„Sie haben mich jeden Tag geschlagen. Die Tschetschenen haben mir zum Abschied den Arm gebrochen“

„Sie haben mich jeden Tag geschlagen. Die Tschetschenen haben mir zum Abschied den Arm gebrochen“

Ukrinform Nachrichten
Wie zwei Polizisten aus Isjum überlebten, der Besatzung entkamen und zur Arbeit zurückkehrten

Ich treffe die Polizisten Emin Assadulajew und Jakiw Palamartschuk aus Isjum zufällig auf dem Zentralplatz, wo sie am Tag des Besuchs von Diplomaten aus den drei Ländern in der Stadt Dienst tun. Während wir auf die Abschlussbesprechung der Delegation warteten, die hier stattfinden sollte, kamen wir ins Gespräch. Als ich fragte, wie es sei, in der befreiten und völlig zerstörten Stadt zu arbeiten, und ob es beängstigend sei, wusste ich nicht, was diese beiden Polizeibeamten durchgemacht hatten. Die Geschichten dieser mutigen Männer sind als nächstes auf Ukrinform zu lesen.

NACH DER EROBERUNG DER STADT WURDE ER ZWEIMAL GEFANGEN GENOMMEN 

Jakiw Palamartschuk wurde zunächst von Kämpfern der sogenannten DVR und LPR aus der Bezirkspolizeistation entführt: Sie zogen ihm einen Sack über den Kopf und brachten ihn an Orte, an denen die Besatzer bereits begonnen hatten, sich niederzulassen. Dort sah der Polizist, wie andere Männer, ebenfalls mit Säcken über dem Kopf, auf die Knie gezwungen und schwer geschlagen wurden. Das Gleiche erwartete ihn.

„Sie haben angefangen, mich zu schlagen. Sie haben mir zwei Rippen gebrochen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich nichts wüsste. Sie haben mich nach meiner Adresse gefragt, dann haben sie mich in den Kofferraum geworfen und in meine Wohnung gefahren. In der Wohnung haben sie die Nachbarn provoziert: ,Hat er sich als Polizist gut verhalten?‘ Die Nachbarn haben ihnen gesagt, dass ich ein sehr netter Kerl sei, adäquat. Und sie haben geantwortet: ,Man hat uns gesagt, er sei ein schlechter Kerl.‘ Zu Hause haben sie nach Waffen gesucht. Aber da war nichts zu finden, weil das Haus unter Mörserbeschuss gerät hatte und meine Wohnung und die Nachbarwohnung Feuer gefangen hatte, alles war niedergebrannt“, sagt Jakiw. „Dann haben sie mich und meine Freundin zu ihrem Haus gebracht, weil sie haben gedacht, ich hätte dort vielleicht Waffen versteckt. Sie haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Sie haben die Schulterklappen eines Polizeiobersts reingesteckt (lacht, – Anm. d. Red.). Wo hatten sie die denn her? Wahrscheinlich wollten sie einen Grund finden, um mir etwas vorzuwerfen. Dann haben sie mich hinter die Garage gebracht, mich ein bisschen geschlagen und mich zur Bezirkspolizei gebracht. Später haben sie mich in das Gebäude eines Kindergartens gebracht, ich habe es durch einen Spalt im Sack gesehen, und sie haben mich dort weiter gefoltert. Ein russischer Soldat hat angefangen, meinen Arm und mein Bein mit einer Zange zu kneifen und meine Haut zu verdrehen. Ich hatte also diese großen Hämatome. Ein anderer ist gekommen und hat mir ins Gesicht geschlagen. Ich habe ein Zahn verloren.“

Nachdem die Invasoren keine Informationen erhalten hatten, ließen sie den Polizisten frei. Sie ließen ihn jedoch nicht in Ruhe. Wie in anderen besetzten Gebieten begann jede neue Einheit, die in Ablösung war, die Menschen nach denselben Listen zu verhören. Vom 2. bis 9. Mai 2022 wurde Jakiw von russischen Militärangehörigen gefangen gehalten. Er wurde im Keller einer Garage hinter der Bezirkspolizeistation festgehalten.

Jakiw Palamartschuk
Jakiw Palamartschuk

„Es war ein enger Raum, sehr feucht. Da war ein Autositz. Es waren noch andere Leute da, aber ich habe sie nicht gesehen. Ich habe nur gehört, wie sie gefoltert wurden, wie sie gestöhnt haben. Ich wurde jeden Tag geschlagen, mehrere Male. Ich wusste nicht mehr, welche Tageszeit es war. Und am siebten Tag ist Achmat gekommen, ein Tschetschene hat mich getreten und versucht, mir auf den Kopf zu schlagen, und obwohl meine Hände gefesselt waren, habe ich mir irgendwie den Kopf zugedeckt, weil ich so stark geblutet habe. Schließlich hat er aufgehört“, erinnert sich der Polizist, „im Allgemeinen schienen sie alle genug davon zu haben, sich mit mir zu beschäftigen, wie sie gesagt haben. Sie haben mir eine Arbeit angeboten, weil die Stadt immer noch eine, Miliz‘ gebraucht hat. Um sie nicht zu provozieren, habe ich einfach geantwortet, dass ich noch nicht bereit bin. Und sie waren erstaunt: ,Warum sagst du ab? Du bekommst doch ein Gehalt. Wir finden schon eine gute Stelle für dich.‘ Ich habe geantwortet, ich will es nicht. Also habe ich zum Abschied einen gebrochenen Arm von ihnen bekommen.“

Da die Gliedmaße schwer verletzt war, fuhr der Polizist nach Kupjansk, das ebenfalls besetzt war, um sie behandeln zu lassen. Im Gegensatz zu Isjum gab es dort Ärzte und Medikamente.

„Sie haben ihn wohl oder übel operiert“, seufzt der Polizist.

Später bemerkte Jakiw, dass russische Soldaten begannen, ihm zu folgen. Am 30. Mai traf der Polizist eine Vereinbarung mit einheimischen Männern, die den Menschen gegen Geld bei der Ausreise halfen und sich vor den Verfolgern verstecken konnten.

„Ich bin mit anderen Leuten zum zerstörten Petschenihy-Damm gebracht worden (er wurde „Straße des Lebens“ genannt. Die Besatzer erlaubten den Bewohnern der besetzten Gebiete einmal pro Woche im Mai und im Sommer 2022 die Einreise in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet, – Anm. d. Red.). Ich war um vier Uhr morgens dort. Ich habe darum gebeten, durchgelassen zu werden, aber sie haben geschrien, dass sie das nicht tun würden, dass sie mich erschießen würden, und ich weggehen sollte. Ich habe geantwortet, dass ich nirgendwo hingehen würde. Ich habe mich ins Gras neben dem Kontrollpunkt gelegt. Später bin ich zusammen mit anderen Leuten den Damm entlanggelaufen“, erinnert sich Jakiw.  

JEDER IM LUFTSCHUTZKELLER WUSSTE, WER ICH WAR, ABER SIE HABEN MICH NICHT VERRATEN

Bis zur vollständigen Einnahme der Stadt patrouillierten noch Polizeibeamte in Zivilkleidung. Emin Assadulajew erinnert sich: Die Leichen lagen einfach auf der Straße, in kaputten Autos, die abgetrennten Gliedmaßen wurden von Hunden geschleift. Die Bewohner versteckten sich in Luftschutzkellern und Kellern. „Einen Moment lang war es still, wir haben ein Feuer gemacht, um etwas zu kochen, und dann ist das Flugzeug wiedergekommen. Als der Beschuss etwas nachgelassen hatte, begannen die Menschen damit, ihre Toten direkt neben ihren Häusern und in ihren Höfen zu begraben“, so der Polizist. „Auf der anderen Seite des Donez haben die Russen die Stadt bombardiert, zusätzlich zu den Luftangriffen. Trotz der ständigen Bedrohung sind die Bewohner hinausgegangen, um Wasser aus Brunnen zu holen (weil die Versorgungsleitung unterbrochen war), um Brennholz und Lebensmittel zu besorgen. Als der erste russische Konvoi, gepanzerte Mannschaftstransporter und ein Panzer angekommen waren, sahen meine Freunde und ich ihn zufällig und rannten durch die Höfe, um die Leute zu warnen, denn die Territorialverteidigung war noch in der Polizeistation. Die Jungen waren ohne Funkgeräte, nur mit Maschinenpistole ausgerüstet. Wir mussten um unser Leben rennen. Soweit ich weiß, sind sie dann in einen Hinterhalt geraten, nur ein Mann hat überlebt.“

Emin Assadulajew
Emin Assadulajew

Die Russen in der Stadt begannen, nach Militär- und Polizeibeamten zu suchen. Emin vergrub seine Waffe und seinen Ausweis. 

„Die Besatzer waren erstaunt, denn es gab nicht so viele Militärs in Isjum. Es waren 20 kleine Gruppen, aber sie haben sich bewegt und von verschiedenen Punkten aus auf die Russen geschossen. Deshalb haben sie wirklich den Eindruck erweckt, es gäbe hier starke Kräfte. Als die Russen gekommen haben, haben sie darüber gesprochen, dass sie gedacht haben, alle Zivilisten seien weg gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten vielleicht 10 Prozent die Stadt verlassen. Und dann haben sie angefangen: ,Macht euch keine Sorgen, alles wird bald in Ordnung sein, wir werden euch freilassen. Ihr werdet gut leben.‘ Aber wir haben, so gut‘ gelebt, dass wir nichts zu essen oder zu trinken hatten“, sagt der Polizist.

Er erinnert sich, dass sie bis Mitte April mit selbst hergestellten Vorräten überlebten, als es sehr schwierig wurde. 

„Meine Frau war im siebten Monat schwanger, aber ihr Bauch war fast unsichtbar. Wir hatten nicht genug zu essen. Ich bin ins Krankenhaus gegangen und habe gefragt, ob sie das Baby überhaupt auf die Welt bringen können (damals gab es nur einen Arzt, einen Traumatologen und ein paar andere Mitarbeiter, – Anm. d. Red.). Sie hatten keine Medikamente, keine Schmerzmittel. Sie haben gesagt, dass sie nicht in der Lage wären zu helfen, falls etwas schief gehen sollte“, erzählt Emin. 

Außerdem begannen die Besetzer, die Unterkunft im Kindergarten, in der er und seine Frau untergebracht waren, jeden Tag zu besuchen und nach Polizisten zu suchen.

„Ich hatte Glück, dass die Leute mich nicht verraten haben ... Jeder wusste, wer ich war. Ich frage mich immer noch, warum sie mich nicht verraten haben. Wissen Sie, es war so, dass mitten in der Nacht neue Leute in die Unterkunft gekommen sind, nur in ihren Schlafanzügen und Hausschuhen. Das ist nach einem weiteren schrecklichen Angriff geschehen. Sie haben gejammert, dass ihr Haus nicht mehr da ist, dass es kein Versteck mehr gibt. Die Leiterin der Einrichtung wollte sie nicht mehr hineinlassen und hat gesagt, die Unterkunft sei überfüllt und sie sollten in eine andere Unterkunft gehen. Ich habe ihr jedes Mal entgegengehalten, dass sie alle aufnehmen sollte, auch wenn wir dort stehen müssten. Vielleicht haben die Leute deshalb den Besetzern nichts von mir erzählt“, überlegt Emin.

Ihm war jedoch klar, dass der Tag, an dem die Besetzer ihn identifizieren werden, bald kommt und dass auch das Leben seiner Frau und seines ungeborenen Kindes in Gefahr sein wird. Er vereinbarte mit zwei anderen Polizeibeamten, die Besetzung gemeinsam zu verlassen.

„Ich habe meine Frau, meine Schwester, meine Neffen, meine Eltern und meine Großmutter mitgenommen. Auch meine Kollegen haben ihre Familien mitgebracht. Einer der Mitarbeiter hat einen Vater, der im Rollstuhl sitzt. Wir wussten, dass wir es vielleicht nicht schaffen würden, aber wir mussten gehen. Über die kaputte Fußgängerbrücke in Richtung Wald. An den Kontrollpunkten sind wir angehalten, unsere Papiere überprüft worden und wir durften gehen. Aber am Kontrollpunkt in der Nähe von Spiwakiwka waren die Besatzer hartnäckig. Es gab eine ganze Batterie von Haubitzen, Panzern und Kanonen. Es waren ältere Menschen bei uns, kleine Kinder, und ich habe ihnen gesagt: ,Weint alle, bittet um sie uns gehen lassen‘. Die Besatzer sind zu ihrem Kommandeur gegangen, zurückgekommen und haben gesagt, sie würden uns gründlich überprüfen. Wir haben ihnen alle Geräte gegeben, die wir hatten: Telefone, Tablets, Smartwatches, Laptops. Sie haben nichts gefunden. Ich habe mein Diplom mitgenommen, sie haben gesehen, dass ich einen Abschluss von der Universität für innere Angelegenheiten habe. Sie haben gesagt: ,Oh, gutes Fach. Wir können dich einstellen‘. Meine Antwort war: ,Ich habe einen Abschluss, aber ich habe nicht gearbeitet, ich wollte nicht, das war nicht mein Ding’. Am Ende haben sie uns alle Geräte abgenommen und wir haben sie überredet, die SIM-Karten zurückzugeben“, erzählt der Polizist.

Die ganze Gruppe zog weiter. In Prydonetske trafen sie auf der Straße einen Mann und eine Frau, die, nachdem sie die Kinder und den Mann im Rollstuhl gesehen hatten, ihre Freunde anriefen, woraufhin Freiwillige die Isjumer abholten und nach Spiwakiwka brachten. Dort wurden sie für die Nacht untergebracht. Insgesamt führten die Polizisten ihre Angehörigen zu Fuß fast 20 Kilometer weit. Es wurde eine sogenannte stille Evakuierung aus dem Dorf durchgeführt, die von Freiwilligen ohne offizielle „grüne Korridore“ der Besatzer geschafft wurde. Der russische Beschuss tötete regelmäßig sowohl die Freiwilligen als auch die Menschen, die sie zu retten versuchten. Die Polizeibeamten und ihre Familien hatten Glück, dass sie nach Dnipro gelangen konnten.

„Zuerst sind wir nach Petrowske gefahren, über die Hängebrücke, und dort haben Busse auf uns gewartet“, sagte Emin.

EINEN SPEZIELLEN SBU-CHECK UND EINEN LÜGENDETEKTOR BESTANDEN

Nach allem, was sie durchgemacht hatten, wollten die Polizisten vor allem wieder arbeiten: Sie mussten für ihre Familien sorgen. Sie unterzogen sich einer gründlichen Sonderprüfung durch den SBU und einen Lügendetektor, und es wurden Zeugenaussagen über ihre Aktivitäten und ihr Verhalten während der Besatzung gesammelt. Gegen Emin und Jakiw wurden keine Ansprüche erhoben. Letzterer muss immer noch eine Schlinge um den Arm tragen. Auf der Facebook-Seite der Polizei von Isjum sind unter den Beiträgen mit dem Foto des Polizeibeamten Kommentare der Dankbarkeit zu lesen: Die Menschen sind froh, dass er wieder im Dienst ist, und erinnern sich an seine Hilfe für die Bewohner der Stadt im März/April 2022.

Beide Polizisten sind fest davon überzeugt, dass ihr Platz in ihrer Heimat Isjum ist.

„Meine Wohnung ist zerstört. Ich wohne im Haus meiner Mutter (meine Mutter ist im letzten Herbst verstorben), es ist auch beschädigt, es gibt keine Fenster. Aber ich habe etwas eingehämmert, etwas geklebt, und ich habe es nicht eilig, es zu reparieren, weil die Lage noch instabil ist. Es ist traurig, dass die Menschen an solche Lebensbedingungen gewöhnt sind, es gibt viele kaputte Häuser ... Aber ich will nirgendwo hin. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und nach meinem Studium an der Universität zurückgekommen, um hier zu arbeiten“, sagt Jakow abschließend. 

Ich frage auch Emin, wie es seiner Frau und seinem Kind geht.

„Alles ist gut ausgegangen, ich habe einen Sohn“, lächelt der Polizist.

Jungs, ich danke Ihnen für Ihre Treue zum Eid und Ihren täglichen Dienst!

Julija Bajratschna, Charkiw – Isjum

Fotos von der Verfasserin und Serhij Koslow


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