Anders Fogh Rasmussen, Ex-Generalsekretär der Nato

In den Beziehungen zu Putin sollte man auf das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste gefasst sein

Heute ist der dänische Politiker Rasmussen ein anerkannter Anwalt der Ukraine in der euroatlantischen Gemeinschaft. Der ehemalige Leiter des Nordatlantischen Bündnisses (2009-2014) verteidigt konsequent die Interessen von Kiew und der Ukrainer unter den Bedingungen des durch Russland angezettelten Krieges gegen die Ukraine und des Hybridkrieges gegen die westlichen demokratischen Gesellschaften.

Rasmussen ruft die Führung der Ukraine zu Reformen auf, aber warnt vor Populismus im Lande, das in den Wahlprozess tritt.

Über die Perspektiven des Nato-Beitritts für die Ukraine, die Beurteilung der letzten Wiederwahl von Putin zum Präsidenten und über das mögliche baltische Szenario für die jetzt besetzte Krim hat der Ex-Nato-Generalsekretär und Berater des Präsidenten der Ukraine, Anders Fogh Rasmussen, in einem Interview mit dem Ukrinform-Korrespondenten in Brüssel erzählt.

Herr Rasmussen, neulich hat das Bündnis die Ukraine formal in die Liste der vier Länder aufgenommen, die offiziell ihre euro-atlantischen Bestrebungen erklärt haben, künftig das Nato-Mitglieder zu werden. Unter Politikern und Experten heißt dieser Begriff „Anwärterland“. Wie beurteilen Sie solche Entwicklung der Ereignisse für die Ukraine und was bedeutet dieser Status?

In Wirklichkeit sehe ich darin keinen neuen Status. Es ist ein Update, das die neue Realität in der Ukraine widerspiegelt hat. Ich erzähle die Geschichte darüber. Im Jahr 2008 haben wir auf dem Gipfel von Bukarest beschlossen, dass die Ukraine Mitglied der Nato werden wird. Das wurde getan, denn die Ukraine hat den Antrag auf die Erhaltung des Aktionsplans für die Mitgliedschaft eingereicht. Wir konnten uns darauf nicht einigen, aber wir sagten: „Ok. Sie werden ein Mitglied werden, aber natürlich wenn Sie das wollen“.

Dann wurde Janukowitsch zum Präsidenten gewählt. Er hat den Kurs der Ukraine zum blockfreien Status geändert. Die Allianz hat diese Entscheidung respektiert. Aber dann floh Janukowitsch.

Und sowohl der neue Präsident als auch die neue Zusammensetzung der Werchowna Rada haben deutlich ihre Absicht bekräftigt, zu engeren Beziehungen zwischen der Ukraine und der Nato zurückzukehren.

Ich halte es für einen großen Fehler, dass die Nato vergaß, ihre offizielle Webseite diesbezüglich zu aktualisieren. Und letztendlich haben sie das mit einer gewissen Verzögerung getan.

Der russische Präsident Putin hat seine vierte Amtszeit begonnen. Was sollte der Westen, aus Ihrer Sicht, in der Zukunft vom Herrn des Kremls erwarten und wie soll man unter der Bedingung des eskalierten aggressiven Verhaltens Russlands, des entfesselten Hybridkrieges handeln, der bereits alle Anzeichen einer „kalten“ Konfrontation hat?

Ich denke, wir sollten auf das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein. In der Hoffnung auf das Beste kann man denken, dass Präsident Putin seine letzte Amtszeit nutzen wird, um die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu verbessern. Aber wir sollten uns auch nicht vor einer solchen Entwicklung fürchten, dass Putin noch härtere Position gegenüber dem Westen haben wird. Was könnten wir also tun, um sich darauf vorzubereiten? Der einzige Weg ist, Putin zu zwingen, zu verstehen, die Notwendigkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit mit uns ist die Einhaltung eines festen Standpunktes und der Einheit, nicht nur innerhalb Europas, sondern auch zwischen Europa und den USA. Man soll zeigen, dass Putin in eine Konfrontation mit einer vereinten Union geraten ist, gegen die man nicht spielen darf.

Man muss weiterhin Druck auf Russland ausüben, bis es sein Verhalten ändert. Wir müssen auch Sanktionen verschärfen und der Ukraine Verteidigungswaffen gewähren.

Und die letzte Ansprache von Putin vor der Föderalversammlung der Russischen Föderation, wo er vor dem Westen mit nuklearen Angriffswaffen rasselte, hat nur die aggressiven Absichten von Moskau bei der wachsenden internationalen Isolation bestätigt...

Zunächst bin ich einmal sehr besorgt über die Verwendung solcher Sprache von russischer Seite. Sogar während des kommunistischen Regimes haben sie nie die Frage des Einsatzes von Kernwaffen angeschnitten. Ja, sie hatten Waffen, aber sie haben nie dieses Thema angesprochen. Jetzt ist in Russland ein neues Regime, das die Frage über Atomwaffen aufrollt. Und dies kann nicht nicht beunruhigen.

Bei der Erkenntnis des Ganzen möchte ich glauben, dass Putin dieses Problem etwas missbraucht und übertreibt. Ich bin nicht sicher, dass sie bereits solche Waffen haben. Aber allein die Tatsache der Verletzung dieses Themas stellt ebenfalls eine Bedrohung dar, die gegen den Westen gerichtet ist.

Von der Unfähigkeit Russlands, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, hat die Position bezeugt, die gesetzliche und gerechte Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts in einem Rechtsstreit zwischen Gazprom und Naftogaz zu erfüllen. Und das vor dem Hintergrund der Förderung des russischen Projekts „Nord Stream 2“. Welche Position haben Sie bezüglich der Möglichkeit der Festigung der Monopolstellung der Russischen Föderation auf dem europäischen Gasmarkt?

Wir haben vor kurzem gesehen, wie Gazprom nicht nur als Exporteur von Gas nach Europa agiert, sondern auch als politisches Instrument eingesetzt wird. Nord Stream 2 ist kein kommerzielles Projekt, es ist absolut geopolitisches Projekt.

Sie haben sich schon viele Male über das Konzept geäußert, nach dem die UN-Blauhelmtruppen im Osten der Ukraine eingesetzt werden sollen. Russland blockiert diesen Prozess. Also, nach welchem Mandat können die Blauhalme im Donbass effektiv die Situation beeinflussen?

Die Friedenstruppen müssen im Osten der Ukraine stationiert werden und ein verstärktes Mandat haben. Ich sehe die Friedenskräfte als einziges wirksames Instrument, das die vollständige Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk gewährleisten kann. Ihr verstärktes Mandat soll die Kontrolle über die gesamte Linie der internationalen Grenze zwischen der Ukraine und Russland vorsehen, um die Lieferung von russischer militärischer Ausrüstung und die Verlegung der russischen Truppen auf das ukrainische Territorium zu stoppen.

Schwere russische Rüstung muss so schnell wie möglich nach Russland abgezogen werden.

Die Führung der Ukraine hat die Schaffung eines bestimmten internationalen Formats zur Befreiung der Krim initiiert. Wie sehen Sie die Perspektiven für die Wiederherstellung der Souveränität von Kiew über die jetzt vorübergehend besetzte Halbinsel?

Meine Position ist ganz klar. Als Russland die Ukraine angegriffen und die Krim unrechtmäßig annektiert hat, hat es das Völkerrecht verletzt. Daher müssen wir die Annexion der Krim durch die Russische Föderation nie akzeptieren. Niemals!

Ich würde die Situation mit dem Schicksal der drei baltischen Staaten vergleichen. Sie wurden auch während des Zweiten Weltkrieges illegal durch die Sowjetunion besetzt. Und im Laufe einer langen Zeit existierte die Meinung, dass die baltischen Staaten nie ihre Unabhängigkeit wiederherstellen werden. Aber die Umstände haben sich geändert. Und jetzt sind diese Länder als unabhängige Staaten Mitglieder der Europäischen Union und der Nato.

Hoffentlich wird sich die Situation in der Zukunft in Bezug auf die Krim ändern.

Andrij Lawrenjuk, Brüssel.

Foto: Olga Tanasijtschuk, Ukrinform

yv