Till Mayer, deutscher (Foto-)Journalist
Entweder wird die Ukraine europäisch oder der Krieg wird unsere neue Geschichte
29.01.2022 17:05

In Deutschland findet diese Tage die Ausstellung des berühmten (Foto-)Journalisten Till Mayer „Donbass. Der Krieg in Europa“ statt. Till gilt als Fachmann auf seinem Gebiet, der sich mit den Besonderheiten unseres Krieges auskennt: Er war zwölf Mal im Raum der Anti-Terror-Operation gewesen.

Wir haben Till kontaktiert und ihm ein paar Fragen gestellt.

Till, wann waren Sie zum ersten Mal im Raum der Anti-Terror-Operation? Was hat Sie dazu bewogen, wieder dorthin zurückzukehren?

Das war im Herbst 2017 in Awdijiwka, ich konnte an zwei Tagen Stellungen der ukrainischen Armee besuchen, darunter auch in der Promka.

Ich fand es erschütternd mitten in Europa wieder Schützengräben, Zerstörung und Krieg zu sehen.

Als Europäer hat mich das geschmerzt und beschämt. Das tut es immer noch. Zu dieser Zeit war der Krieg im Osten der Ukraine in den deutschen Medien fast vergessen. Ich berichte übrigens weltweit meist aus Krisen- und Kriegsgebieten, wenn die anderen Journalisten und Fotografen abgezogen sind. Aber die Menschen in den betroffnen Ländern leiden trotzdem weiter. Ich gebe mein Bestes, ihnen eine Stimme zu verschaffen.

Die Ukraine war und ist aber etwas Besonderes für mich. Weil ich dort viele Freunde habe und mir das Land und seine Menschen ans Herz gewachsen sind. So engagiere ich mich ehrenamtlich seit vielen Jahren für ein Rotkreuz-Projekt, das kostenlos in Lwiw Medikamente an alte Menschen in Not verteilt (www.winter-in-lviv.org auch in UA Version).  Ich habe bewundernswerte Menschen getroffen, und immer viel Unterstützung erhalten, wenn es um meine eigenen Reportagen und Projekt ging. Zudem hielt ich es schon damals für sehr gefährlich, dass die Situation im Donbas in meiner deutschen Heimat in Vergessenheit gerät.

Wie entstanden Ihre Fotos? Waren die Menschen leicht damit einverstanden, fotografiert zu werden?

Ich arbeite fast immer mit einem ukrainischen Fotografen-Kollegen zusammen, wenn es in den Donbas geht: Oles Kromplias. Er hat 2014 selbst gekämpft. Seine Erfahrung hilft auch mir. Die Soldaten finden es, denke ich wichtig, dass ich über ihren Einsatz berichte. Aber nicht jeder von ihnen will fotografiert werden. Das ist verständlich. Sie haben oft Familie in den besetzten Gebieten. Und wollen ihnen Probleme ersparen.

Wie machten Sie Ihre Aufnahmen? Wie weit durften Sie für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gehen?

Zusammen mit Oles kann ich oft für mehrere Tage in der ersten Linie sein, die Soldaten in ihrem Alltag im Schützengräben begleiten, in Unterständen und Erdbunkern schlafen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, dass mir das ermöglich wird. Ich habe viele gute und tapfere Menschen kennen gelernt. Aber auch gesehen, welche Last der Krieg in all den Jahren für sie ist.

Welche Gegende fotografierten Sie?

Awdijiwka, Promka, Butovka, Luhanske, Troitskoye, Shyrokyne, Horliwka, Kamyanka, Volnovakha Gebiet… Manche mehrmals.

Welche Fotos sind für Sie besonders wichtig?

Für mich sind zwei Fotos ganz besonders: Eines zeigt den Soldaten Vadym im zerstörten Badeort Shyrokyne. Vadym hatte 2011 dort einen Badeurlaub mit seiner Familie gemacht. Deswegen führte er mich durch den zerstörten Ort, erzählte mir, wie es dort vorher war. Wir kamen gut miteinander aus. Wenige Tage später kam er an der Front ums Leben. Es war wie ein Schlag für mich, als ich das erfuhr. Seine Witwe schrieb mich später auf Facebook an, ob sie das Foto bekommen könnte. Um es auf seinem Grabstein eingravieren zu lassen. Vielleicht die größte Ehre, die jemals ein Foto von mir bekommt. Aber auch der traurigste Anlass. Krieg ist etwas abgrundtief  Böses.

Das andere zeigte Valentina in Kamyanka nahe der Frontlinie. Sie steht im Dunkel eines Gesmüsekellers und hält trotzig eine brennende Kerze. In den Keller flüchten die Bewohner, meist alte Menschen, wenn von der nahen Front kommend Granaten in das halbverlassene Dorf einschlagen. Im Keller gibt es keinen Strom. Die Alten müssen ausharren bis der Spuk vorbei ist.

Krieg in der Ukraine ist Schande für ganz Europa

Die Deutschen sind in unserem Verständnis unsentimentale, zurückhaltende und pedantische Menschen. Wenn Sie aber so viel Zeit mit uns verbrachten, was sind Ihre ersten Eindrücke und Gefühle?

Sie sollten ein paar Deutsche mehr kennenlernen. In meiner Heimatstadt Bamberg wissen wir zu feiern und freuen uns Gäste zu haben ;-) Pedantisch… Hm, meine ukrainischen Freunde wissen, ich komme immer ein paar Minuten zu spät. 

Mein erstes Projekt war ein Buch und eine Ausstellung über Überlebende der Konzentrationslager der Nazis. Sie stammten alle aus Lwiw und Umgebung, Was für starke Menschen ich da interviewen und fotografieren durfte. Trotz all dem Furchtbaren, dass sie durchstanden: Sie waren gütige und gerechte Menschen. Einer sagte mir: 

„Wer hasst, der hat das Leben nicht verstanden.“

 Ich werde mein Leben lang dankbar für diese Begegnungen sein.

Was haben Sie während Ihrer Arbeit in der Ukraine über den Krieg verstanden?

Das er eine Schande ist für ganz Europa ist. Europas Grenzen dürfen nicht durch Panzer neu gezogen werden. Wer das versucht, muss gegen ein geschlossenes Europa stehen. So sollte es sein. Es kam leider anders. Sonst wären wir nicht an dem Punkt, an dem wir nun stehen.

Was ist für Sie die Ukraine?

Die Ukraine ist ein Teil meines Lebens geworden.

Wie wurden Sie von Einwohnern des Donbass empfangen. Ließen sie sich gern fotografieren?

Meist höflich. Nach dem sie erfahren haben, was meine Intention ist, ließen sie sich meist auch fotografieren und interviewen. In Awdijiwka nahm mich eine Familie auf, und gab mir Unterschlupf, wenn ich bei einer der Reisen eine Übernachtung brauchte. Und ein leckeres Frühstück. Ich musste sie sogar überreden, dafür auch einen kleinen Betrag als Dankeschön anzunehmen. Ich lernte zwei Mütter von Neugebornen kennen, bekam bei einer Kaffeerunde Kuchen von Großmütterchen vorgesetzt und nicht selten anderorts etwas Speck und Wodka als Gast angeboten. Kurz, es waren meist sehr feine Leute. Aber ich denke, tritt man Menschen mit Respekt gegenüber, bekommt man ihn zurück. 

Es scheint manchmal so, dass das deutsche Establishments die Ukraine schlecht versteht. Das offizielle Berlin gibt sein Bestes, um mit Putin nicht zu streiten, ungeachtet der schwersten Drohungen.  Wie ist die Stimmung in der deutschen Gesellschaft? Sie glaubt auch an die Partnerschaft mit Putin, wie Ihre Regierung? Ändern Ihre Arbeiten die Haltung?

Ich glaube nicht das die deutsche Regierung ein Freund von Putin sein will. Allenfalls ein ehemaliger Bundeskanzler. Die neue Regierung verurteilt Putin scharf und droht klar mit wirtschaftlichen Konsequenzen. Und die große Mehrheit der Deutschen sieht in Putin einen Autokraten, einen Feind der Demokratie. Reicht das aus? Nein, natürlich nicht. Ich bin enttäuscht, dass nicht mehr passiert. Ich verstehe, wenn Ukrainer gerade wütend auf Deutschland sind.

Ihrer Meinung nach kann die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine die Bedrohung für uns und für den Kontinent reduzieren?

Die Ukraine hat einen mächtigen Nachbarn, der seine Grenzen offensichtlich nicht kennt. Dass die Ukraine in die Nato strebt, ist ein natürliches Schutzbedürfnis aus meiner Sicht. Wenn Putin das nicht will, hätte er nicht die Krim annektieren dürfen. Und den Krieg in den Osten seines Nachbarlandes tragen.

Es gab im Donbass keine offenen Gefechte, es gibt aber einen Scharschützen-Krieg und Angriffe. Gerieten Sie in gefährliche Situationen?

Einmal war es zum Beispiel schon nötig, sehr schnell zu laufen. Ein Adrenalinschub für mich. Peanuts für die Soldaten im Schützengraben.

Fotografen beschäftigen sich mit diesem Thema, bis alles über den Krieg gesagt ist. Sie haben schon ein Buch veröffentlicht. Haben Sie alles gesagt? Was ist Ihre Hauptbotschaft?

Ich werde berichten bis der Krieg im Donbas vorbei ist. Entweder, es gelingt uns eine echte demokratische Union der Europäerinnen und Europäer zu werden. Oder der Krieg wird wieder Teil unser aller Geschichte.

Lana Samochwalowa, Kyjiw

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