Helmut Brandstätter, Europaabgeordneter

Orbán betreibt Putins Geschäfte, also ist er gegen die Europäische Union

Der Politiker der österreichischen liberalen Partei NEOS, Helmut Brandstätter, der zuvor Abgeordneter des Nationalrats war und heute als Europaabgeordneter tätig ist, tritt konsequent für die Ukraine ein. Er hat klar erkannt, dass Russland nicht nur einen umfassenden Krieg gegen die Ukraine führt, sondern auch einen hybriden Krieg gegen ganz Europa. Brandstätter benennt die Dinge beim Namen: Putin ist ein Kriegsverbrecher, Russland ein Terrorstaat, Patriarch Kirill ein KGB-Agent.

Nach seiner Überzeugung kann nur eine solidarische Haltung aller 27 EU-Mitgliedstaaten den russischen Einfluss eindämmen und der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf helfen. Gleichzeitig weist der Europaabgeordnete darauf hin, dass einzelne Politiker dieses gemeinsame Vorgehen behindern – allen voran der ungarische Premierminister Viktor Orbán, der „Putins Geschäfte betreibt“.

Besorgt zeigt er sich auch über die Politik von Donald Trump, insbesondere über dessen Entscheidung, sich ohne jegliche Vorbedingungen – wie etwa die Einstellung der russischen Angriffe auf ukrainische Städte – mit Putin in Alaska zu treffen.

In einem Interview mit Ukrinform teilte Helmut Brandstätter, Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments und Mitglied der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine, seine Einschätzungen zu den Perspektiven einer Friedensregelung, zu europäischen Druckmitteln gegen Russland, zum Mechanismus eines „Reparationskredits“ unter Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte, zu den Aussichten der ukrainischen EU-Mitgliedschaft sowie zu den Debatten über die Neutralität Österreichs und prorussische Sympathisanten im österreichischen Parlament.

Laut dem US-Präsidenten Donald Trump hat er sich vor dem Treffen in Alaska bezüglich des Krieges Russlands gegen die Ukraine mit einem sehr „klugen Mann“ beraten – dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Und Orbán habe betont, dass Russland nicht besiegt werden könne. Was denken Sie darüber?

Russland wird ja nicht angegriffen, sondern Russland hat angegriffen. Es geht nicht darum, dass Russland besiegt wird, sondern darum, dass die russischen Truppen die Ukraine wieder verlassen.

Was Orbán betrifft, so befindet er sich quasi schon im Wahlkampf und möchte für die kommenden Jahre sagen, dass nur er für Frieden stehe und sein Konkurrent Péter Magyar nicht.

Interessant ist auch, dass es eine Diskussion darüber gab, was die ungarischen Truppen im Jahr 2022 eigentlich vorhatten. Gibt es ja wirklich Pläne, dass ungarische Truppen vielleicht auch ein Stück der Ukraine haben wollen, weil Orbán immer den Schal trägt, auf dem ein Großungarn zu sehen ist? Und er sagt überall dort, wo ungarische Menschen leben: „Das würde zu Ungarn gehören“.

Also: Orbán ist natürlich keine Sekunde zu trauen, und es ist sehr traurig, dass Europa hier gespalten ist. Der slowakische Premier Fico ist etwas vorsichtiger, aber Orbán steht auf der Seite Putins – man muss es leider so deutlich sagen. Wir haben schon lange argumentiert, dass man Orbán auch das Stimmrecht im Rat entziehen muss, damit er Beschlüsse der Europäischen Union nicht länger blockieren kann.

Dazu ist es bisher leider nicht gekommen. Ich bin aber dafür, dass wir die Dinge deutlicher aussprechen. Wir müssen sagen: Orbán betreibt Putins Geschäfte, also ist er gegen die Europäische Union. Er ist gegen unsere Sicherheit. Orbán gefährdet unsere Sicherheit genauso wie Putin.

Und da sind wir nicht deutlich genug. Ich glaube, das müssen wir klarer sagen.

Und wie sollte Ihrer Meinung nach ein Format für die friedliche Beilegung des russischen Krieges gegen die Ukraine aussehen? Wie kann man sicherstellen, dass die Interessen der Ukraine, aber auch Europas, berücksichtigt werden und es keine Absprachen hinter ihrem Rücken gibt?

Ich glaube, das Wesentliche ist: Die Ukraine allein kann entscheiden, welche Form von Waffenstillstand oder Frieden sie will.

Und wie inzwischen bekannt ist, selbst für diejenigen, die die ukrainische Verfassung nicht auswendig kennen, kann der Präsident keine Gebiete einfach abtreten, da dies nicht in seiner Macht liegt.

Wie eine Lösung aussehen kann, können nur die Ukraine und Putin gemeinsam festlegen.

Die Rolle der Europäer ist insofern wichtig, als es letztlich um die Sicherheit der Ukraine geht. Das heißt: Egal, wie auch eine Einigung zwischen Putin und Selenskyj aussehen würde – wie wird garantiert, dass sich Putin diesmal daran hält? Er hat sich auch nicht an das Budapester Memorandum gehalten, sondern die Ukraine überfallen.

Und das sollte eigentlich die Rolle der Europäer gemeinsam mit den Amerikanern sein. Ich fürchte allerdings, dass die Amerikaner da nicht mitmachen. Aber es muss klar sein: Ein Friedensschluss allein ohne Sicherheitsgarantien für die Ukraine ist zu wenig.

Aber hat Europa, hat der Westen insgesamt, echte Hebel, um Putin zum Stoppen der Tötungen zu zwingen?

Ich glaube schon. Kaja Kallas hat gesagt, dass am nächsten, dem 19. Sanktionspaket gearbeitet wird.

Wir wissen aus mehreren Gründen, dass die Sanktionen Russland wehtun. Erstens, weil die russische Wirtschaft wirklich schlecht dasteht und die russische Zentralbankchefin regelmäßig auf die hohen Zinsen hinweist.

Und wir wissen es auch daher, dass die Freunde Putins in Europa – dazu gehören die FPÖ, die AfD und Orbán – immer gegen die Sanktionen sind. Warum sind sie dagegen? Weil sie Putin helfen wollen. Immer wenn man etwa von der FPÖ in Österreich hört „Die Sanktionen müssen beendet werden“, wissen wir: Sie machen das in Absprache mit Russland, zum Teil sogar mit ähnlichen Argumenten.

Das bestätigt mich immer wieder darin, dass die Sanktionen sehr wohl sinnvoll und effizient sind. Sonst würden nicht sowohl Putin als auch die Rechtsextremen in Europa darauf drängen, dass sie beendet werden.

Welche restriktiven Maßnahmen könnten den Kreml wirklich hart treffen? Oder sind die ukrainische Drohnenangriffe auf russische Raffinerien und Rüstungsfabriken die effektivsten wirtschaftlichen Sanktionen?

Die Drohnenangriffe sind Maßnahmen der Ukraine.

Was jedoch die Sanktionen betrifft, wäre für mich eigentlich eine Hauptmaßnahme – und das müsste die EU-Kommission gemeinsam mit den Nationalstaaten umsetzen – viel stärker darauf zu achten, dass die Sanktionen auch tatsächlich eingehalten werden.

Wir entdecken immer wieder – und ich lese fast täglich Berichte darüber –, dass gewisse Produkte über Kasachstan oder andere Länder nach Russland gelangen. Das heißt, die Sanktionen werden nicht aufmerksam genug überwacht.

Der nächste Punkt, der Russland sicher treffen würde: Es gibt den britischen Wirtschaftsjournalisten Hugo Dixon, und der hat gesagt, diese 300 Milliarden Dollar russisches Vermögen, die im Westen eingefroren sind, sollte man sofort der Ukraine zur Verfügung stellen – aber nicht als Geschenk, sondern als Kredit. Wenn es dann zu einer Einigung, zu einem Friedensschluss zwischen Ukraine und Russland kommt, ist klar, dass Russland für die Zerstörungen aufkommen muss. Und das muss in den Verhandlungen, auch durch den Druck des Westens, geklärt werden: Russland muss die Zerstörungen bezahlen. Die Ukraine hätte dann aber schon diese 300 Milliarden.

Auch hier muss Europa Druck ausüben, und ich glaube, dass wir insgesamt viel stärker Druck machen müssen.

Wir könnten auf jeden Fall die Führungsschicht Russlands härter treffen. Wenn ich lese, wie viele Russen noch immer Visa für Europa bekommen, wie viele junge Russen hier noch immer studieren, wie viel Eigentum sie noch besitzen – auch in Wien –, dann bin ich der Meinung, dass wir viel massiver vorgehen müssen und sagen: Ein Land, das ein anderes überfällt und dort jeden Tag Menschen tötet – dessen Bürgerinnen und Bürger wollen wir nicht hier bei uns haben.

Das kann man alles rechtsstaatlich und mit ordentlichen juristischen Maßnahmen machen. Da sind wir, finde ich, noch immer zu zurückhaltend.

Ja, aber gibt es diesen politischen Willen in den europäischen Staaten?

Es gibt ihn teilweise, und es gibt zum Teil auch die Angst.

Ein Argument, das immer wieder vorgebracht wird, lautet: Wenn die EU, die sich auf Rechtsstaatlichkeit beruft, solche Maßnahmen ergreift, dann könnte das Investitionen hier gefährden. Deswegen ist der Vorschlag von Hugo Dixon so gut, weil er eben sagt: Wir schenken das Geld nicht der Ukraine, sondern wir stellen es ihr als Kredit zur Verfügung. Und dann wird gegengerechnet – mit den Zerstörungen. Beschlagnahmen heißt ja auch noch nicht enteignen.

Aber ich glaube, dass wir auch viel radikaler gegen Unternehmen vorgehen müssen, die nach wie vor mit Russland Geschäfte machen.

Die Russen müssten viel stärker verstehen, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt, dass täglich Morde geschehen – und dass wir das nicht dulden.

Und noch etwas: Das habe ich in Brüssel mehrfach vorgeschlagen und werde weiter darauf bestehen – wir müssen etwas schaffen wie ein „Radio Free Russia“. Für die osteuropäischen Länder war es im Kalten Krieg extrem wichtig, dass die Menschen Informationen aus dem Westen über „Radio Free Europe“ bekommen haben. Viele Menschen in Russland sind ausschließlich auf die Propaganda im russischen Fernsehen und in russischen Zeitungen angewiesen. Wir müssten zumindest einer interessierten Schicht von Russinnen und Russen Informationen zur Verfügung stellen, damit sie mehr hören, als nur das, was aus der Kreml-Propaganda kommt.

Ich habe das mehrfach in Brüssel vorgeschlagen und werde demnächst auch wieder einen Termin bei der Kommission haben, um zu sagen, dass wir das umsetzen müssen – durchaus auch gemeinsam mit Menschen aus der Ukraine, die Russisch sprechen, denn das muss natürlich auf Russisch gesendet werden.

Neben Projekten wie einem „Radio Free Russia“, gibt es weitere Bereiche, in denen Europa aktiv werden könnte. Вeispielsweise hat das Yale Humanitarian Research Lab bedeutende Arbeit bei der Identifizierung von Kindern geleistet, die von Russland aus der Ukraine entführt wurden, doch die Finanzierung durch die USA wurde eingestellt. Könnte die EU die Finanzierung dieser oder ähnlicher Initiativen übernehmen?

Ich habe in Brüssel eine Veranstaltung organisiert mit Gen.Ukrainian und Frau Oksana Lebedeva. Dort haben wir genau darüber gesprochen: Wenn die Amerikaner in diesem Bereich nicht mehr so aktiv sind, dann muss die EU hier einspringen. Wir müssen diese Kinder identifizieren können und deutlich mehr Druck ausüben, damit sie nach Hause zurückgebracht werden.

Wir sehen, dass sie im Moment sogar im Internet zur Adoption angeboten werden. Das ist ein weiteres Verbrechen Putins, das wir nicht einfach hinnehmen können. Natürlich muss die EU hier mehr tun.

Und ich würde von einem amerikanischen Präsidenten, der sich gerne auf die Bibel und den christlichen Glauben beruft, natürlich auch erwarten, dass er das viel deutlicher anspricht. Europa und die USA müssen Putin regelmäßig darauf hinweisen: Er macht Geschäfte mit gestohlenen Kindern. Das ist einfach ein unfassbares Verbrechen, und darauf müssen wir viel deutlicher aufmerksam machen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Europäischen Union angesichts globaler Herausforderungen und der neuen US-Politik?

Aus der Perspektive des Europäischen Parlaments lässt sich feststellen, dass es eine breite Mehrheit gibt – von vielen sogenannten konservativen Fraktionen, fast auch der PiS, der polnischen rechtskonservativen Partei, der Partei von Giorgia Meloni und anderen, über die Christdemokraten, die Europäische Volkspartei, die Liberalen, Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen –, die das Bewusstsein teilt, dass Europa stärker werden muss. Dies betrifft insbesondere den Handel und wirtschaftliche Fragen, sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber China, sowie eine größere Unabhängigkeit im Energiesektor.

Wir sprechen auch von einer Reindustrialisierung Europas, die nur möglich ist, wenn wir über günstigere und erneuerbare Energie verfügen. Zudem gibt es erstmals in der Europäischen Kommission einen Kommissar für Verteidigung, was zeigt, dass gemeinsame Verteidigungsmaßnahmen verstärkt werden müssen. Die Mitgliedstaaten können hierfür etwa 800 Milliarden Euro einsetzen, um ihre Verteidigungskapazitäten zu stärken. Selbst Österreich, das bislang nur einen sehr geringen Anteil seines BIP für Verteidigung ausgab, unter einem Prozent, hat beschlossen, diesen Anteil in den kommenden Jahren auf zwei Prozent zu erhöhen.

Die ukrainische Armee hat einzigartige Kampferfahrung. Können wir bereits jetzt von der Ukraine als einem Beitragenden zur europäischen Sicherheit sprechen? Wie sehen Sie die Rolle der Ukraine bei der Sicherung Europas?

Auf jeden Fall. Die Ukraine spielt eine entscheidende Rolle für die europäische Sicherheit. Sollte die Ukraine diesen Krieg verlieren, dann hat Europa verloren, da russische Truppen näher rücken und die Aggression Russlands nicht abnehmen würde. Dies zeigt sich auch in der Republik Moldau, wo massiv Mittel für Desinformation und russische Propaganda eingesetzt werden.

Darüber hinaus ist die Ukraine derzeit das europäische Land mit der größten Kriegserfahrung. Es gibt bereits Kooperationen zwischen dänischen Rüstungsunternehmen und ukrainischen Partnern, unterstützt durch Finanzierungen Dänemarks. Die dänischen Regierungsmitglieder betonten, dass sie ihre Modelle auf andere Länder übertragen möchten. Eine Kooperation im Rüstungsbereich wird es daher definitiv geben.

Wie die Sicherheit der Ukraine langfristig gewährleistet wird, bleibt jedoch offen. Dies muss mit Russland abgesprochen werden, sei es durch UNO-Truppen oder europäische Kooperationen.

Es gibt derzeit das Projekt „Sky Shield“ europäischer Länder für eine gemeinsame Raketenabwehr, an dem auch die neutralen Staaten Österreich und Schweiz teilnehmen. Hier könnte die Ukraine ebenfalls ihre Erfahrungen einbringen.

Die österreichische Neutralität wird oft als "Trittbrettfahrer-Modell" kritisiert, bei dem das Land von der Sicherheit anderer Staaten profitiert, ohne sich an Militärbündnissen zu beteiligen. Wie bewerten Sie diese Kritik, und sollte Österreich seine Neutralität im aktuellen Sicherheitskontext Europas überdenken?

Ich glaube, zunächst muss man sehen, woher die Neutralität kommt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie wahrscheinlich eine einmalige Chance, dass Österreich wieder wirklich unabhängig wird. Nachdem Österreich 1945 befreit wurde, ging es um die Unabhängigkeit des Landes, und ohne die Neutralität hätten wir diese nicht erreicht. Dieser Zusammenhang ist klar und korrekt.

Für die Menschen ist der zweite Zusammenhang relevant: Wir haben danach in Sicherheit gelebt, aber das stimmt heute nicht mehr. Wir leben nicht in Sicherheit, weil wir neutral sind, sondern wir haben in Sicherheit gelebt, weil andere uns beschützt haben – zum Beispiel durch den amerikanischen Atomschirm.

Ob es diesen Schutz weiterhin gibt, ist die nächste Frage.

Trump hat schon gesagt, dass er daran nicht mehr interessiert ist. Deshalb brauchen wir in Österreich – meiner Meinung nach – jetzt keine Diskussion über die Neutralität, sondern eine Diskussion über unsere Sicherheit: Was gewährleistet unsere Sicherheit?

Wir haben bereits zugestanden, dass wir mehr in die Verteidigung investieren müssen. Wir haben gesagt, dass wir dies gemeinsam mit anderen tun müssen, siehe Sky-Shield. Wir haben auch beschlossen, wenn auch nicht laut genug kommuniziert, dass wir innerhalb der Europäischen Union solidarisch handeln.

Denn innerhalb der EU gibt es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: Wir sind solidarisch den anderen gegenüber, und die anderen sind solidarisch uns gegenüber. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den wir stärker betonen müssen.

Dann brauchen wir die Diskussion, wie wir unsere Sicherheit schützen können. Das wird Zeit brauchen, weil die Idee, dass Neutralität uns schützt, tief in den Österreicherinnen und Österreichern verankert ist.

Neutralität hat uns Freiheit gebracht, aber sie hat uns nicht geschützt. Deshalb müssen wir diskutieren, was uns tatsächlich schützt.

Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen das zunehmend verstehen werden.

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat dabei beigetragen, weil wir sehen, dass, wenn Putin die gesamte Ukraine erobern würde, seine Truppen nur 500 Kilometer vor Wien stehen würden.

Durch den Krieg sind Schweden und Finnland auch der NATO beigetreten. Die österreichische Außenministerin hat bereits gesagt, dass sie offen für die NATO-Debatte ist…

Der Unterschied liegt in ihrer Geschichte und geografischen Situation, weshalb die Diskussion dort schneller verlief.

Ich gehe davon aus, dass wir diese Diskussion auch haben werden. Und die Außenministerin hat sie bei uns bereits begonnen. Ich kann sagen, dass auch aus der Sozialdemokratischen Partei und der Österreichischen Volkspartei deutliche Stimmen zu hören sind, die diese Diskussion für notwendig halten. Allerdings höre ich sie bislang nur privat, noch nicht öffentlich.

Deshalb kann ich die Kolleginnen und Kollegen nur auffordern: Meldet euch stärker zu Wort, damit wir diese Diskussion im öffentlichen Raum klar führen.

Und Ihrer Meinung nach würde ein potenzieller NATO-Beitritt Österreichs die Sicherheit des Landes stärken?

Wie gesagt, wir müssen zunächst die nächsten Schritte gehen und dann sehen, wie sich Amerika verhält und was die NATO tut. Möglicherweise ist die Europäische Union der größere Schutz für uns.

Sie haben bereits die FPÖ erwähnt – die einzige Parlamentspartei in Österreich, die gegen Sanktionen, gegen die Unterstützung der Ukraine und gegen Selenskys Besuch in Wien ist und diese Haltung beibehält. Warum hält sie trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine an dieser Position fest?

Die FPÖ hat sich auch mit diesem Vertrag von 2016 an Putins Partei gebunden. Die FPÖ hat auch nach 2014 immer enge Kontakte zu Russland gepflegt. Ihre Abgeordnete sind auf die besetzte Krim gefahren. Ebenso wie bei der AfD haben Abgeordnete offizielle Kontakte zu Russland unterhalten. Die Frage ist immer: Warum tun sie das?

Ich glaube, das eine ist natürlich die ideologische Überzeugung: Sie wollen einen starken Mann, ihnen gefällt die Vorstellung eines starken Mannes. Sie sind gegen die europäische Einigung und unterstützen Putin auch darin, Europa unter Druck zu setzen und die europäische Einheit zu schwächen.

Von Frankreich, von Frau Le Pen und ihrer Partei wissen wir, dass es dort einen beträchtlichen Kreditvertrag gegeben hat. Wir können zwar nicht beweisen, dass es auch in anderen Fällen finanzielle Zuwendungen gibt, aber wir wissen, dass rechtsextreme Parteien in Europa von Putin unterstützt werden. Wer und in welchem Umfang – das muss weiter recherchiert werden, und es gibt auch Leute, die sich damit intensiv befassen.

Die Nähe der FPÖ zu Putin und vor allem die Ablehnung einer freien, unabhängigen Ukraine sind mehr als bedenklich. Das zeigt, dass die FPÖ nicht verstanden hat, wie die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg verlaufen ist, was Freiheit in Europa bedeutet, wo die tatsächliche Bedrohung liegt und dass unsere Freiheit stark gefährdet ist – durch einen Kriegsverbrecher wie Putin.

Es ist nicht immer leicht in Diskussionen, wenn ich von FPÖ-Abgeordneten höre, ich sei ein Kriegstreiber. Ich möchte Frieden, aber einen gerechten Frieden für die Ukraine. Ich glaube, dass wir manchmal immer noch zu vornehm gegenüber der FPÖ sind. Wir müssen die Dinge klar aussprechen: Die FPÖ unterstützt einen Kriegsverbrecher. Ich sage das sehr deutlich und klar – und das schadet Österreich. Wir müssen auch klarer benennen, wie sehr die FPÖ damit schadet. Das ist nicht immer einfach in Diskussionen, aber ich werde es weiterhin deutlich sagen.

Der Präsident des Europäischen Rates, António Costa, sagte, der EU-Beitritt der Ukraine sei eine Garantie für Sicherheit. Stimmen Sie ihm zu? Unterstützen Sie die sofortige Eröffnung des ersten Verhandlungsclusters für den EU-Beitritt der Ukraine?

Wir werden im Herbst einen Bericht der Kommission erhalten. Ich gehe davon aus, dass sowohl mit der Ukraine als auch mit der Republik Moldau die Verhandlungen aufgenommen werden.

Inzwischen sagen alle, auch meine ukrainischen Gesprächspartner: Das muss merit-based sein, das heißt, die Ukraine muss alle Voraussetzungen erfüllen. Wenn diese erfüllt sind, soll sie aufgenommen werden. Das ist wichtig – sowohl für die Ukraine, um die Bedingungen zu schaffen, als auch für die EU, um klarzustellen, dass diese Bedingungen gelten.

Das ist auch wichtig für die Länder des Westbalkans, die schon viel länger verhandeln und sagen: Warum sollte ein anderes Land früher aufgenommen werden, wenn es die Voraussetzungen nicht erfüllt? Nein, das soll nicht sein. Selbstverständlich muss die Ukraine die Voraussetzungen erfüllen, aber wir müssen sie auch unterstützen, damit sie dies schafft.

Die ukrainische Regierung sagt, dass alle Voraussetzungen schon erfüllt sind...

Deshalb gehe ich davon aus, dass im Herbst das erste Kapitel eröffnet wird.

Und wann könnte die Ukraine Ihrer Meinung nach der EU beitreten?

Das ist Spekulation, darauf möchte ich mich nicht einlassen. Ich kann nur alle zuständigen Stellen in der Ukraine und in der EU auffordern, ernsthaft zu verhandeln. Dass am Ende des Prozesses der Beitritt der Ukraine stehen wird, ist für mich völlig klar.

Meine letzte Frage: Jedes Kriegsende muss die Verantwortung Russlands beinhalten. Ein wichtiger Schritt hier ist die kürzliche Einrichtung eines Sondertribunals über das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine. Was denken Sie über diesen "Nürnberg für Putin"?

Ja, das hatten wir schon nach dem Jugoslawienkrieg, und das erwarte ich auch jetzt. Putin müsste sich eigentlich schon vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten, aber ein Sondergericht wäre auch sinnvoll.

Dabei geht es nicht nur um Putin und die Führungsschicht, sondern es muss weiter nach unten gehen: Die Entführung von Kindern, die Rolle von Frau Lwowa-Belowa, die Verantwortung all jener, die diesen Krieg vorbereitet und unterstützt haben, sowie die Verantwortung von Unternehmen und Unternehmern, die von diesem Krieg profitiert haben.

Selbstverständlich gehört die Führung um Putin zur Rechenschaft gezogen, aber es muss darüber hinausgehen – auch um zu lernen, dass die Unterstützung eines solchen Regimes ebenfalls ein Verbrechen ist.

Vasyl Korotkyi, WIEN.