich bin.

Die Genesung im Westlichen Rehabilitations- und Sportzentrum war für mich ein Wendepunkt. Es war ein Ort, wo ich gelernt habe, mich im Raum zurechtzufinden, den Umgang mit meinem Smartphone, und ich fing an, mit einem Stock zu laufen. Außerdem unterzog ich mich einer körperlichen Rehabilitation und arbeitete mit einem Psychologen. Als ich nach Hause zurück kam, verspürte ich ein unglaubliches Verlangen, zu handeln. Ich begann, mich im Haushalt allein zurechtzufinden, einkaufen gehen, kochen.

Beim Erlernen der Computer- und Blindentechnik hat mir neue Horizonte eröffnet. Aber trotzdem war es eine große Herausforderung, einen Job zu finden. Ich suchte Varianten, wurde aber jedes Mal abgelehnt, was einen enormen Einfluss auf den moralischen Zustand hatte.“

ÜBER DIE ARBEIT IN DER VEREINIGUNG DER MINENRÄUMER DER UKRAINE

„Während des groß angelegten Krieges erfuhr ich von der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine und beschloss, mich dort um eine Anstellung zu bewerben“, erinnert sich Slepkan. „Nach einem Gespräch in der Personalabteilung bin ich zu einem Vorstellungsgespräch mit dem Leiter der Vereinigung, Timur Pistrjuga, eingeladen worden. Er listete die Aufgaben auf, die ich erledigen müsste, aber ich bezweifelte, ob ich damit zurechtkommen würde. Woraufhin Timur Walentynowytsch sagte: „Du schaffst alles, das weiß ich. Ich habe schon alles entschieden.

Mir ist die Stelle eines humanitären Koordinators bei der Vereinigung angeboten worden, wo ich den Verletzten von Sprengsätzen helfe. Bevor ich mit der Arbeit begann, bereitete ich mich aktiv vor: Ich beherrschte die Arbeit mit Google-Tabellen und E-Mail und verbrachte damit fast meine ganze Zeit, so dass mir nur 3–4 Stunden zum Schlafen blieben. Dank des Screenreader-Programms, das Operationen auf dem Computer vorliest, habe ich mich schnell angepasst. Mir war klar, dass ich zuerst langsamer arbeiten würde als meine Kollegen, aber ich wollte ihr Niveau erreichen. Jetzt arbeite ich auf dem gleichen Niveau wie sie.

Als ich in der Vereinigung eingestellt wurde, wollte ich auf die ganze Welt schreien: „Ich arbeite! Ich habe einen Job!“ Für mich war das ein großer Sieg, wahrscheinlich der größte meines Lebens. Dies gab mir die Möglichkeit, ins Leben zurückzukehren und anderen aktiv zu helfen. Dank meiner Bemühungen konnten bereits über 400 Menschen Hilfe von der Vereinigung erhalten.“

„Von Minen und Sprengkörpern betroffene Menschen können über die Website der Vereinigung finanzielle Unterstützung beantragen“, erzählt Dmytro über seine Arbeit. „Meine Kollegen und ich bearbeiten diese Beantragungen, nehmen Kontakt mit den Verletzten auf, tragen ihre Daten in das Register der Vereinigung ein und koordinieren die Hilfeleistung. Dank der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine konnten bereits 2.370 Menschen Hilfe erhalten.

Diese Hilfe ist wichtig, da in Kriegszeiten alle Ukrainer unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Aber für die Verletzten durch Sprengsätze ist dies eine besonders schwere Erprobung. Finanzielle Unterstützung ist das erste Aufatmen nach einer Verletzung. Sie gibt den Menschen Hoffnung, dass sie nicht vergessen werden, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind und dass ihnen geholfen wird.“

ÜBER BESONDERS INSPIRIERENDE HILFSGESCHICHTEN UND DARÜBER, WAS DIE GANZE ZEIT INSPIRIERT

„Jede Geschichte, die wir hörten, ist nicht immer gleich über Schmerz und Verluste, sondern auch über einen Neuanfang. Eine solcher Geschichten hat mich wirklich beeindruckt“, erzählt Dmytro Slepkan.

„Zwei Personen kamen mit unterschiedlichen Fragen zu uns. Ein Mann, der für die ukrainischen Streitkräfte auf einem Traktor arbeitete, wurde von einem Sprengsatz getroffen, der von einer russischen Drohne abgeworfen wurde, und erlitt schwere Verletzungen. Die Frau überlebte den Angriff, wurde jedoch durch Granatsplitter verletzt.

Dank der Hilfe der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine machte der Mann eine Rehabilitierung, seine Gesundheit verbessert und seinen Traktor repariert, um wieder arbeiten zu konnen. Auch die Frau konnte sich erholen, eine Kuh kaufen und ihre eigene kleine Farm gründen.

Ihre Wege kreuzten sich im Krankenhaus, wo sich diese Menschen während der Behandlung gegenseitig unterstützten und später begannen, zusammenzuleben und eine neue Familie zu gründen. Und als wir eine Einladung zu ihrer Hochzeit erhielten, war das noch eine Bestätigung dafür, dass unsere Arbeit nicht nur hilft, Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch ein neues Leben aufzubauen. Diese Geschichte beeindruckt wirklich.

Was inspiriert noch? Mich motiviert die Erkenntnis, dass ich etwas Wichtiges tue. Als Opfer verstehe ich die Schwierigkeiten, mit denen Menschen konfrontiert sind, die Verletzungen durch Landminen überlebt haben. Ich weiß, wie wichtig es ist, richtig mit ihnen zu kommunizieren, um kein zusätzliches psychisches Trauma zuzufügen. Mein Ziel ist es, Menschen bei der Genesung zu helfen und ihnen das Gefühl zu geben, unterstützt zu werden.

Aber die größte Motivation für mich ist mein Sohn Hennadij, der 10 Monate alt ist. Als meine Frau schwanger wurde, dachte ich nach: Wenn er groß ist und zur Schule geht, werden sie ihn fragen: „Was macht dein Vater beruflich? Ich möchte meinem Sohn ein Vorbild sein, damit er stolz sagen kann: „Mein Vater arbeitet in der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine und hilft Menschen.“

SO SCHÜTZEN SIE SICH VOR MINEN UND EXPLOSIVEN GEGENSTÄNDEN

Abschließend erinnert uns Dmytro an die Grundregeln, was zu tun ist, wenn man einen verdächtigen Gegenstand findet. Es gibt drei davon:

1. Kommen Sie nicht näher.

2. Nicht berühren.

3. Rufen Sie den Rettungsdienst unter 101 an.

Wenn Ihnen etwas Verdächtiges auffällt, bewahren Sie Ruhe. Bleiben Sie stehen, geraten Sie nicht in Panik, sehen Sie sich um, begeben Sie sich vorsichtig an einen sicheren Ort und informieren Sie die Rettungskräfte über den Fund. Wenn es möglich ist, markieren Sie den Gefahrenbereich in sicherer Entfernung, um andere zu warnen.

Sollten Sie versehentlich in ein vermintes Gebiet geraten, ist das Wichtigste, stehen zu bleiben und sich nicht zu bewegen. Rufen Sie unter 101 um Hilfe und versuchen Sie nicht, alleine herauszukommen. Wo es eine Mine gibt, kann es auch andere geben.

Auf der Website der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine finden Sie nützliche Materialien: informative Broschüren, die beim Erkennen explosiver Objekte helfen werden, sowie wichtige Sicherheitsregeln. Außerdem gibt es Online-Kurse für Erwachsene und Kinder, in denen sie lernen, wie sie sich in solchen Situationen richtig verhalten. Wir haben dafür gesorgt, dass die Seite für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich ist und die Videolektionen ist mit einer Gebärdensprachenübersetzung.

Leider wird die Minengefahr für die Ukraine noch viele Jahre oder sogar Jahrzehnte lang aktuell bleiben. Das Ausmaß des Problems, mit dem unser Land konfrontiert ist, ist seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellos. Dennoch sind heute über 70 Minenräumkräfte und über 4.000 Minenräumer mit der Minenräumung beschäftigt und bringen uns jeden Tag einer sichereren Zukunft ein Stück näher. Laut der Nationalen Minenräumstrategie, die unter Beteiligung der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine entwickelt und vom Ministerkabinett der Ukraine genehmigt wurde, ist geplant, bis 2033 etwa 80 Prozent der besetzten Gebiete von Minen zu räumen. Dadurch wird nicht nur die Zahl der Opfer verringert, sondern auch die humanitäre Situation verbessert und ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Erholung des Landes geleistet. Daran glauben Dmytro Slepkan und alle seine Kollegen von der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine.

Olena Nestertschuk, Vereinigung der Minenräumer der Ukraine, speziell für Ukrinform

Foto bereitgestellt von der Vereinigung der Minenräumer der Ukraine

Auskunft von Ukrinform: Die Vereinigung der Minenräumer der Ukraine ist der größte ukrainische Betreiber von Minenräumdiensten. Die Hauptarbeitsbereiche sind die humanitäre Minenräumung und das Informieren der Bevölkerung über die Minengefahr.


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