Jana Puglierin, Expertin bei European Council on Foreign Relations
Ich glaube, wenn es in Deutschland eine neue Regierung gibt, wird sie sich der „Koalition der Willigen“ anschließen
02.05.2025 21:28

Die euro-atlantischen Beziehungen, die fast 80 Jahre lang ein Garant für Sicherheit und Wohlstand für großen Teil Europas waren, sehen heute schon nicht mehr unerschütterlich aus. Die Staaten des Kontinents betonen weiterhin in jeder Hinsicht die Notwendigkeit fester Beziehungen zu Washington, erkennen jedoch zunehmend, dass es sich nicht mehr lohnt, sich auf die USA zu verlassen, und versuchen, ihre eigene Sicherheit vor Russland zu stärken, das keine Bereitschaft zeigt, von seinen aggressiven Plänen abzuweichen. Deutschland wird bald eine neue Regierung bekommen, und wie es erwartet wird, wird sie ihren außen- und sicherheitspolitischen Verpflichtungen mehr Aufmerksamkeit schenken.

In einem Interview mit Ukrinform erläuterte Jana Puglierin, bekannte Sicherheitsexpertin des European Council on Foreign Relations, ihre Sicht auf die Risiken durch Russland, eine mögliche Teilnahme Deutschlands an der „Koalition der Willigen“ und warum es in den USA keinen Widerstand gegen Trumps Handlungen gibt, die von außen für viele destruktiv erscheinen.

Europa schätzt diese transatlantische Beziehungen so sehr. Kann es so sein, dass Europa wird versuchen, US irgendwie beschwichtigen und die Ukraine zu opfern, um diese Beziehungen zu sichern?

Ich weiß es nicht, das ist meine ganz ehrliche Antwort.

Ich glaube, es gibt 'n sehr großes und gewachsenes Bewusstsein in Europa, dass man mit dieser Tramp Administration nicht zusammenarbeiten kann. Das ist was verändert hat im Vergleich zur ersten Tramp Administration. Da war es ja noch so, dass grade in Mittel- und Osteuropa die Erfahrung der Länder positiv war eigentlich, die gesagt haben, wir ziehen mehr amerikanische Truppen bei uns und Trump ist im Prinzip verlässlicher als eine europäische Sicherheitsgarantie. Ich glaube, dass hat sich verändert. Also der Blick auf die Amerikaner wird differenzierter.

Was wir aber natürlich noch nicht so gesehen haben ist, was passiert, wenn die Amerikaner die Europäer unter Druck setzen? Und es gibt ja großes Erpressungspotenzial, ähnlich wie mit der Ukraine, mit dem Abschneiden von militärischer Hilfe oder von Information. Kann man als Amerikaner natürlich auch sagen, wenn ihr unseren Deal, den wir da unbedingt durchsetzt wollen, nicht akzeptieren, dann müssen wir noch mal uns das überlegen mit dem NATO Gipfel, was wir da sagen. Und also wir haben noch nicht offen gesehen, dass es quasi so eine Verknüpfung gibt mit dem amerikanischen Bekenntnis zu europäischer Sicherheit und zum Beispiel der europäischen Unterstützung für einen Friedensdeal. Wenn so eine Situation entstünde, bin ich mir nicht sicher.

Also Trump hat sich „radikalisiert“?

Ich glaube nein. Ich glaube, dass Trump in der ersten Amtszeit unvorbereitet war und eingehegt wurde von, das nannte man damals die Erwachsenen im Raum. Als er quasi an die Macht kam, da war die Republikanische Partei noch voll von traditionellen Republikanern mit einem traditionellen außenpolitischen republikanischen Verständnis. Da war John McCain eher die Regel und nicht die Ausnahme. Als Trump zum zweiten Mal an die Macht gekommen ist, hat sich die in der Zeit, in der Zwischenzeit die Republikanische Partei maßgeblich verändert und Trump war die Regel und John McCain war die Ausnahme. (Also er war dann schon tot, McCain).

Das heißt, Amerika hat sich verändert und die Leute um Trump herum haben im Vorfeld sehr gut gearbeitet. Es gibt jetzt Pläne, es gibt Personal. Das heißt, Trump wird nicht mehr eingehegt wie in der ersten Amtszeit, sondern er ist quasi entfesselt und es wird ihm ermöglicht, seine Politik durchzusetzen.

Ich nehme das an, dass über NATO Mitgliedschaft sprechen wir zurzeit einfach nicht. Welche Sicherheitsgarantien gibt's für die Ukraine dann?

Also ich glaube, dass die Europäer, also nicht alle Europäer, aber das ist ja grade in den Koalitionen der Willigen unter Führung von Frankreich und Großbritannien darüber eine große Diskussion gibt. Ich glaube, es gibt ein Bewusstsein in Europa, dass ein Waffenstillstand oder ein Deal, ich würd es nicht Frieden nennen, nur stabil sein kann, wenn es Sicherheitsgarantien gibt und dass man sonst nur eine Pause hat oder dass die Ukraine eine Atempause bekommt und dann der Krieg wieder losgeht.

Der Europäer fällt das sehr schwer, wenn man mal realistisch da drauf guckt. Es geht einmal die Zahl von verfügbaren Truppen. Dann haben die Europäer quasi ja eine doppelte Herausforderung. Sie wissen nicht mehr, ob die Amerikaner quasi im NATO Rahmen sich noch verpflichtet fühlen. Das heißt, viele Länder an der Ostflanke der NATO -Polen, Baltikum -haben Sorge, dass man, wenn man eine Truppe, Soldaten in die Ukraine schickt, dass man die wegnimmt quasi von den Truppen, die im Land stationiert sind. Und da gibt es keine Einigkeit und dann ist, glaub ich, die Grundfrage nicht gelöst. Ich glaub, es gibt diese Überlegungen, dann kann ja in verschiedenen Formen, wie so eine Truppenpräsenz ist. Ich glaub, die Amerikaner haben sich noch nicht kollektiv oder in dieser Koalition darauf verständigt, welches Risiko sie nehmen wollen. Diese Frage, was passieren würde, wenn zum Beispiel russische Drohnen europäische Soldaten töten und was das in der Konsequenz für die Europäer bedeutet und ob sie dann bereit wären, auch den Konflikt mit Russland weiter zu eskalieren. Diese Frage, der geht man irgendwie aus dem Weg, hab ich das Gefühl.

Aber ich glaube schon, dass also, ich komme nun auch aus Deutschland, das ist ja, hat ja auch keine so gute Rolle gespielt bei NATO Mitgliedschaft der Ukraine und so wir waren ja auch Bremser.

Aber ich glaube, dass es schon ein Bekenntnis gäbe für eine langfristige Unterstützung der Ukraine auf vielerlei Ebenen. Einmal die Unterstützung der ukrainischen Rüstungsindustrie, also quasi Bereitwilligkeit da für Investitionen und Aufbau, weitere Trainings, weitere auch das Bereitstellen von Fähigkeiten. Also und also die Idee, die viele hier in Berlin in den letzten Jahren immer wieder geäußert haben, ist diese Idee des Israel Modell im Prinzip.

Ich finde das immer 'n bisschen schwierig, wenn man das nicht übertragen kann, weil Israel verfügt über Nuklearwaffen ((also wir gehen davon aus) und die Ukraine nicht.

Aber es gibt ein großes Bewusstsein, aber für mich haben die Europäer viel zu lange so in der zweiten Reihe gesessen und sich eigentlich auf die Amerikaner verlassen.

Koalition der Willigen... Warum Deutschland ist nicht da? Wegen politische Situation oder?

Ich glaube ja. Na ja, wir haben ja jetzt seit Herbst 2024 keine Regierung mehr, insofern ist das in dieser Übergangszeit schwierig. Ich glaube schon, dass wenn wir jetzt die neue Regierung haben, Friedrich Merz sich da engagieren wird. Das ist meine große Erwartung. Die Frage, ob Deutschland dann tatsächlich auch bereit ist, Truppen zu schicken, wurde noch nicht entschieden. Und das weiß ich auch nicht, wie das ausgeht, weil ich finde in der Terrorsdebatte man auch immer wieder verschiedene Äußerungen gehört hat.

Und SPD in der Regierung…

SPD ist in der Regierung.

Ich glaube aber, dass, wenn Deutschland das ernst meint mit Führungsrolle in Europa und wir wirklich eine Europäische Koalition sehen, dass die Deutschen nicht darum herumkommen, sich zu beteiligen. Aber was momentan diskutiert wird, es gibt ja unterschiedliche Formen der Beteiligung. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Deutschen zum Beispiel 'n Sanitätskorps bereitstellen, also dass es nicht Kampftruppen geht oder dass sie weiter sagen, wir bilden, also dass sie sich beteiligen an dieser Koalition, aber nicht an vorderster Stelle. Und wie gesagt, diese Frage, wie reagiert diese Truppe, dieser Schutz oder Reassurance Force wie sie ja genannt wird im Falle, dass Putin das testet. Ich glaube, da gibt es doch keine Entscheidung.

Putin ist ein Diktator, der stoppen einfach nicht. Denken Sie, dass Putin weitergeht und nicht nur mit der Ukraine zufrieden wird?

Auch das weiß ich nicht. Ich glaube, was wir schon sehen, ist ein hybrider Krieg gegen Europa. Das sieht man sehr deutlich und jeden Tag.

Aber es ist nicht konventioneller Krieg...

Nicht konventionell, aber das, es muss ja nicht weniger zerstörerisch sein auf vielen Ebenen. Also ich glaube, dass es ja auch schon vor dem Februar 2022 so war und das ist auf jeden Fall, glaub ich, etwas, was weitergehen wird.

Meine persönliche Theorie, aber es gibt ja viele Theorien, warum es 2022 zu dem Angriff kam, ist nicht unbedingt, dass Putin das schon ganz lange geplant hat, sondern dass es aus vielerlei Gründen plötzlich eine Gelegenheit oder dass quasi man aus so dem Zusammenspiel von mehreren Faktoren, zum Beispiel auch der Abzug der Amerikaner aus Afghanistan, der Wahrnehmung, dass Biden ein schwacher Präsident ist, ich glaube, in der falschen Interpretation, was in der Ukraine passiert.

Also die Sternen so zusammengekommen sind.

Ja, also so in einer Art und Weise, dass plötzlich eine Gelegenheit da war, und dass quasi diese Kosten Nutzen Rechnung oder das Risikodenken bei Putin so war, dass man gesagt hat, okay, wir machen das jetzt.

Ich glaube, dass es ihm geht um die Kontrolle der Ukraine. Ich glaube, er hat lange versucht, das über den Minsk Prozess hinzubekommen, hat dann gemerkt, das klappt nicht. Und das war ja, eben so die Sterne standen plötzlich günstig. Und ich würde nicht ausschließen, dass es in der Zukunft eine Konstellation der Sterne gibt, die es attraktiv machen, zum Beispiel ein baltisches Land anzugreifen und es zu testen. Wenn, ich glaube ja schon zu verstehen, dass das übergeordnete Ziel eigentlich die Neuordnung der europäischen Sicherheitsordnung ist, analog der Verträge von Dezember 2021, die der NATO und den USA vorgelegt wurden.

Und da dazu gehört dann auch die Amerikaner aus Europa herauszudrängen. Das machen die Amerikaner vielleicht jetzt von ganz alleine. Dazu gehört, aber ja, die Europa in verschiedene Sicherheitszonen zu unterteilen. Und das ist für die, sag ich auch immer, versucht zu erklären den Europäern, wenn die sagen, na ja, aber Russland also hat es jetzt seit 3 Jahren nicht geschafft, Kiew einzunehmen, warum sollen die kurz vor Berlin stehen? Hab ich gesagt: das ist für mich nicht das Szenario. Also für mich ist das Szenario, dass es einen Testfall zum Beispiel im Baltikum gibt, einem EU Land und wir dann nicht da sind und dann ist die EU tot und die NATO tot und dann ist es schon so dass wir dann die Basis verlieren für unsere Wirtschaftliches und gesellschaftliches Model. Ich halte das nicht für ausgeschlossen, dass es eben eine solche Situation geben könnte.

Olha Tanasijtschuk, Berlin

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