Butscha: Wir sind diejenigen, die überlebten und hier weiter leben werden

Butscha: Wir sind diejenigen, die überlebten und hier weiter leben werden

Ukrinform Nachrichten
Jeder, mit dem wir gesprochen und gefragt haben, wie geht es weiter, haben keine Ahnung, wohin sie fahren sollen

Butscha. Woksalna-Straße. Genau hier haben ukrainische Truppen am 27. Februar eine Kolonne russischer Wehrtechnik zerschlagen. Fotos, die wie aus der Hölle, gingen rund um die ganze Welt. Aber es stellt sich heraus, dass hier die ganze Zeit Menschen gelebt haben – und das ist schockierend.

Butscha ist schon seit mehreren Tagen ohne Invasoren, aber das Alltagsleben der Menschen hat sich kaum verändert. Sie kochen immer noch auf dem Feuer und übernachten in Kellern, weil es dort wärmer ist, denn die Häuser haben keine Fenster mehr.

Bei Explosionen waren sogar die Türen raus geflogen. Gut, wenn es ein Dach über dem Kopf gibt.

Den ersten sehe ich Serhij auf dem Hof. Seine Frau flüchtete, er blieb wegen einer Magenoperation. Er zieht seinen Pullover hoch und zeigt mir einen schmutzigen Verband.

Der Mann ist ohne jegliche Emotionen. Er scheint alles Erlebtes geschluckt zu haben und repariert nun sein Auto.

„Als sie zum ersten Mal zu mir kamen, fragten sie, ob wir Bandera-Mitglieder hätten. Zuerst waren da ein paar Flachgesichter, etwa zwanzig Jahre alt. Dann kamen die Älteren mit anderen Waffen. Kommt, ich zeige, wie sie plünderten.“

Wir gehen ins Haus. Und da ist alles komplett auf den Kopf gestellt. Die Geräte, die sie nicht mitgenommen haben, haben sie einfach kaputt geschlagen.

Gegenüber wohnt eine ältere Frau, Anna, mit ihrem Mann Hrischa und ihrem Sohn Dmytro. Das Haus hat weder Fenster noch Türen und es ist so kalt, dass Frau Anna im Keller des Kindergartens übernachten musste.

Herr Hrischa weigerte sich rundweg, seinen Hof zu verlassen, also beschloss der Sohn, zu Hause mit seinen Eltern zu bleiben. Der „Sturkopf“ sitzt jetzt da und heizt die Schüssel mit einer Lötlampe an. Heute kocht die Familie so Hähnchen.

„Jetzt bin ich taub, denn wie kann man es aushalten, wenn es ständig explodiert und knallt. Mein Haus ist mir jetzt ekelhaft. Es ist alles dreckig und stinkt nach diesem Rauch, dass es unmöglich sein wird, dort zu leben. Hier rauchte alles, brannte und rußte. Er soll dort hundertmal ersticken (Putin – Autor).“

Die Frau wird auch weiterhin in den Keller des Kindergartens übernachten gehen, denn obwohl es keine Eindringlinge da sind, ist es zu Hause nicht wärmer geworden.

„Am Anfang waren mehr als fünfhundert Menschen im Keller, und dann wurde am 8. und 9. März ein Korridor gemacht und einige sind gegangen.“

Wie die Einheimischen die Chronologie der Ereignisse erzählen, wurde die Militärtechnik der Angreifer am 27. Februar zerschmettert und das ukrainische Militär marschierte ein, das bis zum 4. März morgens dort blieb, und am Nachmittag drangen wieder die Invasoren ein.

Als erstes nahmen die Angreifer die Handys weg und zertrümmerten sie.

„Ihr Bastarde, wir haben jetzt keine Verbindung mehr. Wir saßen die ganze Zeit zu Hause, und diejenigen, die hinausgingen, wurden erschossen. Überall lagen Leichen, bis sie blau wurden. Dann nahmen die Leute sie selbst und begruben in den Gärten. In der Nachbarschaft töteten sie Walera und Luda begrub ihn zu Hause“, sagt Frau Anna.

„Was halten Sie jetzt von den Russen?“, frage ich Frau Anna.

„Und für sie habe ich immer gespürt und jetzt werde ich für immer spüren. Ich verstehe sie nicht als Menschen! Weil das nicht in den menschlichen Kopf passt. Ein vernünftiger Mensch kann das nicht einmal denken.

Wir haben die ganze Zeit nicht geglaubt, nein, nicht Putin, wir haben nicht geglaubt, dass das Volk gegen uns gehen würde. Dieser dumme Schizophrene, und das Volk, wie sich herausstellte, ist scheiße, echt. Als bei uns auf dem Majdan Kinder geschlagen wurden, ging am zweiten Tag eine Million. Eine Million stand in Kyjiw. Und dieser Bastard kam zu uns in den Keller und fragte: „Seid ihr auf dem Platz gewesen?“ Stellen Sie sich doch vor, wie eingeschüchtert sie sind, dass es für sie ein Verbrechen ist, auf den Platz zu gehen. Und wie viele Millionen davon gibt es?“

Wir kehren auf die ausgebrannte Straße zurück, wir wollen zu diesem Kindergarten, wir sehen einen jungen Mann, der in beiden Händen zwei Päckchen Wasser trägt. Irgendetwas sagte mir, dass er aus der Gegend sein musste. Wir wollten fragen, wie wir zum Kindergarten kommen, gingen aber stattdessen mit ihm in ihren Keller.

„Wir haben drei begraben. Das waren unsere Nachbarn. Einige wurden nach Dokumenten gefragt, sie zeigten sie, dann gingen sie weiter und wurden einfach in den Rücken geschossen. Unser letzter Ljonja wurde getötet, als er die Kellertür schloss, in dem wir wohnten. Er fiel tot auf die Treppe, und nach einer Weile kam jemand und warf noch eine Granate auf ihn. Wir haben ihn in Teilen gesammelt, um zu begraben. Aber glauben Sie mir, es gab noch schlimmere Geschichten. Es ist eine normale.“

Der Junge heißt Jaroslaw. Er ist unter dreißig Jahre alt. Wir wollen ihm beim Wassertragen helfen, aber er weigert sich, sagt, es sei emotional so viel einfacher.

Jaroslaw bricht von Zeit zu Zeit in Tränen aus. Aber diese Tränen sind keine Hysterie. So kommt sein Schmerz heraus.

„Was haben Sie weiter vor?“, frage ich.

„Zuerst räumen wir das alles auf. Denn wer außer uns wird das machen?! Freuen wir uns auf den Sieg, wir bauen unseren emotionalen Zustand wieder auf und werden unsere Ukraine, unsere Familien aufbauen. Wir hörten alle Schüsse auf Irpin. Panzer standen direkt neben unseren Häusern und feuerten rund um die Uhr. Wissen Sie, so was sollte ein friedlicher Mensch nicht erleben…“

Jaroslaw beeilt sich, weil seine Mutter auf ihn wartet.

Wir gehen mit ihm. Ich möchte auf die Mutter schauen.

Jaroslaws Mutter wartet am Straßenrand und zieht den Kopf hoch, um zu sehen, ob ihr Sohn irgendwo zu sehen ist.

„Meine Mutter“, sagt der Sohn und hat wieder Tränen in den Augen.

Der Name der Mutter ist Halja. Die Mutter weint auch.

„Hier haben wir sie begraben“, zeigt Jaroslaw auf drei Gräber im Hof unter den Garagen. „Und das ist Onkel Kolja. Er ist wie ein Vater für mich, weil mein Vater mich verlassen hat, als ich zwei Monate alt war.

Wir nähern uns der Kellertür, der all diese langen Wochen als Unterkunft dient.

Jaroslaw zeigt auf die durchgeschossene Schusstür: „Diese Kugel war meine. Dann habe ich den Keller nicht mehr verlassen.“

„Als unser Ljonja in die Luft gesprengt wurde“, erzählt Herr Mykola Pawljuk diese unglaublich wilde Geschichte weiter, „gingen wir einen ganzen Tag nicht hinaus“.

Dann kamen sie. Wir standen alle im Dunkeln mit erhobenen Händen, damit sie unsere Hände sehen konnten, wenn sie hereinkommen. Weil sie einfach schießen konnten.

Dann kam derjenige, der erlaubte, die ersten zwei zu begraben. Er warnte uns, keine Angst zu haben. Ljonja hatte fast keinen Kopf, seine Beine waren von seinem Oberkörper getrennt. Wir haben zuerst einen Teil herausgebracht, dann den anderen. Alle drei sind Bewohner unseres Hauses. Jewhen ist neben seinem Autos begraben. Er war der erste, der in seiner Wohnung getötet wurde. Er wurde zuerst fürchterlich verprügelt und dann erschossen. Der erste Ljonja wurde neben dem Haus erschossen. Dort haben wir das Blut mit dem Sand verschüttet. Und der zweite Ljonja wurde zuerst erschossen und dann mit einer Granate in die Luft gesprengt.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schwierig es heute für mich war, Nachrichten für ihre Angehörigen zu schreiben“, weint Herr Mykola, „weil wir sie überlebt haben. Aber ich bin verantwortlich für dieses Haus. Die Leute nennen mich Verwalter. Stellen Sie sich vor, sie wollten nicht zu Ljonja ins Haus gehen lassen, um eine Ikone zu holen. Er hatte die Schlüssel an seinem Gürtel, ich flehte sie auf den Knien an, menschlich zu begraben. Sie erlaubten in ihrer Anwesenheit das Haus betreten. Sie fanden die Ikone. Und ich habe nur sie genommen. In Ljonjas Haus hing ein Zettel: „Es tut mir leid, dass wir so arm leben.“ Ich weiß nicht, wann er ihn geschrieben hat, aber bestimmt nachdem sie gekommen sind.

Ich kenne keine gutherzigen Menschen als die, die in unserem Haus leben. Ich kannte keinen besseren Menschen als Ljonja.

Jaroslaw holt seinen Hund aus dem Keller:

„Von dem amerikanischen haben wir nur meinen Hund Vulcan“.

All diese Tage war Vulkan mit Leuten im Keller. Jetzt ist er so glücklich, wälzt sich, dass er keine Sekunde still sitzt, aber die ganze Zeit im Keller hat er nur unter einer Decke geschlafen.

„Wir waren einfach unter ihren Füßen. Sie haben mit uns gemacht, was sie wollten. Mal herausbringen, wieder hereinbringen. Den Keller verschlossen sie von außen.

„Was habt ihr gegessen?“ interessiere ich mich.

„Alle drei Tage durften wir etwas auf dem Feuer unter dem Haus kochen. Die Ausgangssperre war nach Moskauer Zeit von 17.00 bis 9.00 Uhr. Wir wurden von gewöhnlichen Prolls kontrolliert. Solche Missgeburten, dass man sie überhaupt schwierig Menschen zu nennen.“

Ein Mann kommt und fragt nach einem Sack, weil dort im Hof irgendeine verbrannte Leiche in dem Auto liegt.

„Es ist nur noch eine Wirbelsäule geblieben. Was übrig blieb, muss auch begraben werden.“

Er bekommt einen Sack.

„Wir haben unsere auch in solchen Säcken begraben“, sagt Jaroslaw.

Ich wollte in den Keller gehen, um zu sehen, wo sie die ganze Zeit gelebt hatten, aber Herr Mykola sagte, ich solle es besser nicht sehen.

Dann sind wir weiter zum Kindergarten gegangen, wo die Menschen immer noch übernachten und am Feuer kochen.

Hier durfte ich den Keller betreten. Es ist einfach Beton, der nicht zum Leben geeignet ist, aber die Menschen haben hier geatmet und es wurde wärmer als in einem Haus ohne Fenster.

Die Leute gingen auf einem Eimer auf die Toilette…

„Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gestank hier war“, sagt Frau Swetlana.

„Zuerst haben sie hier drei getötet und dann noch drei. Unmittelbar hinter dem Tor stand eine Wache. Nur Frauen durften das Wasser holen, Männer wurden sofort erschossen. Ein 82-jähriger Mann wurde getötet. In den Rücken erschossen. Warum haben sie ihn getötet?! Und dort wurde eine 32-jährige Frau direkt in den Kopf erschossen… Jedes Mal, als ich die Katzen füttern ging, betete ich „Vaterunser…“, weil ich jeden Moment darauf wartete, in den Rücken geschossen zu werden. Kennen Sie dieses unangenehme Gefühl… Einer von Twer sagte zu mir: „Wir sind so arm im Vergleich zu euch. Und ihr lebt so reich hier.“

Als sie flohen, standen hier unter dem Haus fünf Lastkraftwagen KAMAZ. Sie raubten wie Schweine. Jedes Haus wurde ausgeklopft. Sie haben in unsere Toiletten geschissen, bis das bis ganz oben war, und dann, wenn jemand eine ukrainische Fahne im Haus hatte, steckten sie in diese Scheiße hinein.

Sie nahmen sogar Hunde- und Katzenfutter mit, was uns sehr überrascht hat. Fleischwölfe und Pantoffeln wurden mitgenommen … Mein Vater befreite Kyjiw, Irpin und Romaniwka von den Nazis. Und jetzt muss ich das erleiden?! Aber sie sind schlimmer als die Nazis. Das haben die Faschisten nicht gemacht, wie meine Großmutter mir erzählte.

Die Menschen aus dem Kindergartenkeller kamen auch heraus, wenn sie durften. Es gab Tage, an denen nicht einmal Tee gekocht werden durfte.

Wir haben hier nur zwei Stunden verbracht und mit nur wenigen Leuten aus ein paar Straßen gesprochen und es ist sogar schwer vorzustellen, wie viele es solche verschiedene Geschichten und noch schlimmer gibt, aber wird jemand mit Schmerz oder Trauer gemessen…

Ein paar Minuten Fahrt ist eines der Massengräber in Butscha in der Nähe der Kirche Andreas. Wir haben gebetet.

Nicht weit sehen wir Männer. Wir fragen, wer diese Leute begraben hat.

„Wir haben begraben. So unter der Todesangst, dass auch wir erschossen werden können, wir gingen also mit Schubkarren durch die Straßen und sammelten Leichen ein. Lagen die Leichen mehrere Tage, dann gingen wir hinaus, um sie einzusammeln. Wir haben in einem Grab 67 bestattet. In dem anderen wissen wir nicht, wie viele. Es blieb so unbestattet. Einige wurden in getrennten Gräbern mit mehreren Tote begraben.“

Wir fuhren hauptsächlich durch die zentralen Straßen, von denen wir die zerstörten Seitenstraßen und Gassen sehen konnten. Es gibt fast keine erhaltenen Häuser.

Das Militär und verschiedene Rettungsdienste ziehen weiterhin von Haus zu Haus, von Straße zu Straße und finden neue Opfer des rassistischen Terrors. Und auch wenige Tage nach den Invasoren liegen noch immer die Leichen von Menschen auf den Zentralstraßen, denen das Recht auf eine ordentliche Beerdigung genommen wurde.

Menschen, die diese Hölle überlebt haben, wollen weiter in ihrem Haus, auf ihrem Land leben. Alle, die wir gefragt haben, was sie weiter machen werden, wollen nirgendwohin fahren. Sie beschweren sich nicht, dass sie sich all die Wochen nicht gewaschen haben, obwohl sie gerade vom Ruß schwarz geworden sind. Sie schienen sich in dieser ganzen Zeit überhaupt nicht zu beschweren, und es schien, dass die Menschen solche Worte einfach nicht kennen, um das zu beschreiben, was sie erlebt hatten. Sie kennen nicht, denn bis jetzt, vor diesem Krieg, gab es solche Definitionen in unserer Sprache nicht.

Oksana Klymontschuk

Foto: Oleh Reweha


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