Maryna Bondas, deutsche Geigerin und Volontärin ukrainischer Herkunft

Menschen im Frontgebiet verbinden Musik mit dem Frieden

Beim Ansehen einer Geigerin, die in einem Konzertsaal oder beim Gottesdienst in Berlin speilt, kann man sich nicht gleich vorstellen, wie dieses Mädchen die Nationalhymne der Ukraine in einem durch Geschosse zerstörten Haus direkt an der Frontlinie in Awdijiwka spielt. In Awdijiwka, die trotz einer erneut ausgerufenen Waffenruhe bombardiert wird.

Marina Bondas, ehemals Einwohnerin von Kiew, die seit 1992 in der deutschen Hauptstadt lebt, spielt als erste Geigerin im Sinfonieorchester des Berliner Rundfunks. Trotz der ganzen professionellen Belastung verschont Marina weder Zeit noch Kraft noch persönliche Mittel, um Menschen zu helfen, die sich in der Hölle des Krieges befinden, den Russland in der Ostukraine angezettelt hat: Benefizkonzerte und Auktionen, Ausflüge in die Städte an der Frontlinie, Organisation von Sommer-Camps für Kinder in Deutschland...

Wie alles begann, und wie die Musik den Menschen mit verwundeten Seelen helfen kann, hat Marina in einem Interview mit der Ukrinform-Korrespondentin erzählt.

Marina, unsere Nachrichtenagentur hat mehrmals über das wohltätige Projekt Heart for Ukraine geschrieben, Teil dieses Projekt ist Ihr Projekt Musik Rettet. Wie begann alles?

Bei mir begann alles wie bei allen, mit humanitärer Hilfe. Eine Weile koordinierte ich die medizinische Versorgung hier, aber es war sehr schwer, denn ich habe nichts mit der Medizin zu tun. Ich wollte effektiver helfen.

Ich teilte den Volontären in der Ukraine mit, dass ich bereit bin, die Krankenhäuser, Rehabilitationszentren, Zentren für Flüchtlinge zu besuchen. Einige Menschen haben reagiert. Sie haben vorgeschlagen, nach Kramatorsk zu kommen. Als ich nach Kiew gekommen bin, hat man mich angerufen und gesagt, dass ich in Slowjansk erwartet werde. Ich hatte kaum Zeit, die Fahrkarten zu kaufen. Ich fuhr für 2 Tage und bleib 5 Tage. Ich hatte mehrere Konzerte am Tag.

So hat alles angefangen. Weiter ging alles von selbst. Zuerst fuhr ich hin nur mit Konzerten, allmählich entwickelte sich alles zu einem Rehabilitationsprogramm.

Im Jahr 2015 entstand das Projekt Heart for Ukraine.

Lassen Sie uns ausführlicher über das Projekt Musik Rettet reden. In diesem Sommer werden Sie zum dritten Mal ein Sommerrehabilitationscamp für Kinder organisieren.

In diesem Jahr werden es 2 Gruppen je 20 Kindern sein: eine aus Awdijiwka, die zweite aus Marjinka (18 neue Personen plus zwei aus vorherigen Gruppen, sie werden den Erziehern helfen). Eine im Juni und die andere im Juli. Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren, aber manchmal gibt es Ausnahmen, wir schätzen nach der Situation ein.

Als ich im Frühling 2016 zum ersten Mal nach Awdijiwka kam, habe ich verstanden, dass die Kinder von dort genommen werden müssen. Ich versuche, mich auf die „Grauzone“, auf Awdijiwka, Marjinka zu konzentrieren.

Dieses Projekt ist eigentlich ziemlich groß. Es beschränkt sich nicht nur auf das Sommercamp in Deutschland. Sein zweiter Teil passiert direkt in der Kampfzone. Wenn man diese Kinder sieht, wenn sie völlig mit der Alltagsstimme über die Angriffe, mit Witz, erzählen, dann bewegen sich die Haare. Die Region ist ziemlich schwierig, dort überschneidet sich alles, Kriegstrauma und soziale Probleme. Wir nehmen die Kinder, hauptsächlich aus der Anzahl der Waisen, Halbwaisen, die in der Obhut sind. Wenn man mit diesen Kindern arbeitet, kann man ihnen noch helfen.

Erster Durchgang war im Jahr 2016. War es schwer, die Deutschen davon zu überzeugen, Platz für Wohnen und Unterricht zu gewähren?

Die Deutschen verhalten sich zu solchen Ideen eben sehr gut.

Es gab Probleme mit Eltern, Erziehungsberechtigten. Wir sind darauf gestoßen, dass einige Angst hatten, dass wir die Kinder wegnehmen, sie für Organe, Kinderprostitution und Kinderpornographie bringen werden. Besonders, als ich darum gebeten habe, eine Vereinbarung für die Veröffentlichung der Fotos ihres Lebens im Camp zu unterzeichnen (wir haben versucht, alles nach deutschem Recht zu machen). Es war ziemlich schwierig, ich wusste wirklich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.

Hier, vor Ort, haben die Volontäre Meister-Klassen organisiert. Mein Orchester hat die Idee aufgegriffen, wir haben den Unterricht organisiert. Uns schließen mehr und mehr Künstler an. In diesem Jahr wird wahrscheinlich sogar das Theater sein.

Ich dachte sogar daran, den Namen des Projekts zu ändern. Es ist schon lange über den Rahmen der Musik hinweg. Aber dieser Name steht schon fest…

Noch ist sehr wichtig nicht jenes Programm, dass wir hier organisieren, dass die Kinder insgesamt 3 Wochen lang unter Beschießungen nicht verbringen, sondern auch, dass sie irgendwohin in eine andere Welt fahren. Viele Kinder sind nicht nur im Ausland nicht gewesen, sie sind nicht weiter als Donezk gefahren. Wir fahren sie durch ganz Ukraine, halten in Kiew, in Lwiw an. Die Kinder gingen mit runden Augen zum ersten Mal durch die Hauptstadt, in der Westukraine. Dann fängst du an, zu verstehen, warum sie so der russischen Propaganda unterworfen waren: sie haben einfach die Wahrheit über ihr Land nicht gesehen. Und natürlich das Ausflugsprogramm in Deutschland.

Wie auch immer die Volontäre helfen würden, ein paar Dutzend Kinder für ein paar Wochen zu bringen, braucht man das Geld. Ich erinnere mich daran, wie wir die Mittel direkt während eines Konzerts, das in der ukrainischen Botschaft in Deutschland im Jahr 2016 veranstaltet wurde, als Kinder aus Awdijiwka auftraten, sammelten.

Letztes Jahr haben wir einen Zuschuss vom deutschen Auswärtigen Amt bekommen, er hat uns damals sehr stark unterstützt. Das Einzige ist, dass man mit den Staatszuwendungen eine qualifizierte Person braucht, die mit Papieren sitzen und ständig Berichte schreiben wird. Wir haben manchmal einfach nicht genug Leute.

In diesem Jahr suchen wir private Sponsoren, weil mit ihnen viel einfacher ist. Wir hatten Sponsoren Deutsche, Ukrainer, aber die in Deutschland arbeiten. Sie haben selbst die Möglichkeit, in das Camp zu kommen, zu sehen, womit wir uns wirklich befassen, und so ist es viel einfacher mit der Berichterstattung.

Zurück zu Ukraine. Brauchen Menschen, die unter fast ständigen Beschießungen leben, die nicht wissen, ob sie es bis morgen schaffen werden, brauchen sie die Musik? Und was hören sie gern, klassische Musik, ukrainische Lieder, etwas Lustiges?

Die Musik schützt auf der einen Seite nicht vor „Grad“ (Mehrfachraketenwerfersysteme – Red.). Auf der anderen Seite ist sie sehr wichtig, um abzulenken, um den Beschuss zu überleben. Menschen denken an den Frieden, aber die Musik verbinden sie mit dem Frieden.

Ich habe das Programm für anderthalb-zwei Stunden, es ist so angepasst, klassische Dinge hohen Niveaus, die leicht gehört werden (Bach, Mozart, Vivaldi, Kreisler, bis ca. 3-5 Minuten), auch ukrainische, zeitgenössische Musik. Ich spiele auch die Folklore, Pop-Musik. Ich beende damit, dass ich auf Bestellung, Melodien „aus Handys“, aus den Filmen spiele.

Diese Konzerte haben noch pädagogischen Moment. Die Menschen kommen oft danach und sagen: „Und die klassische Musik, wie es sich herausstellt, so cool...“

Wenn Sie Konzerte in Berlin veranstalten und das Geld sammeln, erzählen Sie den Zuhörern, was Sie zusammen mit Anwohnern während der Artilleriebeschießungen erlebten.

Ja, ich erinnere mich, zum Beispiel, als wir vor einem Jahr fast jeden Abend eine Woche lang unter sehr starken Beschießungen in Awdijiwka saßen. Anfang Februar 2017: keine Verbindung, kein Strom, Heizung, Wasserleitung kaputt.. Draußen minus 25 Grad. Nacht. All das fliegt und man weiß einfach nicht: ob man überleben, oder nicht überleben wird. Die Familie, bei der ich abgestiegen bin, hatte keinen Keller, und wir saßen einfach in einem kleinen Flur auf dem Boden. Wir versuchten, einander irgendwie abzulenken. Aber das war sehr schwierig. Gleich nebenan lag eine Geige und ich fing an, einfach zu spielen. Und wirklich, die Zeit verging schneller, und die Kinder haben sich ein wenig beruhigt. Und so haben wir den Beschuss abgewartet, mit Geige, Gitarre, Liedern.

Eigentlich waren es sehr helle Momente, denn auf der einen Seite wussten wir nicht, was in einer Stunde, einer Sekunde passiert, auf der anderen Seite waren wir zusammen und bekamen vom Leben das, was wir in dem Moment bekommen konnten.

In Facebook wurde sehr populär das Video, wo Sie die Hymne der Ukraine stehend vor der durch das Geschoss gestürzten Wand mit dem Blick auf die vorderste Linie spielen. Erzählen Sie, wie wurde dieser „Clip“ gemacht.

Es war auch im letzten Februar. Ich wollte schon längst ein solches Video machen. Wie auch zynisch es klingt, ist das eine PR-Aktion. Solche Dinge braucht man wirklich sehr, damit sie Menschen berühren, die wenig über den Krieg wissen, die weder durch politische Aktionen noch durch Demonstrationen mehr zu erreichen sind, die nach dem Prinzip leben: meine Hütte steht am Rande, ich weiß von nichts.

Wir stiegen in die Wohnung hinauf, wohin man treten konnte. Wir wurden gewarnt, dass wir dort für eine lange Zeit nicht bleiben und nah an die Fenster nicht treten dürfen. Auf der anderen Seite sind Scharfschützen, oder man kann einfach aus dem Loch herausfallen. Aus dem Loch in der Wand sieht man die Startbahn des Flughafens Donezk. Ich spielte das ukrainische Wiegenlied „Der Traum geht am Fenster vorbei“, mein Lieblingslied, und die Hymne.

Sie sind ziemlich oft, wie Sie sagten, in der „Grauzone“. Wie ist, Ihrer Meinung nach, die humanitäre Hilfe dort überhaupt organisiert, womit kann man noch helfen?

Das ist ein wichtiger Moment. Als der Krieg anfing, brauchte man natürlich warme Kleidung, Hygiene-Produkte. Aber im fünften Jahr des Krieges ist logistisch schon alles organisiert. Solche Alarmsituation gibt es nicht mehr, humanitäre Hilfe ist nicht mehr so akut, man benötigt sie, aber nicht mehr in solchen Mengen. Ich sage nicht, dass sie völlig unnötig ist, aber damit muss man sich gezielt befassen.

Ich beobachtete vor einem Jahr, als Beschießungen begonnen haben, der ganze Facebook war lauter Ausrufe: „Rettet Awdijiwka!“, „Awdijiwka zweite Aleppo“, „Lasst uns Awdijiwka helfen!“. Menschen aus der westlichen Ukraine, aus Kiew fuhren mit Lastwagen Lebensmittel... In Awdijiwka war es beängstigend, aber eine humanitäre Katastrophe konnte wegen des ausgefallenen Stroms auftreten. Zu essen gab es dort mehr als genug. Keine Produkte hatten die Menschen, die am Rande der Stadt näher an den Rand lebten, denn man hatte Angst, auf die Straße hinaufzugehen. Man sollte es ihnen einfach bringen. Stattdessen hat man im Zentrum der Stadt auf dem Stadion ein Zeltlager mit dem kostenlosen Essen errichtet, man verteilte humanitäre Waren. Und dorthin kamen nicht immer diejenigen, die wirklich Hilfe benötigten.

Olga Tanasijtschuk, Berlin

yv