Beispielloses Urteil des EGMR: Russland für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine und Abschuss von MH17 für verantwortlich erklärt
Der zwischenstaatliche Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ wurde der größte in der Geschichte des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und umfasst mehr als zehn Jahre der Völkerrechtsverletzungen durch Russland.
Das 497 Seiten umfassende Sachurteil wurde am 9. Juli 2025 in Straßburg vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verkündet. Der Gerichtshof befand Russland gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention für die seit 2014 begangenen massiven und eklatanten Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine und den Abschuss von MH17 für verantwortlich. Das Urteil verkündete der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Mattias Guyomar. Erstmals wurde die Verkündung des EGMR-Urteils in einem zwischenstaatlichen Fall live übertragen.
Russland erschien traditionell nicht vor dem Gerichtshof, obwohl es, wie der Präsident des EGMR betonte, ordnungsgemäß benachrichtigt wurde.

Es ist erwähnenswert, dass der Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ (Anträge Nr. 8019/16, 43800/14, 28525/20 und 11055/22) vier zwischenstaatliche Klagen vereint. Im Jahr 2020 wurden drei zwischenstaatliche Fälle zu einem Fall vereint – „Ukraine und Niederlande gegen Russland“:
● „Ukraine gegen Russland (bezüglich der Ostukraine)“ Antrag Nr. 8019/16, der massive und systematische Menschenrechtsverletzungen in den vorläufig besetzten Teilen der Regionen Donezk und Luhansk betrifft;
● „Ukraine gegen Russland“ Antrag Nr. 43800/14 betreffend die Entführung und versuchte illegale Verschleppung von Waisenkindern aus den Regionen Donezk und Luhansk in die Russische Föderation im Jahr 2014;
● „Niederlande gegen Russland“ Antrag Nr. 28525/20 betreffend den Abschuss von Malaysia Airlines Flug MH17.
Im Januar 2023 entschied die Große Kammer des EGMR über die Zulässigkeit des gemeinsamen zwischenstaatlichen Falls „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ in den drei oben genannten Klagen (betreffend die Ostukraine, die Entführung von Waisenkindern und den Abschuss von Flug MH17).
Nach Beginn der groß angelegten Invasion wandte sich die Ukraine an den EGMR mit einem neuen Antrag. Am 17. Februar 2023 benachrichtigte der Gerichtshof die ukrainische Regierung über seine Vereinigung mit dem zwischenstaatlichen Fall. Der vierte Fall im Verfahren „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ war der Fall „Ukraine gegen Russland“ Antrag Nr. 11055/22 (bezüglich der umfassenden Invasion der Russischen Föderation).
Also, die Emotionen der Vertreter der Ukraine und der Niederlande nach dem Sieg vor EGMR und die Folgen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für Russland.

VERKÜNDUNG DER HISTORISCHEN ENTSCHEIDUNG EGMR
Wenige Minuten vor der Verkündung der EGMR-Entscheidung im großen zwischenstaatlichen Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ betreten Vertreter der Ukraine und der Niederlande den Gerichtssaal. Das sind nicht nur Juristen und Anwälte, die seit 11 Jahren für Gerechtigkeit kämpfen, sondern auch Angehörige der Opfer von Flight MN17. Es ist erwähnenswert, dass der Gerichtssaal in drei Sektoren unterteilt ist. Im ersten sind Vertreter der Niederlande, im zweiten – der Ukraine, und der dritte ist leer - die Angeklagte Russland erschien nicht.
Es klingelt. Nach der Ansage „La cour“ herrscht Stille im Saal, alle Anwesenden erhoben sich mit Respekt vor dem Gericht und setzten sich wieder auf ihre Plätze.
„Ich erkläre die Anhörung zur Bekanntgabe der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall“ Ukraine und Niederlande gegen Russland „für eröffnet“, sagte der Präsident des EGMR, Mattias Guyomar.
Er nannte auch die im Saal anwesenden Vertreter der Ukraine und der Niederlande und betonte, dass Russland das Gericht nicht im Voraus über seine Vertreter informiert habe und nicht zur Anhörung gekommen sei.
Fast eine Stunde lang verlas der Präsident des EGMR, Matthias Guyomar, das Urteil des Gerichtshofs und hielt ab und zu an, um einen Schluck Wasser zu nehmen.
"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einstimmig entschieden, dass es im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine zwischen dem 11. Mai 2014 - als die Kämpfe begannen - und dem 16. September 2022 - als Russland aufgehört hat, eine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention zu sein - zu systematischen Verstößen gekommen ist:
der Artikel 2 (Recht auf Leben), 3 (Verbot der Folter, niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden), 4 §2 (Verbot der Zwangsarbeit), 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), 8 (das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens), 9 (das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit), 10 (das Recht auf freie Meinungsäußerung), 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), 13 (Recht auf wirksame Beschwerde), 14 (Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Artikel 1 (Schutz des Eigentums) und 2 (Recht auf Bildung) des Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention, heißt es in der EGMR-Entscheidung.
Das Gericht hat also in seiner Zusammenfassung des Urteils in der Sache, das 497 Seiten umfasst, festgestellt, dass Russland plante und die Angriffe zum deutlichen Ziel verwirklichte - das ukrainische Territorium, die Infrastruktur und die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen; schwere Verstöße, einschließlich Mord, Folter, Gewalt, Deportationen, Zerstörung von Eigentum, wurden systematisch und mit stillschweigender Zustimmung der russischen Spitze durchgeführt; die Rechte von Zivilpersonen und Kriegsgefangenen entgegen vielen Artikeln der Konvention verletzt wurden; Die Umsiedlung ukrainischer Kinder in die Russische Föderation und ihre weitere Adoption dort ist eine Verletzung der Grundrechte und der Würde des Kindes.
Im Fall Flug MH17 bestätigte das Gericht, dass das Flugzeug über einem von Russland kontrollierten Gebiet abgeschossen wurde. Die Weigerung der russischen Behörden, mit der internationalen Untersuchung zusammenzuarbeiten, und die Desinformationskampagne wurden als ein weiteres Verbrechen angesehen - gegen die Wahrheit und gegen die Opfer.
Das Gericht betonte zudem, dass Charakter und Ausmaß der Gewalt in der Ukraine sowie Russlands bedrohliche Äußerungen zum Existenzrecht der Ukraine den Frieden in Europa gefährdet haben. Es stellte fest: „Keiner der Konflikte, die früher behandelt wurde, hat eine so nahezu einstimmige Verurteilung der eklatanten Missachtung der Grundlagen der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Völkerrechtsordnung durch den beklagten Staat hervorgerufen.“

URTEIL DES EGMR KÖNNTE FÜR SONDERTRIBUNAL GEGEN RUSSLAND NÜTZLICH SEIN
Nachdem der EGMR-Urteil verkündet worden war, konnten Vertreter der Ukraine und der Niederlande ihre Tränen kaum zurückhalten. Ihre Gesichter zeigten Erleichterung, Vertrauen in die Gerechtigkeit und die Erkenntnis, dass ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit getan worden war.
Die Beauftragte des EGMR, Margarita Sokorenko, sagt, dass der Urteil im zwischenstaatlichen Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ von großer Bedeutung sei, da die Ukraine ihn in Verfahren des Sondertribunals über Verbrechen der Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine nutzen könne.
„Was das Sondertribunal hinsichtlich Aggression betrifft, so wird dieser Urteil meiner Meinung nach auch bei der Arbeit des Sondertribunals zum Verbrechen der Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine von großem Nutzen sein. Die klaren Schlussfolgerungen des EGMR-Urteils sollten zweifellos die Grundlage für die Arbeit und die weitere Behandlung der entsprechenden Verfahren durch das Sondertribunal sein. Ich denke, das wird auch so in der Perspektive sein“, merkte Sokorenko an.
Sie betonte, dass das EGMR-Urteil zahlreiche Schlussfolgerungen zum Kontext der bewaffneten Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine enthalte. Insbesondere stellte das Gericht fest, dass Russlands Vorgehen auf die Vernichtung des Ukrainischen Staates als solchen abzielten.
„Es wies deutlich darauf hin, dass Russland in 2014 eine sehr koordinierte, sorgfältig geplante Politik und Strategie der Einnahme von Gebieten (der Ukraine - Anm. d. Red.) verfolgte, Angriffe auf Siedlungen und zivile Objekte verübte. Es setzte zudem eine Strategie der Einschüchterung der Bevölkerung ein (insbesondere während der umfassenden Invasion 2022). Darüber hinaus zeigt das EGMR-Urteil, dass die Rhetorik, das Verhalten und die Politik der Russischen Föderation klar das Ziel der Vernichtung der Ukraine als Völkerrechtssubjekt und unabhängigen Staat bekunden“, erklärte Sokorenko.
Ihren Worten nach sollten die in diesem Urteil enthaltenen klaren Schlussfolgerungen zweifellos die Grundlage für die Arbeit und die weitere Behandlung der entsprechenden Verfahren vor dem Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression bilden.
Auch in seinem Urteil vertagte der EGMR die Frage der gerechten Entschädigung. Die Frage der Korrektur von Verstößen und einer möglichen Entschädigung der Opfer wird im Rahmen des Entschädigungsmechanismus geklärt, den die Ukraine im Rahmen der Arbeit des internationalen Schadensregisters schafft.
„Der EGMR hat die Frage der gerechten Entschädigung in dieser Etappe vorerst vertagt. Also die Frage der potentiell möglichen Entschädigungen oder anderer Möglichkeiten zur Ausbesserung der in dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs festgestellten Verstöße“, sagte Sokorenko.
Sie betonte, dass Russland jedes Recht zur Zusammenarbeit mit dem EGMR hat, seit 2022 jedoch die Kommunikation sowohl mit dem Europarat als auch mit dem EGMR vermeidet.
„Da Russland weder mit dem EGMR noch mit dem Europarat zusammenarbeitet, hat der Europäische Gerichtshof in seinem heutigen Urteil auch angegeben, dass die Fragen der gerechten Entschädigung künftig im Rahmen des Entschädigungsmechanismus geprüft werden, den die Ukraine derzeit schafft. Das heißt, die Einrichtung einer Entschädigungskommission ist im Gange, das Schadensregister funktioniert bereits und wird allmählich aufgefüllt, damit der Mechanismus für künftige Zahlungen an die Betroffenen der bewaffneten Aggression Russlands funktioniert“, betonte Sokorenko.
Sie stellte auch fest, dass das Urteil des EGMR eine neue Etappe in der Verfahrensführung gegen die Russische Föderation vor internationalen Institutionen darstelle. Insbesondere wird der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) durch dieses Urteil russische Kriegsverbrechen gründlicher untersuchen und Diplomaten es als Argument für die Verhängung zusätzlicher Sanktionen gegen die Russische Föderation verwenden können.

EIN WICHTIGER SCHRITT AUF DEM WEG ZU GERECHTIGKEIT FÜR DIE UKRAINE UND DIE NIEDERLANDE
Der zwischenstaatliche Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ betraf den Konflikt, der 2014 in der Ostukraine nach der Ankunft prorussischer bewaffneter Gruppen in den Regionen Donezk und Luhansk begann und nach dem groß angelegten Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 eskalierte. Er betraf auch den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17, das am 17. Juli 2014 von der russischen Armee über dem vorläufig besetzten Teil der Region Donezk abgeschossen worden war. An Bord der Flugmaschine befanden sich 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder, die alle ums Leben kamen.
Während des elf Jahre langen Gerichtsprozesses hat die Ukraine Russlands zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gemeldet, die Niederlande konzentrierten sich auf Russlands Verstoß gegen die Konvention wegen des Abschusses von Flug MH17, dessen Passagiere größtenteils niederländische Staatsbürger waren.

Der niederländische Premierminister Dick Schoof bezeichnete das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als einen wichtigen Schritt in Richtung Gerechtigkeit.
„Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Das Gericht entschied, dass Russland für den Abschuss von Flug MH17 und den Tod aller Passagiere an Bord, darunter 196 niederländische Staatsbürger, verantwortlich ist. Meine Gedanken sind heute bei den Angehörigen der Verstorbenen, die seit über einem Jahrzehnt mit dem Schmerz des Verlusts ihrer Angehörigen leben“, betonte er.
Der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp seinerseits erklärte, das Urteil des EGMR sei absolut klar und betonte, dass Russland für den Abschuss von Flug MH17 und den Tod aller Passagiere an Bord die Verantwortung trage. „Dies bestätigt das, dass wir wussten und diese ganze Zeit spürten, und ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit“, betonte er.
Veldkamp merkte außerdem an, dass „Russland auch für das zusätzliche Leid der Angehörigen der Todesopfer verantwortlich ist, da es seine Beteiligung ständig leugnet und sich weigert, zu kooperieren.“ „Nichts kann Trauer und Schmerz lindern, aber ich hoffe, dass dieses Urteil ein Gefühl der Gerechtigkeit und Anerkennung vermitteln wird“, fügte er hinzu.
Vorstandsmitglied der niederländischen Stiftung für Flugunfälle, die eine große Gruppe von Angehörigen der Opfer der MH17-Tragödie vertritt, Anton Kotte, der bei dem Abschuss seinen ältesten Sohn, seine Schwiegertochter und seinen sechsjährigen Enkel verloren hat, bezeichnet das Urteil des EGMR als historisch für die Ukraine und die Niederlande.
„Das ist ein sehr klares Urteil. Alle Elemente der Konvention sind berücksichtigt, für mich ist es sehr unerwartet. Denn das Urteil ist von 28 Richtern gefällt worden, und sie waren alle einstimmig. Das bedeutet für uns sehr viel. Ich habe immer gesagt, dass wir, die Angehörigen der Verunglückten, verstehen müssen: Unsere Pflicht gegenüber den Verstorbenen ist es, das Verfahren zu Ende zu bringen und seinen Abschluss zu akzeptieren. Und dieses Urteil hilft uns dabei. Unsere Mission ist es, Verantwortung zu erreichen. Dies ist ein historischer Tag. Er ist sehr wichtig für die Niederlande. Viele Opfer, viele Verluste, viel Schmerz. Aber heute gibt es ein Gerichtsurteil in den Niederlanden, die heutige Entscheidung, eine Entscheidung der ICAO (Internationale Zivilluftfahrt-Organisation, Anm. d. Red.) – sie alle zielen in eine Richtung. Und das gibt uns die Möglichkeit, unsere Geschichte der ganzen Welt zu erzählen und vor der Russischen Föderation zu warnen. Wenn man sich an den Prozess im Fall MH17 in den Niederlanden erinnert, in dem es um vier Personen ging, ist Girkin, einer der vom niederländischen Gericht Verurteilten, von Russland selbst inhaftiert. Es ist derselbe Girkin. Und die Frage ist: Wird er jemals freikommen, lebt er noch, wird ihn nicht dasselbe Schicksal ereilen wie Nawalnyj? Schließlich ist der Letztere getötet worden. Das sagt viel über die Rechtslage in Russland aus“, sagte er in einem exklusiven Kommentar gegenüber Ukrinform.
Piet Ploeg, Verwandter von drei Opfern der MH17-Tragödie und Vorstandsmitglied der Air Disaster Foundation, merkte seinerseits an: „Das Urteil war einstimmig. Und das ist sogar mehr, als wir uns erhofft hatten. Es war eine sehr klare Entscheidung. Und nicht nur in Bezug auf MH17, sondern auch in Bezug auf andere von den Russen in der Ukraine begangene Verbrechen. Also ja, das ist ein sehr wichtiger Tag.“
Rechtsanwalt Peter Langstraat, der auch Angehörige der Opfer von Flug MH17 in den Niederlanden vertrat, bezeichnete das Urteil des EGMR gegenüber Ukrinform als stark und gerecht. Seiner Meinung nach werden die Opfer jedoch erst nach Putins Abgang von der Macht eine Entschädigung erhalten.
„Ich bin sehr zufrieden mit der Entscheidung, denn der Gerichtshof hat eine Verletzung des Rechts auf Leben anerkannt. Das ist Artikel 2 (der Menschenrechtskonvention, Anm. d. Red.) und das war für uns zu erwarten. Artikel 3 über unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Folter. Das war fraglich, aber der Gerichtshof hat anerkannt, dass auch dieser Artikel verletzt worden ist. Für solche Schlussfolgerungen ist ein hohes Beweisniveau erforderlich. Und die einstimmige Entscheidung des Gerichtshofs ist sehr bezeichnend“, betonte der Anwalt.
Ihm zufolge wird das Urteil des EGMR im Fall „Ukraine und Niederlande gegen Russland“ eine wichtige Bedeutung für die Zahlung einer Entschädigung haben, also für eine gerechte Entschädigung, aber man müsse warten.
„Natürlich wird es, solange Putin an der Macht ist, keine Zahlungen geben. Aber erinnern Sie sich an den Lockerbie-Anschlag. Dort war die Entschädigung erst nach 20 Jahren gezahlt worden. Und wir führen diesen Fall schon seit elf Jahren. Was als nächstes passieren wird, ist also unklar, aber nicht aussichtslos“, stellte Langstraat fest.
Seiner Ansicht nach könnte das Gericht weiter von allen Parteien – der Ukraine und den Niederlanden – zusätzliche Informationen zur Entschädigung anfordern.
„Das Gericht wird sagen: Bitte formulieren Sie, was Sie im zwischenstaatlichen Fall im Hinblick auf eine gerechte Entschädigung genau wollen. Es scheint, dass dies die nächste Stufe sein wird – eine neue Entscheidung oder ein Antrag vom Gericht. Das ist also wirklich ein großer Sieg sowohl für die Angehörigen der Verstorbenen als auch für die Niederlande. Und was die Reaktion Russlands betrifft – sie können in ihren Medien etwas dazu sagen. Höchstwahrscheinlich wird Lawrow es als Unsinn oder so etwas bezeichnen. Das ist eine typische Reaktion Russlands“, merkte er an.
Sein Kollege, der niederländische Anwalt Flip Schüller, nannte das Wichtigste in diesem Urteil: „Dies ist wahrscheinlich einer der historischen Momente in dieser Entscheidung, in der Russland nicht nur für die Verletzung des Rechts auf Leben für schuldig befunden wurde, weil Menschen starben, sondern auch für die mangelnden Ermittlungen, die Gleichgültigkeit und die gezielte Verbreitung von Desinformation. Und all das wertete das Gericht als Verstoß gegen Artikel 3 – also als etwas, was die Würde erniedrigt und eine unmenschliche Behandlung der Angehörigen der Verstorbenen darstellt“, sagte er.
Der Anwalt stellte auch fest, dass Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine der Grundnormen sei, die selbst in Kriegszeiten oder unter Ausnahmebedingungen keine Ausnahmen zulasse. Seiner Meinung nach betonte das Gericht somit, dass das Vorgehen der Russischen Föderation die in der Konvention definierte Schweregrenze erreicht hätten.
„Das ist aus rechtlicher Sicht eine neue Phase und das ist für alle Opfer sehr wichtig, nicht nur für die niederländischen. Das Gericht hat beschossen: Russlands Gleichgültigkeit ist eine Verletzung seiner Verpflichtungen“, sagte Schüller und fügte hinzu, das Urteil des Gerichts sei nicht nur für die Niederlande, sondern auch für die Ukraine und die internationale Justiz von Bedeutung.
Die nächste schwierige Frage, so Schüller, werde die Bestimmung der gerechten Entschädigung sein.
„Es ist sehr, sehr schwierig. Und die ehrliche Antwort lautet: Im Moment haben wir keine Vorstellung. Denn die gesamte Konvention basiert auf einer Annahme, dass die Teilnehmerstaaten mit dem Gerichtshof kooperieren. Aber wenn Russland jetzt außerhalb dieses Mechanismus, kann man natürlich verzweifeln und fragen: Welchen praktischen Sinn hat das Ganze? Es gibt jedoch einen anderen Ansatz: nicht zuzulassen, dass dies zur Norm wird oder als normal wahrgenommen wird, es nicht hinzunehmen. In Zukunft, wenn der Krieg vorbei ist, wird der Moment kommen, an dem die Situation beginnen wird sich zu normalisieren, und dann wird sich unweigerlich die Frage der Reparationen stellen. Und dieses Urteil wird ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sein“, sagte er gegenüber Ukrinform.
Das Urteil des EGMR vom 9. Juli 2025 ist daher nicht nur eine rechtliche Anerkennung der russischen Aggression, sondern auch ein starkes Signal. Es stärkt die internationalen Mechanismen der Heranziehung zur Verantwortung der Russischen Föderation, unterstützt die Angehörigen der Opfer von MH17 und umreißt klare Grenzen der Gerichtsbarkeit für den Schutz der Menschenrechte im modernen Konflikt.
Iryna Drabok, Den Haag
Foto: Lidija Taran