Mark Fejgin, Anwalt ukrainischer politischer Gefangenen Suschtschenko und Umerow

19.08.2017 15:35

Putins Assistent glaubt, dass man für die Besetzung der Ukraine keine Panzer braucht

Das Gespräch mit dem russischen Rechtsanwalt, der die ukrainischen politischen Gefangenen, den Journalisten Roman Suschtschenko und den Stellvertreter des Leiters von Medschlis des krimtatarischen Volkes, Ilmi Umerow, verteidigt, begann ziemlich traditionell. Aber am Ende ist es weit über die Grenzen der jeweiligen Untersuchungshandlungen oder Gerichtsprozesse hinausgegangen. Und das war unvermeidlich. Denn die politisch motivierte Rechtspflege in Russland schwappt nobel auf alle damit verbundenen Bereiche heraus - internationale Politik, Innenpolitik, sowohl in Russland als auch in der Ukraine und schließlich Informationskrieg.

Am Montag gehe ich in Lefortowo (Untersuchungsgefängnis in Moskau – Red.), zu Roman Suschtschenko. Während ich auf der Krim auf dem Prozess „im Fall Umerow“ (gegen den stellvertretenden Leiter von Medschlis des krimtatarischen Volkes Ilmi Umerow wird in dem von Russland kontrollieren Gericht in Simferopol ein Prozess wegen der Nicht-Anerkennung der Annexion der Krim durch Russland geführt – Red.) war, gab es eine unfreiwillige Pause. Jetzt werde ich die Termine klären, wann Roman den Sohn Maksym anrufen kann. Ich erinnere daran, dass er am 15. Juli 10 Jahre alt wurde, aber sein Vater hatte keine Möglichkeit, ihn anzurufen. Nun hat die Untersuchung ihnen erlaubt, zu telefonieren. Auch muss man das Datum abstimmen, wann die Ehefrau Angelika und die Tochter Julia zu Roman ins Gefängnis zu Besuch kommen dürfen.

Gibt es irgendwelche Fortschritte in der Untersuchung des „Falls Suschtschenko“? Welche Prognosen stehen für seine Vollendung?

Letzte Woche wurden wir mit den Ergebnissen einer Reihe von Untersuchungen bekanntgemacht. Die psychologisch-psychiatrische Untersuchung hat wie erwartet die Zurechnungsfähigkeit von Suschtschenko bestätigt. Über eine andere Expertise darf ich wegen der Geheimhaltung des Falls nicht reden. Also, wenn man nicht beginnt, diesen Fall zu bremsen, dann kann ich eine vorläufige Prognose geben, dass wir im September zum Schluss der Untersuchungshandlungen kommen werden. Außerdem gibt es eine politische Dynamik in der Diskussion über dieses Thema auf internationaler Ebene.

Sie waren in Kiew, haben mit dem Minister der Informationspolitik der Ukraine, Jurij Stezj, gesprochen.

Ja, in der Ukraine habe ich einige zusätzliche Informationen erhalten. Aber es gibt auch Neuigkeiten in anderen Richtungen. Es ist kein Geheimnis, dass wir an die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerländer des „Normandie-Formats“ appelliert haben. Neulich erhielt ich eine Antwort aus Deutschland auf einen unserer Appelle. Laut ihm ist der Fall des Journalisten Suschtschenko das Sorgenkind der deutschen Führung. Das ist bedeutend. Das Thema der Freilassung von Roman Suschtschenko wird also bestimmt beim nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs des „Normandie-Formats angesprochen, wobei von vielen Parteien. Außerdem besteht die Hoffnung, dass sich Diskussionen über die Freilassung des Journalisten Suschtschenko der Sonderbeauftragte des US-Außenministeriums für die Ukraine, Kurt Volker, anschließen wird.

Das heißt, es besteht die große Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme von Austausch, für die Rückkehr in die Ukraine aus Russland der ukrainischen politischen Gefangenen?

In der Tat. Und unter diesen Umständen unternimmt Moskau einige neue Schritte. Es sucht sozusagen seine Interessen, neben den Interessen, wen die ukrainische Seite für den Austausch stellen wird. Wie in solchen Fällen der verstorbene russische Oligarch Boris Beresowski sagte: „Gebt uns Geld! Und etwas noch“. Verstehen Sie, über das Schicksal jener Menschen, die die Ukraine ihnen durch den Austausch ausgibt, macht sich die russische Führung wenig Sorgen. Auf den Austausch selbst lassen sie sich nur unter dem internationalen Druck ein. Deshalb sieht für sie ganz natürlich die Idee aus, irgendwelche zusätzliche Bonusse für etwas anderes zu bekommen.

In der OSZE wurde die Leitung in der wichtigen Abteilung ersetzt, die Sie im Zusammenhang mit dem Fall Suschtschenko kontaktiert haben. Mitte Juli wurde statt Dunja Mijatović zum OSZE-Vertreter für die Medienfreiheit der Franzose Harlem Désir.

Damit ist für uns ein wichtiger Umstand verbunden. Herr Désir kann sich persönlich an Suschtschanko, als Journalisten, erinnern. Roman hat mit ihm in Frankreich bei der Vorbereitung eines Materials gesprochen. Suschtschenko hat jetzt einen Appell an ihn vorbereitet. Bald hoffen wir, ihn ans Büro in Wien zu übergeben.

Sie sagten in letzter Zeit, dass gegen Sie eine Diffamierung-Kampagne organisiert wurde. Wie ist die Situation zu diesem Moment?

Na, wie Sie sehen, ist es nicht gelungen, mir den Status des Anwalts zu entziehen. Obwohl die Kampagne massiv war. Aber das war überhaupt präzedenzlos. Der Status eines Rechtsanwalts wird wegen ernster Übertretungen, wegen der Rechtsverletzungen, oder eher sogar wegen der Verbrechen entzogen. Und hier ist ein banaler Wechsel in sozialen Netzwerken. Aber damit war die Sache nicht zu Ende. Eine gewisse Fortsetzung hat diese Kampagne in Person eines Bloggers Anatolij Scharij bekommen. Ich war mir schon früher mal sicher und ich überzeuge jetzt alle davon, dass dieser Mensch lange gegen die Ukraine arbeitet. Obwohl seine Herren ihn auch auf die russische Plattform gebracht haben.

Ja. Seltsam hat das Debüt von Scharij in der einstündigen populären Sendung auf dem russischen Radiosender „Echo Moskaus“ ausgesehen. Hin werden normalerweise bekannte Menschen eingeladen, und hier musste man erste 5-7 Minuten den Zuhörern erklären, wer das ist.

Aber wir wissen gut, wer er ist, mit wem er arbeitet und von wem er das Geld bekommt. In letzter Zeit arbeitet Scharij aktiv gegen zwei Objekte: mich und den russischen Oppositionellen Aleksej Nawalnyj. Übrigens, Roman Suschtschenko hatte noch in der Zeit seiner journalistischen Tätigkeit in Paris mit Scharij in Abwesenheit auch zu tun. Erinnern Sie sich an die Geschichte mit „Charlie Hebdo“? Damals erschien der populäre Slogan „Ich bin Charlie!“. Roman hat geschrieben, dass sein Autor ein französischer Journalist ukrainischer Herkunft war. Normale journalistische Arbeit. Und Scharij begann dann, absolut unbegründet zu behaupten, dass das alles eine Lüge ist. Er hat einfach so, aus dem Nichts die Arbeit von Suschtschenko beleidigt, angeschissen. Das Wort „Blogger“ wird jetzt weit aufgefasst, aber für Journalisten kann man Scharij eigentlich nicht halten, eher für für Putins Propagandisten. Der verstorbene Boris Nemzow erzählte mir, wie er zu dem Radiosender „Echo Moskaus“ kam, um eine Sendung zu vereinbaren, und wie schwer das manchmal klappte. Und hier bekommt jemand, nicht klar wer, eine einstündige Sendung. Und dazu sagte der Chefredakteur von „Echo Moskaus“, Aleksej Wenediktow, er sei im Streit „zwischen Scharij und Fejgin“ auf der Seite von Scharij. Sehr interessant, soll das etwa heißen, dass Wenediktow Fejgin nach journalistischen Prinzipien kein Wort in der Sendung geben wird? Oder warum sagt er nicht ehrlich, dass ich in seiner Stopp-Liste stehe? Ich habe schon mehrmals dem ukrainischen Publikum über die Prinzipien der Arbeit von „Echo Moskaus“ erzählt, und warum ihn der Kreml braucht. Es gibt grobe propagandistische Instrumente, wie etwa „Erster Kanal“, das für die allgemeine Masse. Und „Echo Moskaus“ ist das Instrument einer feineren Ansteuerung, das auf die Intellektuellen orientiert ist.

Sie sprachen auch darüber, dass diese Kampagne persönlich vom Berater des russischen Präsidenten Wladislaw Surkow und seinem Team organisiert wird?

Ja. Und der „Blogger“, über den wir mehr reden als er verdient, war auch in der von Hackern aufgedeckten Korrespondenz des Empfangsbüros von Surkow. Schauen Sie doch auf diese ganzen Kampagnen gegen mich. Es ist wie man sagt, „es gab nie so was, und jetzt wieder“. Der Fall mit Pussy Riot, mit der ukrainischen Kampfpilotin Nadija Sawtschenko, wenn die Situation ein bestimmtes Niveau erreicht, beginnt die Attacke auf den Anwalt. Jetzt ist alles das Gleiche. Wieder erscheinen die Gespräche, die am Anfang waren: im Fall Suschtschenko muss man den Rechtsanwalt Fejgin ersetzen, und es ist nicht schwer zu ahnen, durch wen.

Womit kann das verbunden sein? Wenn die Situation das Niveau erreicht, wo man schon die Aussichten auf einen Austausch sieht, will man nicht, dass ein Anwalt die Bonusse bekommt, sondern der andere?

Es geht nicht nur darum. Ich, mit meinem alleinigen Dabeisein hindere daran, sich auf die Bedingungen zu einigen, die für den Kreml von Vorteil sind. Gerade jetzt gibt es eine bedingte Aussicht auf den Austausch von Suschtschenko gegen den russischen Militärangehörigen Wiktor Agejew, der in der Region Luhansk festgenommen worden war. Die Schuld von Agejew ist ziemlich offensichtlich und eingestanden. Aber dann muss auch Suschtschenko (nach Moskaus Ansicht) die Schuld eingestehen.

Moment mal, aber Nadija Sawtschenko hat die Schuld nicht eingestanden, aber der Austausch hat stattgefunden.

Ja. Ein Präzedenzfall. Aber man wird trotzdem so reden. Schauen Sie mal, wie es sehr wenige unter ukrainischen politischen Gefangenen gibt, die, im Prinzip, ihre Schuld nicht eingestanden haben. Jetzt sind es der Regisseur Oleg Senzow (Oleg Senzow hat das russische Gericht im August 2015 nach gefälschten Anschuldigungen wegen der „terroristischen“ Aktivität zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt - Red.) und Roman Suschtschenko (Roman Suschtschenko wird rechtswidrig in Untersuchungshaft „Lefortowo“ seit Ende September 2016 wegen des Verdachts der „Spionage“ festgehalten). Ich verstehe, es hat verschiedene Situationen gegeben - Entführung von Festgenommenen, Foltern. Aber die Figur eines Anwalts ist auch sehr wichtig, seine Unnachgiebigkeit, Grundsatzfestigkeit bei der Verteidigung der Interessen und Rechte des Mandanten. Entschuldigung, aber ich erinnere mich wieder an die Aussagen von Scharij – nehmt nur Fejgin weg und er wird einen anderen Anwalt für Roman Suschtschenko bezahlen. Sehr eloquent! Wie direkt von einem Büchlein abliest. Obwohl hier wären etwas breitere Verallgemeinerungen angebracht, mit der Ausdehnung des Einflusses solcher „Büchlein“ auf den ganzen ukrainischen Medienraum.

Ich verstehe nicht. Erläutern Sie bitte den Gedanken.

Sie kennen mein Prinzip, nicht über die ukrainischen politischen Angelegenheiten zu sprechen, sich nicht zu erlauben, sich auf solche Weise in die ukrainische Innenpolitik einzumischen. Aber es geht darum, dass ich, als Anwalt der ukrainischen politischen Gefangenen in der ukrainischen Informationsagenda drinnen bin. Ich übertreibe nicht meine Bedeutung, ich bin dort nicht so wichtig, aber irgendeinen meinen peripheren Platz habe ich. Und deshalb sehe ich die Gemeinsamkeit der Ansätze: zu mir und zu meiner Arbeit, und zur gesamten Situation in der Ukraine… Surkows Position sieht folgendermaßen aus, für die Besetzung der Ukraine sind keine Panzer nötig. Einen Konfliktherd gibt es bereits, das sollte genügen. Und weiter sollte man allen die Möglichkeit geben, sich innerhalb des Landes selbst zu entzweien (dazu noch sind in der Ukraine weniger als zwei Jahre bis zu den Präsidentschaftswahlen). Und dafür wird alles gemacht, durch informative Einflussnahme, politische Agentur. Ich nenne sie beim Namen nicht, aber ich gebe ein klares Kriterium für die Bestimmung der ukrainischen Medien, die auf die eine oder andere Art zu Gunsten des Kremls arbeiten. Wenn Gespräche über die russische Aggression in der Ukraine nicht begrüßt werden, wenn die Worte „die Hand Moskaus“ als bedeutungslose Binsenweisheit ausgelacht werden, wenn über die russischen innen- und außenpolitischen Probleme, über Nachteile und Putins Schuld nicht gesprochen wird… Kurz gesagt, wenn die Hauptthese „Was sollen diese Gespräche über den Kreml und über Putin wieder, wir müssen auf sie nicht achten, wir müssen selbst unter einander in unseren Angelegenheiten klären“ ist, dann haben solche Medien mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Moskau-Engagement. Es ist keine Dämonisierung, das ist ein Informationskrieg. Natürlich muss man die Ordnung innerhalb des Landes schaffen. Aber die Bedrohung von außen ist doch die Hauptursache für die Unordnung.