Svenja Schulze, Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland
Was wir jetzt machen, das machen wir alles mit einem langfristigen Blick – für eine freie, europäische Ukraine
04.05.2024 11:43

Deutschland ist in Europa führend nicht nur bei der militärischen Unterstützung der Ukraine, sondern auch bei der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe für unser Land. Es ist kein Zufall, dass die dritte Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine Ukraine Recovery Conference (URC) vom 11. bis 12. Juni in Berlin stattfindet.

Sowohl die ukrainische als auch die deutsche Regierung bereiten sich aktiv auf dieses Ereignis vor. Im Frühjahr fanden mehrere vorbereitende Veranstaltungen statt.

Und auf Vorschlag der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland (BMZ), Svenja Schulze, wird die internationale Initiative „Qualifiziertes Personal für den Wiederaufbau der Ukraine“ vorbereitet und ein Dokument mit Schlüsselpunkten zur Mobilisierung des Privatsektors für den Wiederaufbau der Ukraine genehmigt.

Frau Schulze, vor kurzem hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier zur Mobilisierung des Privatsektors für den Wiederaufbau genehmigt. Darin geht es um 15 Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Ukraine. Könnten Sie das bitte näher erläutern?

Das Eckpunktepapier ist zuallererst ein Bekenntnis, dass Deutschland fest an der Seite der Ukraine steht. Die Ukraine braucht neben Waffen auch eine Gesellschaft und Wirtschaft, die den Krieg bestehen und den Wiederaufbau stemmen kann. Dass die Wirtschaft in der Ukraine weiterläuft, dass Unternehmen weiterproduzieren, Jobs sichern und mit ihren Steuern zum Funktionieren des Landes beitragen, ist für den Kriegsverlauf und für den Wiederaufbau entscheidend. Deswegen haben wir uns als Bundesregierung darauf verständigt, noch mehr für die Mobilisierung des Privatsektors in der Ukraine zu tun.

Dabei geht es beispielsweise um finanzielle Zuschüsse und Zinsverbilligungen für kleine und mittlere Unternehmen in der Ukraine. Ein Beispiel ist ein landwirtschaftlicher Betrieb, der unterstützt wurde, damit er Minen wegräumen und wieder Ackerbau betreiben kann.

Es ist schwierig, den privaten Sektor davon zu überzeugen, in dem Land zu investieren, das sich im Krieg befindet. Reine Solidaritätsgründe funktionieren für viele nicht. Was könnten Ihrer Meinung nach die Argumente für das Unternehmen sein?

Trotz der aktuell sehr herausfordernden Situation bleibt die Ukraine für viele Unternehmen ein interessanter Markt. In weiten Teilen des Landes kann man auch jetzt produzieren. Die Ukraine ist EU-Beitrittskandidat – das ist ein langfristiges Argument für Unternehmen. Klar ist, dass der Privatsektor ein positives Investitionsklima und Rechtssicherheit braucht. Deswegen unterstützen wir die Ukraine bei entsprechenden Reformen, auch und gerade mit Blick auf den EU-Beitrittsprozess. Korruption zu bekämpfen ist da besonders wichtig. Transparency International hat hierbei in einer neulich veröffentlichen Studie bei ukrainischen Kommunen Fortschritte festgestellt, und das obwohl der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg noch im vollen Gange ist. Das ist ein sehr positives Signal für die Wirtschaft.

Haben Sie die Zahlen, wie viele deutsche Unternehmen derzeit in der Ukraine präsent sind? Wieviele sind weg?

Ich kann Ihnen die Zahlen der deutsch-ukrainischen Auslandshandelskammer nennen: Bis zur russischen Invasion 2022 waren rund 2.000 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung im Land aktiv. Selbst nach der russischen Invasion hat kaum ein Unternehmen das Ukrainegeschäft komplett eingestellt. Sie behalten den Fuß in der Tür, weil sie wissen, dass es sich lohnt.

Im Juni wird es eine Konferenz zum Thema „Wiederaufbau der Ukraine“, die Ukraine Recovery Conference (URC) geben, und Sie sind eine der Hauptorganisatoren. Wieviele Teilnehmer sind zu erwarten?

Wir erwarten rund 1.500 Teilnehmende. Das Besondere ist, dass neben den Regierungsvertretenden und der Wirtschaft auch Zivilgesellschaft und Kommunen eingeladen sind. Dafür habe ich mich besonders eingesetzt, denn es sind die Bürgerinnen und Bürger und die Städte und Gemeinden, die den Wiederaufbau ganz konkret schon jetzt in die Hand nehmen.

Aber wie können durch Kommunen und Zivilgesellschaft finanzielle Hilfe mobilisiert werden? Welchen Beitrag können deutsche Kommunen leisten?

Die URC soll keine „Pledging“-Konferenz sein, sondern sie soll zu den verschiedenen Dimensionen des Wiederaufbaus beitragen. Dazu gehört die Wirtschaft, aber auch die Menschen, die den Wiederaufbau stemmen müssen. Auf der Konferenz werden wir also auch über Gesundheitsversorgung oder psychosoziale Unterstützung sprechen, und wie wir Fachkräfte für den Wiederaufbau ausbilden können. Dafür bereite ich eine Fachkräfte-Initiative vor, die „SkillsAlliance for Ukraine“.

Die Kommunen spielen eine extrem wichtige Rolle beim Wiederaufbau. Denn sie wissen genau, was vor Ort fehlt. Da können Partnerschaften zwischen europäischen und ukrainischen Gemeinden ganz praktisch helfen. Mittlerweile gibt es mehr als 200 deutsch-ukrainischer Partnerschaften.

Ich verstehe, dass dies nicht in der Zuständigkeit Ihres Hauses liegt, aber ich würde Sie gerne um Ihre Meinung fragen: halten Sie es für möglich, russische eingefrorene Vermögen zur Wiederaufbau der Ukraine zu richten?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass so viele Mittel wie möglich für die unterschiedlichen Unterstützungsbedarfe der Ukraine zusammenkommen. Im Rahmen der EU haben wir uns darauf geeinigt, außerordentliche Einnahmen aus Russlands immobilisierten Vermögenswerten, damit sind z.B. Zinserträge gemeint, zugunsten der Ukraine zu verwenden. Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung, auf der wir aufbauen können.

Sie im BMZ haben die „Plattform Wiederaufbau Ukraine“ ins Leben gerufen um die vielfältige Unterstützung aus Deutschland besser darzustellen und Möglichkeiten zur Verzahnung zu eröffnen. Die Plattform hat das Ziel, die am Wiederaufbau beteiligten Akteurinnen und Akteure miteinander zu vernetzen. Funktioniert es?

Die „Plattform Wiederaufbau Ukraine“ ist eine Initiative der ganzen Bundesregierung. Sie richtet sich an Zivilgesellschaft, Privatsektor, Wissenschaft und Kommunen in Deutschland, die sich beim Wiederaufbau der Ukraine engagieren möchten oder dies bereits tun. Mit der Plattform wird der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine gestärkt, indem Wissen geteilt, Synergien genutzt und Kräfte gebündelt werden. Dabei stößt sie auf ein sehr reges Interesse. Über 600 Organisationen haben sich gemeldet und sind im Austausch.

BMZ leistet der Ukraine große Hilfe, oft zusammen mit dem Auswärtiges Amt. Könnten Sie bitte die Zahlen nennen, was seit dem 24. Februar 2022 gesendet wurde, in welche Regionen und in welche Bereiche?

Die Bundesregierung hat seit Beginn der russischen Invasion 2022 der Ukraine rund 32 Milliarden Euro bereitstellen können – als zivile Unterstützung, direkte Zahlungen oder in Form von Waffen. Davon kommen rund 1,3 Milliarden Euro aus dem BMZ. Die BMZ-Mittel investieren wir in den kommunalen Wiederaufbau, Wirtschaftsförderung und Wohnraum für Binnenvertriebene. Zudem unterstützen wir Unternehmen bei der Ausbildung von Fachkräften und stärken die Stromversorgung, weil Russland immer wieder gerade die kritische Infrastruktur angreift. Damit darf Russland keinen Erfolg haben. Wichtig ist mir auch, bei allem die EU-Beitrittsperspektive mitzudenken: Was wir jetzt machen, das machen wir alles mit einem langfristigen Blick – für eine freie, europäische Ukraine.

Das Entwicklungsministerium hat über seine Zusammenarbeit mit der Ukraine im Gesundheitsbereich seit dem russischen Überfall bereits mehr als drei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer medizinisch unterstützt. Das wurde vor paar Monaten gesagt. Könnten Sie präzisieren?

Im Krieg spielen Krankenhäuser, medizinische Versorgung und Fachkräfte, aber auch die psychosoziale Unterstützung für Kriegstraumatisierte eine extrem wichtige Rolle. Deswegen sind wir hier sehr aktiv. Wir haben mobile Kliniken und Gesundheitseinrichtungen ausgestattet, z.B. mit Diagnose- und Laborausrüstungen, und Rehabilitierungszentren aufgebaut. Dabei arbeiten wir etwa mit dem ukrainischen Sozialinvestitionsfonds (USIF) zusammen. Zudem haben wir 18 deutsch-ukrainischen Klinikpartnerschaften, über die ukrainische Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen finanziell unterstützen werden und von Schulung, Ausbildung und Wissenstransfer profitieren. 

Im Januar letzten Jahres waren Sie in der Ukraine, in Odessa. Wie hat dieser Besuch Sie beeinflusst und denken Sie darüber nach, die Ukraine irgendwann noch einmal zu besuchen?

Sicherlich werde ich noch einmal in die Ukraine reisen, denn die Eindrücke von vor Ort können nicht ersetzt werden. Zwei Dinge sind mir von der Reise nach Odessa besonders im Gedächtnis geblieben: Das eine sind die Schulkinder, die beim Bombenalarm in den Keller gegangen sind und dort weitergelernt haben. Das war so alltäglich und routiniert, aber ich dachte: Mit so einer Bedrohung sollen Kinder nicht aufwachsen, nirgends. Das andere ist ein Umspannwerk, das ich besichtigt habe. Es wurde schon mehrfach von russischen Angriffen getroffen, aber die Ukrainerinnen und Ukrainer haben es immer wieder aufgebaut. Diese Unermüdlichkeit beeindruckt mich. Russland erfährt immer wieder aufs Neue, dass es zwar Kraftwerke zerstören kann, aber nicht die Kraft der Ukrainer.

- Herzlichen Dank!

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