Alexander Vershbow

15.04.2016 16:11

NATO und EU werden niemals die Ansprüche Moskaus auf die Ziehung neuer Grenzen in Europa akzeptieren

Russische Aggression hat für die Korrekturen in der Zusammenarbeit der Ukraine mit der NATO gesorgt. Das Expansionsvorgehen der Russen hat vom Himmel auf die Erde nicht nur die Ukrainer zurückgebracht. Die Europäer werden auch die Rosabrille los. Wir reden zwar jetzt nicht über die Mitgliedschaft, aber unsere Partnerschaft mit der Allianz hat von nun an ein konkretes gemeinsames Ziel - Entgegenwirken den imperialen Plänen Moskaus. Der Durchblick des Ziels hilft, konkrete Programme der Zusammenarbeit zu erstellen. Was hat die NATO aus dem Konflikt in der Ukraine gelernt, wie wird sie den neuen Herausforderungen widerstehen und was soll die Ukraine für das effektive Team-Spiel mit dem Bündnis tun? Die Antworten auf diese Fragen versuchte Ukrinform im Gespräch mit dem stellvertretenden Generalsekretär der NATO, Alexander Vershbow, zu bekommen, der am Sicherheitsforum in Kiew teilgenommen hatte.

- Schon seit mehr als zwei Jahren führt Russland einen Hybrid-Krieg gegen die Ukraine. Hat die Allianz irgendwelche Konsequenzen aus diesen Hybrid-Kampfhandlungen gezogen? Was haben Sie aus diesem Konflikt gelernt?

- Wir haben viele Schlussfolgerungen auf der Grundlage unserer Beurteilungen der russischen Aggression gegen die Ukraine und der Folgen dieser Aggression gezogen. Auf der strategischen Ebene ist die Hauptfolge natürlich der Einfluss auf die Stabilität des europäischen Sicherheitssystems, unter Berücksichtigung, dass Russland alle Regeln gebrochen hat, die es selbst geholfen hatte, in der Schlussakte von Helsinki und anderen wichtigen Dokumenten, insbesondere in der Charta von Paris, im Budapester Memorandum und anderen, vorzuschreiben.

Wir studierten auch den Einsatz von Methoden des Hybrid-Krieges während der illegalen Annexion der Krim und der Destabilisierung im Donbass. Keine dieser Techniken ist neu, aber die Weise ihres Einsatzes von Russen im Komplex und bei hoher Intensität wurde eine wichtige Lektion, nicht nur für die Zukunftssicherung der Ukraine, sondern auch für unsere Sicherheit.

Wir arbeiten in der NATO an der Entwicklung der Strategie des Entgegenwirkens dem Hybrid-Krieg, die von den Ministern der Mitgliedsländer genehmigt wurde. Dies zeugt von der Wichtigkeit dieser Frage. Wir arbeiten jetzt auch in der Allianz und mit der Europäischen Union für die Schaffung von Komplexinstrumenten für die Verhütung, das Entgegenwirken und die Aufgabe des Scheiterns des Hybrid-Krieges.

Ich hatte Treffen mit ukrainischen Beamten, die klar erklärt haben, dass die Ukraine ebenfalls bereit ist, ihre Erfahrungen zu teilen. Diese Lektionen können sehr wertvoll für unsere Verbündeten sein, deshalb muss man mit der Ukraine kooperieren.

Unsere Strategie berücksichtigt die realen Handlungen Russlands mit der Desinformation, der subversiven Tätigkeit, verdeckten Aktionen, Cyber-Angriffen, mit allen anderen Elementen des Hybrid-Krieges. So sind wir bereit, wenn sie versuchen, sie gegen uns einzusetzen.

- Sie sagen, dass Sie bereit sind, aber die NATO-Mitgliedsländer reduzierten innerhalb der letzten 10 Jahre die Ausgaben für die Verteidigung und ihre Verteidigungshaushalte. Das beeinflusste natürlich die Kampfbereitschaft der Allianz. Was planen Sie zu tun, um dieses Problem zu lösen und wirklich bereit zu sein?

- Es ist wirklich eine große Herausforderung für die Allianz. Mit dem Ende des Kalten Krieges haben alle versucht, die Dividenden des friedlichen Lebens zu nutzen, und haben die Verteidigungsausgaben reduziert. Aber ich denke, dass das, was in der Ukraine vor zwei Jahren geschah, unsere Verbündeten dazu bewegt hat, diese Vorgehensweise zu überdenken. Daher war eine der wichtigsten Entscheidungen während des Wales-Gipfels die Verpflichtung unserer Führungskräfte, mit der Kürzung aufzuhören und mit der Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf der Ebene von 2 % des BIP zu beginnen. Im vergangenen Jahr haben 16 von 28 Ländern des Bündnisses schon real ihre Verteidigungshaushalte erhöht. Einige Länder haben die Pläne genehmigt, die Ausgaben von 2 % des BIP in wenigen Jahren zu erreichen.

Somit haben wir den Prozess gestartet, und wir überprüfen unsere Ansätze, aber die Arbeit ist noch lange vor Ende.

- Wie viele Jahre brauchen Sie denn wirklich?

- Unsere Verbündeten haben sich den Zeitraum von 10 Jahren nach dem Wales-Gipfel gesetzt, d. h. bis 2024. Aber viele Länder werden das gesetzte Ziel schon früher erreichen. Und es ist auch sehr wichtig, wofür diese Mittel ausgegeben werden. Wir legen einen Akzent darauf, dass unsere Verbündeten einen höheren Prozentsatz des Verteidigungshaushalts für neue Bewaffnung, Forschung und Entwicklung ausgeben. Das gibt uns die erforderliche Einsatzbereitschaft für das Entgegenwirken der russischen Aggression und anderen Bedrohungen, weil wir mit den Bedrohungen aus dem Süden, Osten konfrontiert sind. Die NATO muss zu allen Bedrohungen bereit sein.

- Bedeutet, Ihrer Meinung nach, die Rückkehr zur Blockkonfrontation zwischen der NATO und der Russischen Föderation, dass Moskau sein Ziel erreicht und die europäischen Länder in ihre historische Entwicklung zurückgeworfen hat?

- Nein, ich glaube bestimmt nicht, dass Moskau sein Ziel erreicht hat. Es ist klar, welches Ziel es war, die neuen Trennlinien in Europa zu ziehen, wo solche Länder wie die Ukraine, Georgien, Moldawien zur russischen Einflusssphäre zählten, und diesen Ländern nicht zu erlauben, vollständig souverän und unabhängig zu werden. Sie (Russland – Red.) haben das nicht erreicht. Die NATO und die EU werden das niemals akzeptieren.

Allerdings müssen wir die Maßnahmen treffen und Russland nicht zuzulassen, sein Ziel zu erreichen. Ein Teil davon ist die Verstärkung unserer Verteidigung. Und wir müssen den Ländern helfen, die danach streben, sich nach europäischen Standards zu entwickeln, wie die Ukraine, erfolgreich zu werden. Daher ist eine meiner Aufgaben des Besuchs in der Ukraine, bei der Umsetzung der Reform des Sicherheits- und Verteidigungssektors zu helfen, die der integrale Bestandteil der gesamten Reformagenda ist, die die Ukraine jetzt unter der neuen Regierung durchführen muss. Sicherlich, wir können der Ukraine helfen, aber die Ukraine muss sich selbst helfen. Russland nicht zuzulassen, sein Ziel zu erreichen, ist unsere gemeinsame Aufgabe, und die Ukraine hat hier eine Schlusselbedeutung.

- Haben Sie irgendwelche Pläne für die Änderungen im Format „Partnerschaft für den Frieden“, angesichts der russischen Aggression?

- Das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ ist immer noch ein nützliches Format für die Zusammenarbeit mit der Ukraine, mit den anderen Ländern in Europa. Sogar mit einigen Ländern in Zentralasien wird es aktiv gearbeitet, nämlich mit Kirgisistan und Kasachstan. Wir haben andere ähnliche Formate der „Partnerschaft“, insbesondere mit den Ländern des Nahen Ostens, den Ländern Ostasiens.

Aber in Bezug auf Russland ist unsere praktische Zusammenarbeit beendet, sowohl im Format des NATO-Russland-Rates als auch in der „Partnerschaft für den Frieden“. Dies bedeutet nicht, dass wir mit Russland nicht im Kontakt sind, aber die praktische Zusammenarbeit ist auf allen Ebenen ausgesetzt.

- Die letzte Frage, grundsätzliche und gleichzeitig naiv: bleibt die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auf der Tagesordnung?

- Ich würde sagen, dass sie nicht auf der heutigen Tagesordnung ist, weil sich die Ukraine selbst mehr auf die Reformen, die Einführung der NATO-Standards, die Verbesserung ihrer Fähigkeiten bei der Gewährleistung der eigenen und europäischen Sicherheit konzentriert. Das heißt, die Ukraine setzt jetzt nicht die Mitgliedschaft zum Ziel.

Aber wir respektieren natürlich das Recht der Ukraine, sich um die Mitgliedschaft zu bewerben, und wenn nach diesen Reformen, die erfolgreich umgesetzt werden, das ukrainische Volk entscheiden wird, diesen Schritt zu gehen, dann haben wir die notwendigen Verfahren und Mechanismen dafür. Diesbezüglich gibt es keine Diskriminierung. Wir halten uns an das Prinzip, dass die Länder das Recht haben, das eigene Sicherheitssystem selbstständig zu wählen.

Witalij Fedjanin, Kiew.