Der ukrainische Außenminister, Andrij Sybiha, traf sich mit dem Vize-Ministerpräsidenten und Außenminister Polens, Radosław Sikorski, in dessen Privatresidenz Chobielin-Dwor in Nordpolen. Der Chef der polnischen Diplomatie lädt nur sehr selten ausländische Gäste auf sein Privatanwesen ein, was die Bedeutung des Gastes und der guten persönlichen Beziehungen unterstreicht. Dieses Treffen zeugt auch von einem intensiven und konstruktiven Dialog zwischen der Ukraine und Polen.
Nach den Verhandlungen mit Sikorski erzählte der ukrainische Außenminister in einem Gespräch mit dem Ukrinform-Korrespondenten über einige Besonderheiten des Dialogs zwischen Kyjiw und Warschau sowie über bestimmte Aspekte der internationalen Agenda, insbesondere über gemeinsame Bemühungen, den russischen Aggressor zum Frieden zu zwingen, und die Notwendigkeit einer Reform der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Herr Außenminister, das Weiße Haus hat Russland ein Ultimatum gestellt, bis zum 8. August das Feuer einzustellen. Wenn Russland die Bombardierungen friedlicher ukrainischer Städte nicht einstellt und auch weiterhin aktive Kämpfe an der Front führen wird, welche Schritte sollten dann die Vereinigten Staaten und unsere westlichen Verbündeten nach Ablauf dieses Ultimatums unternehmen?
Weiterer Druck, weitere entschlossene Schritte, um Putin und Russland zum Frieden, zu einem Waffenstillstand zu zwingen. Wir begrüßen diese entschlossenen Schritte der amerikanischen Seite, besonders von Präsident Trump, da sie darauf abzielen, der Ukraine einen gerechten Frieden näher zu bringen. Ich glaube, dass wir jetzt an einem (entsprechenden) Moment sind, um alle diplomatischen Anstrengungen zur Unterstützung des Friedensprozesses maximal zu mobilisieren. Wir brauchen eine Führung und das breite Engagement der Vereinigten Staaten, denn das ist eine der wichtigsten Garantien dafür, dass wir diesen Krieg noch in diesem Jahr beenden und die russische Aggression stoppen werden.
Deshalb auf jeden Fall Sanktionen. Wir müssen den Preis für die Fortsetzung der Aggression durch den russischen Aggressor erhöhen. Die Sanktionen müssen synchronisiert werden. Das 18. Sanktionspaket hat die Europäische Union gebilligt. Es ist in der Tat sehr umfassend und wirkungsvoll. Und jetzt ist es wichtig, dass es mit dem amerikanischen Paket synchronisiert wird. Ich meine damit das transatlantische Sanktionspaket. Und wir haben noch andere Länder: Großbritannien, Japan, Neuseeland, Kanada. Übrigens hat die Ukraine ihr 18. Sanktionspaket synchronisiert. Diese Sanktionen müssen verheerend sein, um der russischen Wirtschaft das Rückgrat zu brechen und Russland die Möglichkeit zu nehmen, seine Militärmaschine zu finanzieren.
Die Haupteinnahmequelle für den russischen Haushalt ist der Export von Energieträgern, insbesondere von Erdöl. Deshalb ist es sehr wichtig, dass auch die Länder, die heute die größten Käufer vom russischen Öl sind, auch die Konsequenzen spüren und aufhören, am russischen Rohölhandel zu verdienen.Wir kennen diese Länder und arbeiten derzeit sehr detailliert und konkret mit unseren Partnern daran, Sanktionen gegen bestimmte Unternehmen und bestimmte Länder zu verhängen, die mit diesem Öl Geld verdienen.
Während unseres Aufenthalts in Polen ist anzumerken, dass Warschau derzeit den Vorsitz im Rat der Staaten im Ostseeraum innehat. 70 % der „Schattenflotte”, mit der russisches Öl exportiert wird, fahren in die Ostsee. Auch hier gibt es noch ungenutztes Potenzial. Wir haben mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Außenminister Radosław Sikorski darüber gesprochen, dass der Export von russischem Öl durch die Unterbrechung der Routen der „Schattenflotte” in der Ostsee gestoppt werden könnte.
Die polnische Seite teilt voll und ganz die Ansicht, dass unsere Sicherheit auch die Sicherheit Polens ist und dass die Sicherheit der Ukraine, die Sicherheit Europas und die transatlantische Sicherheit untrennbar miteinander verbunden sind.
Deshalb zwingt uns die Zunahme der Herausforderungen und Risiken natürlich dazu, enger zusammenzuarbeiten, um ihnen gemeinsam entgegenzutreten. Und dafür bin ich der polnischen Seite dankbar, denn wir haben jetzt eine ziemlich intensive bilaterale Zusammenarbeit.
Es gab ein Gespräch zwischen Präsident Selenskyj und dem neu gewählten polnischen Präsidenten Nawrocki. Das war ein sachliches und sehr gutes Gespräch. Wir freuen uns auch auf den Besuch von Herrn Nawrocki in der Ukraine nach seiner Amtseinführung.

Herr Minister, vor einigen Tagen sagten Sie in Helsinki, die Ukraine habe eine klare Vision für eine umfassende Reform der OSZE und Kyjiw schlage fünf Schritte vor, die die Organisation aus der Sackgasse führen könnten. Können Sie näher erläutern, um welche Schritte es sich handelt, und gehört dazu auch die Abkehr von der Konsensfindung innerhalb der Organisation?
Ja, ich habe kürzlich an der Jubiläumssitzung auf Außenministerebene zum 50. Jahrestag der Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki teilgenommen. Ausgehend von unseren bitteren Erfahrungen und unserer Überzeugung, dass ein Aggressor-Staat in internationalen Organisationen nichts zu suchen hat, haben wir fünf Schritte vorgeschlagen, die unserer Meinung nach die OSZE vor allem institutionell stärken und es ihr ermöglichen könnten, auch präventiv zu handeln. Leider haben wir negative Erfahrungen mit der OSZE gemacht. Ich meine ihre Beteiligung an Verifikationsmissionen nach 2014. Daher ist es sehr wichtig, die Tätigkeit der OSZE zu verbessern. Erstens müssen wir die veraltete Konsensregel loswerden, die aufgrund des Missbrauchs durch Russland, ähnlich wie das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat, die OSZE zur Funktionsunfähigkeit verdonnert. Daher ist es wichtig, diese Regel abzuschaffen, und die Ukraine wird eines der Länder sein, die diesen Weg verteidigen wird.
Zweitens sollte diese Konferenz einen entsprechenden Mechanismus beschließen, der es der OSZE erlauben wird, mit qualifizierter Zweidrittelmehrheit die Mitgliedschaft jener Staaten in der Organisation zu beenden, die die Funktionsprinzipien oder die Grundprinzipien der Schlussakte von Helsinki nicht einhalten oder verletzen.
Drittens sind wir der Ansicht, dass der Vorsitz verbessert werden sollte. Insbesondere sollten die Befugnisse der „OSZE-Troika“ sowie der Institution des Vorsitzes in der Organisation erweitert werden.
Viertens muss der Mechanismus zur Ernennung der OSZE-Führung verbessert werden, da dies direkte Folgen für die Festlegung von Prioritäten und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Organisation selbst hat.
Und schließlich geht es um den Ruf der Organisation. Daran muss man auch arbeiten, damit die OSZE wirklich den Ideen und dem Konzept entspricht, die bei ihrer Gründung festgelegt wurden. Damals herrschte Kalter Krieg, und unserer Meinung nach besteht heute eine große Diskrepanz zwischen der Funktionalität der Organisation und der Erkennung der Realitäten: In Europa tobt heute ein heißer Krieg. Der russische Aggressor begeht Verbrechen gegen uns, er richtete grundlose Aggression an. Und all dies muss sich dementsprechend in der Tätigkeit der OSZE widerspiegeln.

Am 6. August findet die Amtseinführung des neu gewählten Präsidenten Polens, Karol Nawrocki, statt. Auf welcher Ebene wird die Ukraine bei dieser Feier vertreten sein? Und kann man den neuen Präsidenten Polens zu Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag der Ukraine in Kyjiw erwarten?
Soweit ich weiß, findet die Amtseinführung (in Polen) ohne Einladung ausländischer Gäste statt. Daher werden wir auf Grundlage der Einladungen, die die ukrainische Seite erhalten wird, vertreten sein. Normalerweise ist es jedoch üblich, dass das diplomatische Korps eingeladen wird.
Was die Daten des Besuchs des neu gewählten Präsidenten Karol Nawrocki betrifft, so ist unsere Einladung offen. Wir sind sehr daran interessiert, so bald wie möglich einen Dialog zwischen den Staatschefs der Länder herzustellen. Wir sind offen für die Erörterung inhaltlicher Fragen auf unserer Tagesordnung. Daher warten wir auf den Besuch des Präsidenten des befreundeten Polens in der befreundeten Ukraine und wir brauchen nicht für diese Einladung auf symbolische Daten warten.
Die Ukraine plant die Eröffnung neuer Konsulate in Rzeszów und Posen. Werden diese Konsulate schon in diesem Jahr eröffnet oder ist dies eher eine ferne Perspektive?
Wir planen in der Tat, die ukrainische Konsularpräsenz in Polen zu stärken, um den Schutz unserer Bürger zu stärken. Das ist eine der Prioritäten, die nach der Beratung der Leiter diplomatischer Institutionen (der Ukraine) noch einmal festgelegt wurde. Daher planen wir, das Konsulat in Rzeszów bis Ende des Jahres zu eröffnen. Ein weiteres Konsulat wird in Posen eröffnet. Wir arbeiten derzeit intensiv an der Lösung logistischer Fragen und mit Personal. Aber diese konkreten Lösungen zielen auf die Stärkung des Schutzes unserer Bürger ab. Polen ist eines der Länder mit der größten Zahl ukrainischer Bürger, und wir möchten, dass sie die Fürsorge ihres Staates spüren.
Herr Minister, auf der gemeinsamen Pressekonferenz sprachen Sie und Vizepremierminister Sikorski gleich über drei Pakete polnischer Militärhilfe für die Ukraine. Worauf liegt jetzt der aktuelle Schwerpunkt der Verteidigungskooperation zwischen Kyjiw und Warschau? Was benötigt die Ukraine derzeit am meisten von Polen, und in welchen Bereichen möchte Warschau am liebsten mit der Ukraine zusammenarbeiten?
Wir haben in der Tat die Frage der weiteren Zusammenarbeit im Verteidigungssektor angesprochen. Wir dankten für das 46. Paket und besprachen die nächsten Pakete, die von polnischer Seite vorbereitet werden. Natürlich teilen wir unseren Partnern stets die wichtigsten Prioritäten mit, die unsere Soldaten auf dem Schlachtfeld benötigen. Ich werde diese Themen nicht verraten, da sie sensibel sind und Schweigen mögen. Der Feind wird über diese Entscheidungen auf dem Schlachtfeld durch die Effektivität unserer Soldaten erfahren. Aber zum Beispiel die Piorun-Systeme (tragbare Flugabwehrsysteme Piorun, Anm. d. Red.). Die polnischen Piorun-Systeme sind sehr effektiv, sie sind auf dem Schlachtfeld getestet, und wir sind bereit, sie zu kaufen. Und das war eines der Gesprächsthemen mit Herrn Sikorski bezüglich der Möglichkeit des Erhalts eines Kredits. Mithilfe dieses Kredits sind wir bereit, Produkte der polnischen Verteidigungsindustrie bei Polen zu kaufen. Polen hat eine gute Tradition in der Herstellung von Verteidigungsprodukten, und wir sind bereit, die Möglichkeit ihres Kaufs zu prüfen. Die Ukraine ist daran interessiert, und ich habe das im Gespräch mit Herrn Sikorski erneut bestätigt. Die polnischen Krab-Systeme sind ebenfalls sehr effektiv. Es ist offensichtlich, dass während eines Krieges in einem im Krieg befindlichen Land nie genügend Waffen vorhanden sein werden. Deshalb werden wir natürlich auch über die Koproduktion sowohl auf ukrainischem als auch auf polnischem Territorium sprechen. Das ist ein gemeinsames Interesse, ein für beide Seiten vorteilhaftes Interesse, und das ist ein Beitrag zu unserer gemeinsamen Zukunft.
Bittet die Ukraine Polen um einen Verteidigungskredit bei einem festem Betrag?
Ja, wir haben über einen Kredit in Höhe von 120 Millionen Euro gesprochen.
Bei dem kürzlichen Treffen mit Minister Sikorski in Lublin haben Sie Pläne zur Gründung eines Forums der Historiker des Lubliner Dreiecks besprochen. Wie stehen die Aussichten für die Gründung dieses Forums, womit werden sich die Historiker befassen und wie sieht der ukrainisch-polnische Geschichtsdialog jetzt aus?
Ich glaube, wir haben auf diesem Weg bedeutende Fortschritte erzielt. Wir haben eine zwischenstaatliche Kommission eingerichtet. Sowohl die ukrainische als auch die polnische Seite haben heute damit begonnen, entsprechende Genehmigungen für Such- und Exhumierungsarbeiten zu erteilen. Und was die polnische Seite betrifft, so sind in einer der Siedlungen auf ukrainischem Territorium bereits Such- und Exhumierungsarbeiten durchgeführt worden. Das ist sehr wichtig. Diese Frage, die unsere freundschaftlichen Beziehungen so viele Jahre lang belastet hat, muss in solcher Konnotation gelöst werden. Es muss sich weiter korrekt entwickeln, und es darf keine Hindernisse auf diesem Weg geben.
Bei diesem Treffen haben wir die Schaffung eines Historikerforums angesprochen. Im Rahmen des Lubliner Dreiecks haben wir ein Koordinatoreninstitut. Nach dem Außenministertreffen haben wir die Koordinatoren beauftragt, ein Konzept sowohl für dieses Projekt eines trilateralen Historikerforums als auch für weitere Vereinbarungen, die umgesetzt werden müssen, auszuarbeiten. Das befindet sich jetzt in der Entwicklungsphase und wird auf höchster Ebene geprüft und genehmigt. Ich hoffe, dass wir in dieser Richtung schnell vorankommen werden.
Jurij Banachewytsch, Warschau
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