Die EU-Integration ist für Deutschland eine wichtige Frage, deutsche Politiker betonten das mehrmals. Wie der Prozess voranschreitet, über Erfolge Herausforderungen beriet diese Woche in Berlin eine Expertenkonferenz. Es gibt viele Fragen, auf die antwortete ebenfalls der erste stellvertretende Vorsitzende des ukrainischen Parlaments Oleksandr Korniyenko.
Während seines Besuchs nach Deutschland sprach der Vize-Parlamentschef auch mit der Journalistin von Ukrinform und erzählte darüber, wie die Ukraine mit ihren ausländischen Partnern Kontakte während des Krieges aufbaut, ob diese Druck auf Kyjiw bezüglich der Wahlen ausüben, welche „Überraschungen“ auf uns im Gesetzgebungsprozess auf dem Weg zur EU warten können sowie teilte seine Gedanken zum Thema „Parlamentarier auf der Flucht“ mit.
In Deutschland müssen wir mit allen Politikern, die Ukraine unterstützen, und der Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeiten
Herr Korniyenko, erzählen Sie uns bitte mehr über den Zweck Ihres Besuchs nach Berlin.
Der Besuch war vor dem Beginn des Wahlkampfes geplant, bevor bekannt wurde, dass es hier Neuwahlen geben wird. Deswegen waren die Pläne etwas anders und wir haben sie im Laufe der Zeit angepasst.
Im Mittelpunkt stand die Konferenz „Pathways to Progress: Germany-Ukraine Dialogues on Rule of Law for EU Accession”, Treffen mit einigen Freunden der Ukraine, darunter mit dem Vorsitzendem der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag Robin Wagener. Wir sprachen mit Vertretern von Denkfabriken, also mit jenen, die Einfluss auf die Politikgestaltung haben.
Ich würde nicht sagen, dass es dabei um neue Themen handelte, dass wir „bei Null anfangen“ mussten. Derzeit sind das die Themen der EU-Integration, der Öffnung des nächsten Verhandlungsclusters, daran arbeiten wir in diesem Jahr während der polnischen Ratspräsidentschaft. Von dem dänischen Vorsitz im Rat erwarten wir auch positive Entscheidungen für die Ukraine.
Das ist auch die Kommunikation über Prozesse in unseren Partnerländern, insbesondere in Deutschland, das eines der wichtigsten Länder in Europa ist. Ich möchte daran erinnern, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Deutschland vertritt, deutsche Abgeordnete sind im Europaparlament sehr zahlreich und einflussreich. Und das ist eines der Länder, das uns derzeit in der EU am meisten hilft, darunter mit Waffen und einer der größten Beitragszahler des EU-Programms Ukraine Facility ist. Darüber hinaus unterstützt Deutschland weiterhin auf hohem Niveau mehr als 1,1 Millionen Ukrainer, die gezwungen wurden, dort Schutz vor dem Krieg zu suchen.
Deshalb müssen wir weiter beharrlich und konstant mit Deutschland arbeiten und dabei verstehen, dass hier ihre eigenen politischen Prozesse, Wahlen stattfinden. Wir müssen uns um Kontakte mit allen "Flügeln" bemühen, mit allen Kräften, die natürlich die Ukraine unterstützen, sowie mit der deutschen Gesellschaft zusammenarbeiten, damit sie besser versteht, was passiert, wofür wir kämpfen, mit welchen Problemen wir derzeit konfrontiert sind, was wir für die EU-Integration tun, wo wir versuchen, sehr schnell und proaktiv zu sein, ohne dabei unseren auf Leistungen ausgerichteten Ansatz aus den Augen zu verlieren und Ergebnisse zu erzielen.
Das Thema der Nachkriegswahlen und der Wiederherstellung der Demokratie wurde diskutiert. Das ist das wichtige Thema. Meine Kollegen, Vertreter der Zentralen Wahlkommission der Öffentlichkeit sprachen in Berlin über eine riesige Bandbreite an Herausforderungen. All diese Herausforderungen sind uns im Parlament natürlich auch bekannt und werden ebenfalls bereit sein, sobald es die Sicherheitslage erlaubt. Doch wir sind uns darüber im Klaren, dass für jeden Wahlkampf der Krieg beendet werden und ein gerechter Frieden für die Ukraine herrschen muss. Dann können wir mit der Planung und Durchführung aller leider schon verpassen Wahlen beginnen.
Es gibt Fragen bezüglich der Wahlen, es gibt aber keinen Druck
Üben unsere westliche Partner Druck auf uns wegen der Wahlen aus?
Westliche Partner fordern von uns bezüglich der Wahlen noch nichts
Bisher verlangt niemand etwas von uns. Doch dazu gibt es viele Fragen. Wir geben unsere Antworten. Auf der Konferenz wurden erneut Fragen zu den möglichen Wahlen gestellt. Wir erläutern alles.
Es gibt ukrainische Gesetzte und alle, die sich mit diesen Themen befassen möchten, sollten sich mit diesen vertraut machen. Die Verfassung, das Gesetz über das Kriegsrecht und die Wahlgesetze regeln ganz genau die Fragen der Präsidenten- und Parlamentswahlen und die Legitimität dieser Institutionen und ihrer Vertreter.
Es gibt kleinere Probleme im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen, aber ich denke, dass wir sie in diesem Jahr lösen werden. Ich bin der Meinung, dass während des Krieges nicht einmal Kommunalwahlen abgehalten werden sollten.
Wir wissen, was die Gesellschaft darüber denkt und dass sie diese Idee nicht unterstützt (Durchführung der Wahlen – Red.). Und letztlich sollten diejenigen, die zur Durchführung der Wahlen raten, einfach in die Ukraine kommen und dort eine Woche lang unter Drohnenangriffen leben, wenn es drei bis fünf Luftalarme in Kyjiw und anderen Großstädten, ständige Angriffe gibt. Es gibt einfach keinen Grund, unter solchen Bedingungen von einem demokratischen Wahlkampf zu sprechen.
Erklären Sie bitte die Kommunalwahlen…
Es ist bei uns nicht ganz klar, was damit zu tun ist, dass die Befugnisse der Kommunalbehörden, der örtlichen Selbstverwaltung auslaufen. Die Amtsperiode ist klar in der Verfassung festgelegt worden – 5 Jahre. Im Dezember 2025 läuft also bei der Mehrheit der Leiter von Gemeinden und der Abgeordneten ihr Mandat aus. Eine kleine gesetzgeberische Korrektur ist also notwendig, damit sie weiter ihre Befugnisse ausüben könnten, wenn das Kriegsrecht erneut verlängert wird und es wird am Jahresende 2015 unmöglich sein, die Wahlen durchzuführen.

PARLAMENTSBEZIEHEN WÄHREND DES KRIEGES ERHEBLICH AUSGEBAUT
Deutschland steht vor eigenen vorgezogenen Wahlen bevor. Wir sind selbstverständlich bereit, Kontakte mit allen demokratischen Parteien zu unterstützen…
Wir haben doch immer mit den Vereinigten Staaten, Frankreich, dem EU-Parlament, überall so zusammengearbeitet. Wir schätzen Unterstützung verschiedener Parteien und arbeiten daran, damit diese Unterstützung der Ukraine fortgesetzt wird,
Alle politischen Kräfte in Deutschland, die die prorussische Rhetorik nicht ausnutzen, auf diese oder andere Weise ihre Unterstützung angekündigt hatten. Darüber hinaus sind ihre Vertreter in der aktuellen Regierung - wenn wir über die Sozialdemokratische Partei, die Grünen, die Freie Demokratische Partei sprechen - absolut entschlossen, die Ukraine zu unterstützen. Auch seitens des konservativen Blocks - Konservative, Christdemokraten – gibt es Unterstützung. Sie schlugen Resolutionen vor, wodurch die Ukraine-Frage im Bundestag sehr ernsthaft vorangetrieben wurde.
Wen das deutsche Volk wählt, ist sein souveränes Recht, wir dürfen das nicht beeinflussen. Unsere Sache, unsere Rolle sind das, Beziehungen zu allen Parteien zu pflegen, die die Ukraine unterstützen. Im Grunde genommen ist dem auch meine Tätigkeit während meiner Besuche, der Besuche meiner Kollegen gewidmet, die hier oft sind. Die Vertreter des Bundestags besuchen auch oft das ukrainische Parlament. Das ist eine seit Jahren etablierte Zusammenarbeit, die bei uns sehr gut läuft.
Kann die Zusammenarbeit auf parlamentarischer Ebene während des Krieges im Prinzip als „normal“ bezeichnet werden?
Während der Kriegsjahre wurde die parlamentarische Diplomatie bei uns erheblich ausgeweitet und es gibt mehr Abgeordnete, die daran teilnehmen. Das ukrainische Parlament wurde mehrmals eine Tribüne für Reden ausländischer Gäste auf höchster Ebene, insbesondere haben die Leiter europäischer Institutionen mehrmals die Rede gehalten, wie etwa Frau Roberta Metsola und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Auch Vertreter des Deutschen Bundestages kamen zu Wort. Dies alles ist normale Arbeit.
Wenn wir über das Niveau und die Zahl der Auslandskommunikationen sprechen, sind diese heute um ein Vielfaches größer als vor der groß angelegten Invasion. Zuvor waren ukrainische Vertreter nicht die Teilnehmer der Gipfeltreffen der G7-Vertreter, mittlerweile geschieht dies jedoch regelmäßig. Wir waren nicht die Teilnehmer solcher hochrangiger Treffen im Europäischen Parlament, in absolut verschiedenen Parlamenten auf der ganzen Welt, aber jetzt sind wir es. Unser Präsident der Werchowna Rada war vielleicht in den meisten Parlamenten europäischer Länder und hat in vielen von ihnen Reden gehalten.
Genauso wuchs bei uns auch die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der westlichen Welt (hierfür bin ich mehr verantwortlich), und unsere Delegation bei der Interparlamentarischen Union hat in diesen drei Jahren mehr als 200 Treffen abgehalten, die Hälfte davon auf hoher Ebene, mit Kollegen aus aller Welt.
Unsere Geographie erweitert sich sehr, ich war viele Male in Afrika, eine große Delegation arbeitet mit Lateinamerika. Vor Kurzem fand in Kyjiw der erste interparlamentarische Gipfel mit lateinamerikanischen Ländern statt, an dem Vertreter aus mehr als zehn Ländern teilnahmen.
Wir arbeiten beispielsweise mit Parlamenten in Südostasien zusammen. Natürlich sind es der europäische Kontinent, G7, G20 und Parlamente der großen Länder. Es findet eine Kooperation mit der indischen Seite und mit Ländern statt, die geographisch weit von der Ukraine entfernt sind, aber sehr wichtig sind.
Deshalb denke ich, dass dies aus einem schlechten Grund aber unserer parlamentarischen Arbeit neuen Anstoß gab.
Wie viele Personen zählt die Freundschaftsgruppe mit Deutschland in der Werchowna Rada?
Dies ist eine der größten – 55 Teilnehmer.

Der Leiter einer solchen Gruppe im Bundestag, Robin Wagener, sagte in seiner Rede auf der Konferenz, er träume davon, dass ein ukrainischer Abgeordneter im Europaparlament über europäische Angelegenheiten entscheidet. Haben Sie auch so einen Traum?
Natürlich!
Ich denke, dass sich das in den letzten drei Jahren schon von der Kategorie der Träume in die Kategorie der Pläne wandelt: Wie kann man das so planen, dass dies bereits im Jahr 2029 geschieht und nicht erst in dem Parlament 2034. Es hängt schon von uns mit Herrn Wagener, mit Ursula von der Leyen, Roberta Metsola, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, und mit unserer gesamten Koalition von Freunden ab.
Wir möchten diesen Weg in fünf Jahren geschafft haben und schon zur Phase der Entscheidungsfindung auf Länderebene übergehen. Es gibt zwar eine bestimmte Tradition, dass Länder nach Wahlen entscheiden. Das muss man verstehen, und vielleicht wird das uns auch betreffen.
Aber ich denke, wir werden darauf hinarbeiten, dass wir so schnell wie möglich Mitglied der Europäischen Union werden können, denn für die Ukraine ist das wirklich ein riesiger Wert und eine Wahl des Volkes, eine existentielle.
Wir verstehen auch, dass es ohne wirtschaftliche Zusammenarbeit, ohne andere Märkte, von denen es viele gibt und denen wir uns bereits allmählich anschließen, wie zum Beispiel der digitale Markt, für uns schwierig sein wird, die Wirtschaft in dem Tempo zu entwickeln, in dem sie sich entwickeln sollte, wenn die Sicherheitsbedingungen dafür geschaffen werden, wenn der gerechte Frieden hergestellt wird.

Glauben Sie etwa, dass der Gesetzgebungsblock im Prozess der europäischen Integration keine großen Probleme bereiten wird?
Das würde ich so nicht sagen.
Wenn diese 5.000 Akte erscheinen, werden verschiedene Diskussionen zu verschiedenen Themen und zu verschiedenen Akten beginnen.
Die Gesetzgebung der Europäischen Union ist breit und umfasst viele Bereiche. Nicht allen Bereichen wird es leicht fallen, diese Veränderungen zu akzeptieren. Dies wird sich auch in der Arbeit des Parlaments widerspiegeln.
Aber wenn wir über Fundamentals (Cluster „Grundlagen des EU-Beitrittsprozesses“ – Red.) sprechen, dann sind wir schon recht weit fortgeschritten, weil viele Reformen durchgeführt worden waren, bevor wir Kandidat wurden. Einen Teil dieser Reformen haben wir bereits umgesetzt, als wir den Kandidatenstatus erhielten. Dies gilt insbesondere für die laufende Justizreform, die Antikorruptionsreform, die Medienreform.
Ich denke, dass Branchencluster für etwas mehr Diskussionen sorgen werden. Weil es sozusagen die Interessen bestimmter Geschäftsleute, bestimmter Großunternehmer, bestimmter starker Industrien treffen wird. Das wird man mit den Ukrainern aktiver und lebhafter besprechen müssen.
Wir fordern die Partner auf, ich habe darüber auf der Konferenz gesprochen, mehr Bemühungen auf die Kommunikation zu richten. Denn im Moment ist es unser großer Traum, aber wenn die Leute einige Einzelheiten darüber erfahren werden, lässt die Begeisterung nach. Die Zahl derer, die einem Beitritt gegenüber eher zurückhaltend sind, wird wachsen. Man muss verhindern, dass es bei uns zu viele EU-Skeptiker gibt (die es geben wird, das ist normal, denn sie leben in den EU-Ländern, und die Hälfte von ihnen ist hier), damit wir diese Fortschritte aufrechterhalten können.
Wenn wir schon über die Interessen der Geschäftsleute sprechen. Hier können vielleicht auch die Interessen von Politikern, insbesondere von Abgeordneten sein … Sie haben kürzlich gesagt, dass gegen 8,5 Prozent der Werchowna Rada der 9. Legislaturperiode Verdacht angeordnet wurde. Können Sie die Situation kommentieren?
Das habe ich mir doch nicht ausgedacht. Das steht im „Tschesno“-Bericht. Sie haben einfach geschrieben, dass mindestens 50 Anschuldigungen erhoben wurden, vielleicht auch mehr. Ich habe einfach mit dem Taschenrechner ausgerechnet, dass es 8,5 Prozent sind.
Nun ja, schauen Sie mal, in solchen Fällen ist der Weg der Statistik vielleicht nicht ganz korrekt, denn jeder Verdacht ist immer noch ein Fall, den man gesondert behandeln muss. Es kann Verdacht für eine Falscherklärung geben und dann hat die Person das durch Gerichtsentscheid zugesprochen bekommen. Es kann einen Hochverrat geben, leider gibt es in dieser Legislaturperiode solche Fälle. Na, dann muss man natürlich absolut kompetent ermitteln, das zu einem Urteil bringen und alles dafür tun, dass unsere respektlosen ehemaligen Kollegen zur Rechenschaft gezogen werden. Hier und da handelt es sich um einen Verdacht wegen bestimmter Korruptionsfälle, hier muss das Antikorruptionssystem funktionieren, der Oberste Antikorruptionsgerichtshof muss sein Urteil fällen.
Wie können Abgeordnete, die illegal ins Ausland ausgereist sind, in die Ukraine zurückgebracht werden?
Hier muss schon bestimmt das Strafverfolgungssystem funktionieren, denn wir als Präsidium der Werchowna Rada haben lediglich das Instrument der Aufforderung: Wir rufen alle Abgeordneten auf, an die das Strafverfolgungssystem Fragen hat, wo auch immer sie sich befinden, in die Ukraine zurückzukehren, die erforderlichen Antworten zu geben, oder zumindest mit den Strafverfolgungsbehörden Kontakt aufzunehmen.
Das ist ein unwürdiges Verhalten eines Abgeordneten.
Über wie viele Personen sprechen wir?
Soweit ich weiß, gibt es davon nicht viele, derzeit werden 2-3 gesucht.
Sie haben kürzlich gesagt, dass in den Logen kugelsicheres Glas eingebaut werden müsse, damit Journalisten vom Sitzungssaal an ihre Arbeit zurückkehren können. Wann werden Journalisten Ihrer Einschätzung nach wieder zur normalen Arbeit zurückkehren können?
Es hängt von den Sicherheitsbedingungen ab, das sagen wir immer. Nicht wir regeln das. Sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen werden, werden für Journalisten wieder alle Möglichkeiten zurück geschafft.
Und zum Schluss: Was möchten Sie den Lesern sagen?
Wir versuchen immer, wenn wir uns an Wähler und Leser wenden, zu sagen: Unterstützt die Front, unterstützt die Jungs. Spenden Sie. Wir machen das auch.
Interessieren Sie sich für die europäische Integration, schauen Sie was das ist, machen Sie sich damit vertraut, denn viele Momente unseres Lebens werden wirklich unter dieser Flagge passieren.
Möge das Jahr 2025 das Jahr des Kriegsendes und eines gerechten Friedens für die Ukraine sein!
Olha Tanasijtschuk, Berlin