Halten Sie ein, Herr Rosa!

Halten Sie ein, Herr Rosa!

Ukrinform Nachrichten
Einspruch gegen einen Einspruch in Sachen Ukraine

Sicher könnte man es sich einfach machen und die Meinung des bekannten Soziologen Hartmut Rosa („Haltet ein!“ Der Spiegel, 30/2022) in einer Angelegenheit, in der er keine irgendwie erkennbare Expertise hat, völlig ignorieren. Doch dann stößt man in der Fachzeitschrift „Osteuropa“ auf eine Aussage von Karl Schlögel, einem der wichtigsten Osteuropa-Experten des deutschsprachigen Raumes:

„Wir haben längst verstanden, dass man das Böse und Gewaltsame nicht mit Gebeten erledigen kann, aber wir sind so höflich, um noch die beschämendste Dummheit eines heruntergekommenen Pazifismus ernst zu nehmen und unsere ganze Kraft in Widerlegungen zu investieren. Wir wissen, dass man sich gegen Waffen nur mit Waffen zur Wehr setzen kann, wollen aber doch die Nerven behalten, wenn jemand von ‚Aushandeln‘ und ‚Verzicht auf Maximalpositionen‘ faselt. Wir verteidigen den Dialog, auch wenn dieser längst aufgekündigt ist. Wir setzen auf den herrschaftsfreien Diskurs, auch wenn dieser längst illusorisch geworden ist.“

Das wurde zwar nicht über Rosa gesagt, passt aber (auch) auf ihn. Und daher sei hier – nun, nicht die „ganze“, aber doch ein wenig (und jedenfalls ausreichend) – Kraft in eine Widerlegung investiert.

Gleich zu Beginn klingt bei Rosa Unverständnis darüber an, dass sich „die Politik“ (?) überhaupt für den Krieg gegen die Ukraine interessiert, wo es doch seiner Meinung nach viel wichtigere Probleme – Hitze, Dürre, ausgetrocknete Böden, Ausstieg aus der Atomkraft usw. – gäbe. Den Begriff „mörderisches Regime“ münzt Rosa auf Katar – und nicht auf Wladimir Putin Herrschaftsform in Russland, wo er noch sehr viel angebrachter wäre. Ölkonzerne aus Saudi-Arabien seien, so beschwerte sich Rosa, wieder die „wertvollsten Unternehmen der Welt“. – Das ist tatsächlich bedauerlich, zumal es sich hier um alles andere denn um eine Demokratie handelt. Die Gewinne russischer Rohstoffkonzerne auch und gerade durch Putins Krieg sowie seine künstlichen Verknappungen von Öl und Gas, mit denen der Kreml die Preise künstlich in die Höhe treibt, um die Zerstörung der Ukraine leichter von den Kunden in der EU finanziert zu erhalten, kommen bei Rosa allerdings aus unbekannten Gründen nicht vor.

Weiter kritisiert Rosa, dass „die Politik“ (?) „auf Kohle setzt“. Welche „Politik“ genau? Rosa schweigt sich dazu aus. Warum? Weil er dann China beim Namen nennen müsste, das er quasi als „Schiedsrichter“ in der Ukraine einsetzen will (siehe unten)? China baut allerdings neue Kohlekraftwerke im In- und Ausland viel schneller als man sie in Westeuropa schließen kann und eröffnet dazu auch neue Kohlebergwerke, was freilich aus unerfindlichen Gründen kaum jemals Gegenstand kritischer Aufmerksamkeit von Rosa & Co. ist. Vollkommen kontrafaktisch wird Rosa (einmal mehr) dort, wo er trotz der allgemein bekannten Energiepolitik Pekings (übrigens und auch gerade im Rahmen des Wahnsinns-Projekts einer praktisch weltumspannenden „neuen Seidenstraße“) diesem zuschreibt, kein Interesse „an einer Verschärfung der Klimakrise“ zu haben: Herr Rosa! Die KP-Bosse in Peking husten auf Ihre Besorgnisse um das Klima, sondern machen beinharte Geopolitik – was ihnen umso leichter fällt, als sie in Westeuropa auf sehr wenig bis gar keinen Widerstand stoßen, sondern sogar – passiv und aktiv – in Politik, Geschäftsleben, Medien und Sozialwissenschaften vielfach nachdrückliche Unterstützung erfahren. Übrigens genauso wie Putin bis (zumindest) zum 24. Februar 2022, als er seinen verbrecherischen Großangriff auf die Ukraine startete.

Dann kritisiert Rosa schon das bloße „Reden“ von Fracking (für das es längst – ihm sichtlich unbekannte – umweltfreundliche Methoden gibt). Was ist verwerflich an einer bloßen Diskussion? Wie lange will Rosa noch ausgiebig Putins Erdgas und Erdöl kaufen und damit dessen Krieg gegen die Ukraine finanzieren?

Wer darauf bestehe, dass die Krim und der Donbass „wieder ukrainisch“ würden, nehme – so fällt Rosas argumentatives Fallbeil hernieder – „einen sehr langen Krieg und damit den globalen Ökozid“ in Kauf. – Damit „köpft“ er allerdings die falsche Person, denn er verliert kein Wort darüber, dass es Putin war, der diesen Krieg begonnen hat und dass es dessen Armee ist, die in der Ukraine selbst und im Schwarzen Meer Umweltverbrechen am laufenden Band begeht. Besonders dramatisch sind die russischen Bedrohungen für die ukrainischen Atomkraftwerke (die Internationale Atomenergiebehörde IAEA warnte Anfang August 2022 vor einer Katastrophe im Kraftwerk Saporischja, wo die Russen eine Militärbasis eingerichtet haben), doch nicht einmal sie kommen bei Rosa auch nur ansatzweise vor. Stattdessen beschuldigt er die sich verzweifelt wehrende Ukraine (und ihre internationalen Unterstützer) des „Ökozids“! Damit ist die Täter-Opfer-Umkehr perfekt.

Dann wähnt sich Rosa auf der Spur einer gewaltigen Verschwörung: Fracking, Kohle, Atomenergie usw. seien Vorwände „der Politik“ (?), „nicht über einen Waffenstillstand in der Ukraine reden zu müssen, über Verhandlungen nicht einmal nachzudenken und den Krieg fortzusetzen“. Putin kommt hier gar nicht vor – so, wie wenn nicht sein Krieg und dessen „Fortsetzung“ das Hauptproblem wäre, sondern ein angeblicher bösartiger Unwille irgendeiner „Politik“ (offenbar gemeint: in der Ukraine und im „Westen“). Falsch liegt Rosa aber auch deshalb, weil mehrere westeuropäische Politiker seit dem 24. Februar wiederholt einen Waffenstillstand verlangt haben – kurzsichtigerweise, weil ein solcher bedeuten würde, dass Putin die bisher militärisch eroberten Gebiete der Ukraine auf unabsehbare Zeit einfach „behielte“. Aber das ist es ja genau, was Rosa möchte und sogar als Konfliktlösung anpreist (siehe dazu unten) – in völliger Unkenntnis (bzw. Verdrehung) der Fakten.

Mit „Bellizisten“ meint Rosa u.a. die deutschen Grünen (!) Annalena Baerbock und Ralf Fücks und nicht etwa den faschistischen Diktator Putin, der buchstäblich seit dem ersten Tag seiner Herrschaft 1999 Krieg führt – zuerst gegen die nordkaukasische Republik Tschetschenien (mit einer sechsstelligen Anzahl ziviler Tote, um die sich in Westeuropa und Nordamerika kaum jemand scherte), 2008 gegen Georgien, in Syrien (seit 2015) und eben gegen die Ukraine (seit 2014).

Rosa beschwört eine „Realpolitik“ und einen „letzten Funken gesunden Menschenverstandes“. Will er damit sagen, dass jene, die nicht seiner Meinung sind, über keinen „gesunden Menschenverstand“ verfügen und damit – ja, „krank“ sind? Es wäre freilich geradezu hinterhältig, wenn Rosa jenen, die sich den Luxus einer von der seinen abweichenden Meinung erlauben, die geistige Gesundheit absprechen würde. Müssen seine Studenten solche Weisheiten eigentlich bei Prüfungen rekapitulieren, wenn sie nicht durchfallen wollen?

Der ukrainische Historiker und Autor Kyrylo Tkachenko spürte im „Spiegel“ folgendes Problem in der Einstellung des „vermeintlichen Pazifismus“ zum Völkerrecht auf:

„Denn im Grunde meinen die Befürworter dieses Pazifismus, dass es im Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen etwas Höheres gibt als Völkerrecht. Bei Hartmut Rosa sind es beispielsweise die ‚Moral‘ und die „Realitätspolitik“, die angeblich über dem Völkerrecht stehen […].“

Dann nennt es Rosa „falsch“ anzunehmen, dass man der Ukraine nicht vorschreiben dürfe, „wann sie den Krieg beendet“. Dazu nochmals Tkachenko:

„Als Ukrainer werde ich überhaupt nicht wahrgenommen in der deutschen Debatte. Es handelt sich hierbei um ein wichtiges Merkmal all dieser ‚offenen Briefe‘ und Appelle für ‚Frieden‘, dessen Leidtragende die Ukrainer werden sollen: Trotz der Versicherungen, man wolle das Blutvergießen beenden, spielen die Leben der Ukrainer in diesen Briefen und Aufsätzen keine Rolle. Und schon gar nicht deren Wünsche, Hoffnungen, Zukunftspläne. Man bezieht sich auf die Ukraine nicht als vollwertiges Subjekt, sondern sieht das Land als Verhandlungsmasse mit beschränkter Souveränität. Was die Befürworter einer Befriedigung Russlands vielleicht nicht begreifen: Sie stehen damit in einer unrühmlichen Tradition von Appeasement-Forderungen, die bis heute nicht verstummen.“

Alles das wird natürlich an Rosa abprallen wie ein Gummiball an der Kremlmauer. Doch er will, man höre und staune, die Ukraine „sofort in die Nato und die EU“ aufnehmen, wozu er sogar bereit sei „kalt zu duschen“. – Das ist entwaffnend. Da können sich nämlich die Ukrainer, die sich doch nur dem Eroberungskrieg einer von einem irren Diktator kommandierten, imperialistischen Atommacht widersetzen, in Sachen Opferbereitschaft eine dicke Scheibe abschneiden. Allerdings werden – das sei hier prognostiziert – auch noch so lange kalte Duschen von Herrn Rosa im tiefsten Winter nichts an der völligen Aussichtslosigkeit seines „Planes“ ändern, und zwar aus mehreren Gründen.

So haben insbesondere Deutschland und Frankreich beim Gipfeltreffen der NATO 2008 in Bukarest eine konkrete NATO-Perspektive (konkret: einen sogenannten „Membership Action Plan“) für die Ukraine verhindert. Damals herrschte aber tiefer Frieden – und da glaubt Rosa, dass die NATO die Ukraine jetzt, also während eines Krieges, aufnehmen würde?!

Recep Tayyip Erdoğans Türkei, die sich den EU-Sanktionen gegen Russland nach dem 24. Februar 2022 demonstrativ nicht angeschlossen hat und anhaltend mit Putin gute Geschäfte macht (bestätigt ein weiteres Mal bei einem Treffen Putins und Erdoğans am 5. August im russischen Sotschi) hat damit gedroht, die NATO-Beitritte Schwedens und Finnlands zu blockieren – und da soll Erdoğan nun einer Mitgliedschaft der Ukraine zustimmen (die wahrscheinlich auch der nicht minder prorussische ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán verhindern würde)?! Aber selbst wenn das alles zu lösen wäre: Die Ukraine wurde unzweifelhaft von Russland angegriffen – und könnte daher im Falle einer NATO-Mitgliedschaft sofort an die Beistandsklausel nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages appellieren. Will Rosa also westeuropäische, darunter deutsche, Soldaten in die Ukraine schicken und sie dort gegen russisches Militär kämpfen lassen? Wenn ja, sollte er das auch offen sagen. Wenn nein, wie will er das verhindern, wenn die Ukraine in Entsprechung seines Wunsches der NATO angehörte? Zudem ist seine Idee in sich widersprüchlich: einerseits will er die Ukraine in der NATO sehen und den „genauen Verlauf“ ihrer Grenzen einem (wörtlich) „Verhandlungstisch“ überantworten; anderseits erwähnt er einfach nicht (sehr wahrscheinlich, weil er es gar nicht weiß), dass die NATO bisher noch nie Länder zum Beitritt eingeladen hat, deren Grenzen ungeklärt bzw. die in Gebietsstreitigkeiten mit Nachbarländern verwickelt sind – von Ländern, die aktiv Krieg führen (wie derzeit die Ukraine), ganz zu schweigen.

Jene, die Rosa als „Bellizisten“ perhorresziert und verunglimpft, würden „aus dem sicheren Wohnzimmer, aus dem Hinterland heraus andere zu einem unbarmherzigen Krieg“ antreiben (!). Dann hat also die Ukraine, die sich „antreiben“ lässt, Schuld am Krieg? In Rosas Logik eindeutig ja – denn hätte sie sich einfach widerstandslos von Putins Soldateska besetzen lassen, wäre es gar nicht zu diesem Krieg gekommen (sondern zu einer „Landnahme“ Russlands). Und Rosa legt aus seinem eigenen „sicheren Wohnzimmer, aus dem Hinterland heraus“ einfach fest, dass die Ukraine auf die Krim und den Donbass endgültig zu verzichten hat, weil er – in totaler Unkenntnis der Lage – fest davon überzeugt ist, dass das ein Weg zum Frieden wäre. Nun glaubt der in osteuropäischen Angelegenheiten völlig „unbeleckte“ Rosa zu wissen, dass die Ukraine das nur „sehr, sehr ungern akzeptieren“ würde. Herr Rosa, es ist sogar noch schlimmer: die Ukraine würde das freiwillig überhaupt niemals akzeptieren. Dazu ein letztes Mal Tkachenko:

„Es gibt nicht viele Dinge in der Ukraine, die auf größeres Unverständnis stoßen als ‚offene Briefe‘ oder Meinungsbeiträge aus Deutschland, die dafür plädieren, die Waffenlieferungen einzustellen und einen vermeintlichen ‚Frieden‘ durch territoriale Zugeständnisse seitens der Ukraine zu erreichen.“

Ein ukrainischer Präsident, der einen Vertrag über die Abtretung von Gebiet an Putin unterschreiben wollte, würde in voller Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen des Landes wegen Hochverrats vom Parlament abgesetzt und dorthin gebracht, wo er hingehörte – nämlich vor Gericht. Man müsste die Ukraine also zwingen, sich einem multilateralen Diktat zu unterwerfen, konkret: mit ihr so verfahren wie Nazi-Deutschland, Großbritannien und Italien im September 1938 in München mit der Tschechoslowakei: Irgendwelche „Mächte“ – wohl (neben Russland) die USA und die EU – beschließen also unter sich und ohne jede Zustimmung, ja überhaupt Teilnahme des Opfers (also der Ukraine), dass es Gebiete herzugeben hat, und zwar, um den „peace for our time“ zu sichern – wie seinerzeit der britische Premierminister Neville Chamberlain in grenzenloser Naivität gegenüber Hitler. Nun sollte man eigentlich wissen, wie diese Sache weiterging (und gute Absichten können den katastrophalen Ausgang einer Unternehmung nicht rechtfertigen und nicht „heiligen“, ja nicht einmal „erklären“). Doch Rosa schlendert weiter geschichtsvergessen durch den Blätterwald und klebt von Zeit und Zeit eines seiner von nichts als purer Inkompetenz in Sachen internationaler Politik zeugende Manifeste an einen Baum.

Die „Bellizisten“, so Rosa in einer besonders bizarren Volte, würden „wohlweislich nie davon reden“ (?!), dass Krieg „töten und getötet werden“ bedeute. – Herr Rosa! Das wissen bereits Volksschulkinder. Aber Sie glauben offenbar, hier ein großes Geheimnis gelüftet zu haben, das die sinistren „Bellizisten“ sorgfältig vor der Öffentlichkeit verbergen wollen. Und dann geht es gleich weiter: „Es gibt keinen Krieg ohne Kriegsverbrechen brutalster Art.“ – Aha. Und was, Herr Rosa, heißt das nun wieder? Doch nicht etwa, dass der Terror von Putins Bande von Sadisten, Vergewaltigern und Plünderern (die sogenannte „Armee Russlands“) gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine eigentlich so schlimm nicht sei, weil es „Kriegsverbrechen brutaler Art“ ja „überall“ gäbe? Das ist übrigens eine beliebte Art, Angriffskriege, Massaker, „ethnische Säuberungen“ usw. zu „erklären“ und zu „rationalisieren“: Man „ordnet ein“, „historisiert“, „verallgemeinert“ und „bringt in einen Kontext“ – und schon ist alles nicht mehr ganz so schlimm, nach dem Motto: „Machen ja alle, ist auch schon früher in den Ländern X, Y und Z passiert. Die sollen sich also nicht so haben.“ Ja, Herr Rosa, damit trösten Sie die Opfer von Putins aktuellem Vernichtungskrieg sicher ganz ungemein. Aber nehmen Sie trotzdem einen Ratschlag an: Argumentieren Sie so besser nicht, wenn Sie in der Reichweite der Fäuste von Ukrainern sind. Und zwar auch dann, wenn Ihnen nicht die Klitschko-Brüder gegenüberstehen.

Der Kiewer Kulturwissenschaftler Vasyl Cherepanyn meinte Mitte August 2022 im Wiener „Standard“ auf die Frage, ob man denn gemäß der Meinung diverser deutschsprachiger Intellektueller „auf einen Kompromiss mit dem Aggressor zusteuern“ sollte:

„Ich halte das für eine überhebliche Form von ‚Westsplaining‘. Zugeständnisse an den Aggressor zu machen, wäre naiv, weil der Kreml diese ohnehin nicht akzeptiert. Wenn es ihm nämlich nur um die Krim und den Donbas gehen würde, warum hat Putin dann die Invasion auf das ganze Land gestartet?“

Ein „Verbleib“ der Krim und des Donbass bei Russland würde entgegen den Versicherungen von Rosa den russischen Eroberungskrieg belohnen, ja befeuern und die Verfassung der Ukraine von 1996, in der ihre territoriale Ausdehnung und Bedingungen für Grenzänderungen unmissverständlich beschrieben sind (vgl. Artikel 2: „Das Territorium der Ukraine innerhalb ihrer gegenwärtigen Grenzen ist unteilbar und unverletzlich“; Artikel 73: „Änderungen des Territoriums der Ukraine sind ausschließlich durch ein landesweites Referendum möglich“), endgültig zu Putins Toilettenpapier degradieren. Das aber kümmert wiederum Rosa nicht, denn der weiß: „Auf der Krim steht Russlands Schwarzmeerflotte.“ Das sei ein „wesentlicher Grund für Putin“ gewesen, die Halbinsel zu annektieren, weil „gedroht“ worden sei, sie von dort zu „vertreiben“. „Gedroht“ von wem? Das verrät Rosa leider nicht. Vergegenwärtigen wir uns die Tatsachen: 1997 räumte die Ukraine Russland das Recht ein, seine Schwarzmeerflotte weiterhin auf der Krim zu unterhalten (ein verhängnisvoller Fehler, wie sich später herausstellen sollte) – und zwar bis 2017, zudem noch mit einer Option auf Verlängerung um fünf Jahre. 2010 stimmte der prorussische ukrainische Präsident Viktor Janukowytsch, der sich spätestens 2014 als Verräter seines Landes zu erkennen gab, zu, dieser Stationierung gleich bis (zumindest) ins ferne Jahr 2042 (!) zu. Eine „Drohung“, die russische Schwarzmeerflotte zu „vertreiben“, wegen der man die Annexion der Krim nicht billigen, aber doch irgendwie nachvollziehen könne, existierte also ausschließlich in Rosas (reicher) Phantasie. Zudem spricht er von einer „illegalen Annexion“. Was soll das wiederum bedeuten? Annexionen sind eo ipso illegal, eine „illegale Annexion“ ist daher ein Pleonasmus.

Dann fährt Rosa fort, dass man „seinetwegen“ auch Georgien und die Republik Moldau in die NATO aufnehmen könne, was, so hofft er jedenfalls, Putin von einem Angriff auf diese Länder abhalten würde. – Nun will die Moldau (im Unterschied zu Georgien) gar nicht Mitglied er NATO werden; es hat sich in seiner Verfassung zur Neutralität verpflichtet (Artikel 11.1), und bisher zeichnet sich nicht ab, dass das Land – wie das Schweden und Finnland kurz nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine getan haben – auf diese verzichtet und einen Antrag auf Beitritt zur NATO stellt. Doch nehmen wir einmal an, dass sich das ändert. Im Falle einer theoretischen Mitgliedschaft der Moldau und Georgiens wäre die Allianz mit russischem Militär auf ihrem Territorium konfrontiert: Dieses ist nämlich in den separatistischen Landesteilen Transnistrien (Moldau) sowie Abchasien und Südossetien (Georgien) seit jeher stationiert – und zwar gegen den erklärten Willen der Regierungen in Chișinău bzw. Tbilisi. Diese könnten sich also sofort auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages berufen und verlangen, dass die anderen NATO-Mitglieder militärische Maßnahmen gegen diese russischen Truppen einleiten. Und will Rosa dann westeuropäische, darunter deutsche, Soldaten in die Moldau und nach Georgien entsenden, auf dass diese die Russen vertreiben (oder es wenigstens versuchen)? Solche Fragen stellt er aber erst gar nicht und enthebt sich damit selbst der Notwendigkeit ihrer Beantwortung. Diese „Arbeitsweise“ ist freilich auch in einem publizistischen Text unseriös, von Wissenschaftlichkeit ganz abgesehen.

Was bietet Rosa noch an? So etwa seine Meinung, wonach die „Beseitigung“ (wie er das nennt) des libyschen Diktators Muammar Gaddafi eine „ganz schlechte Idee gewesen“ sei. Das sollte Rosa erst einmal dessen libyschen Landsleuten sagen, die das 2011 initiiert haben (die NATO war nur mit Kampfflugzeugen, nicht mit Bodentruppen involviert). Sein Bedauern über das Ende eines Tyrannen, der 42 Jahre lang in der halben Welt für Unruhe gesorgt, arabische und linke Terroristen sowie rechtsradikale Irrlichter aus der EU (merke: Hauptsache Unruhe, egal, wer sie inszeniert) protegiert hatte, soll eine „ganz schlechte Idee“ gewesen sein?! Das lässt tief in die Sympathien Rosas blicken.

Und die ewige, auch von ihm benutzte pseudo-empörte Leier des „Gaddafi, Slobodan Milosevic, Saddam Hussein, Wladimir Putin, Xi Jinping ... [Zutreffendes einsetzen] ist doch nicht Hitler!“ läuft immer darauf hinaus, dass man sich gegen den Irrsinn jener, die „doch nicht Hitler“ sind, erst gar nicht zur Wehr setzen sollte. Doch warum eigentlich nicht? Ganz einfach: weil sie „eben nicht Hitler sind“. Das sollte man aber direkt jenen sagen, die derzeit in der Ukraine von jenen Verbrechen betroffen sind, die „Nicht-Hitler“ Putin seine sogenannte Armee dort verüben lässt. Daher wäre es uneingeschränkt zu begrüßen, wenn Rosas Text übersetzt und in der Ukraine verbreitet würde – damit man dort (noch) besser begreift, auf welchem deplorablen Niveau der (vermeintlich) „intellektuelle Diskurs“ in Westeuropa zumindest teilweise verläuft. Hinweise auf Hitler würden, so eine der großen Sorgen Rosas, „den Gegner mundtot machen“. Das ist nur noch ein müder Witz. Von ihm abgesehen haben nämlich wirklich alle bemerkt, dass die auf das eigene wie internationale Publikum gerichtete Propagandawalze des Kremls 24/7 auf Hochtouren läuft und ein „Mundtotmachen“ das absolut Letzte ist, was ihr „droht“ – so wünschenswert das (nicht für Rosa!) auch wäre. Und es sind kategorisch nicht die Ukraine und ihre Unterstützer, die „die mörderische Gewalt des Krieges zum Heilmittel“ (Rosa) machen, sondern Putin und seine Soldateska. Rosa vertauscht einmal mehr Opfer und Täter, was nur noch unerträglich ist.

Nicht „nur“ polemisch, sondern absolut hanebüchen und unerhört ist die Unterstellung Rosas an die Adresse der von ihm sogenannten „Bellizisten“, dass diese auch China „besiegen“ wollten. Diese würden nämlich, so Rosa ohne Nennung auch nur einer einzigen seriösen Quelle, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping als „nächsten Hitler erkennen“. Doch auf China mitsamt seiner Diktatur lässt Rosa nichts kommen, auch wenn dieses derzeit u.a. damit befasst ist, Regimekritiker in psychiatrische Kliniken zu sperren sowie nationale Minderheiten – und insbesondere die Uiguren – schlicht und einfach zum Verschwinden zu bringen, indem es diese in Lagern „umerzieht“ und sinisiert. Und mit China hat Rosa noch große Pläne, auch wenn dessen Armee im August 2022 – wieder einmal – den Angriff auf Taiwan übte: er will es zum „Friedensrichter“ in der Ukraine machen. Wie kommt Rosa darauf? Indem er sich Tagträumen hingibt: Es sei nämlich, so doziert er, „falsch“, dass man Putin nicht trauen dürfe. Stattdessen sei es durchaus möglich, ihn zu „bewegen“ (?). „Es sind Pfade denkbar, man muss es nur wollen und seine politische, kreative und auch ökonomische Kraft für ein solches Friedensziel mobilisieren, anstatt alle intellektuelle und materielle Kapazität in die Konfliktverschärfung zu investieren.“ – Also merke: Wer sich gegen Putins Eroberungskrieg wehrt, „verschärft den Konflikt“. Sagt Rosa, der Mobilisierer „kreativer Kräfte“. „Verschärft“ man eigentlich auch den Konflikt, wenn man (was Rosa nicht tut) alle Verträge, Vereinbarungen und Regeln des Völkerrechts aufzählt, die Putin seit 1999 mit Füßen getreten hat? Es wäre eine lange Liste. Doch wie dem auch sei, Rosa ist nun bei China angelangt, das „kein Interesse am Ukrainekrieg“ und noch weniger an einem sich weiter zuspitzenden neuen kalten Krieg“ habe. – Nein, wirklich? Warum hat sich China dann bisher mit keinem Wort gegen Putins Kolonialkrieg gegen die Ukraine ausgesprochen und – natürlich – auch keine Sanktionen gegen Russland verhängt, die dessen Kriegsführungsfähigkeiten beeinträchtigen könnten? Warum kauft es weiterhin Putins Rohstoffe, was diesem die Finanzierung seiner Kriegsmaschine erheblich erleichtert?

Dann phantasiert Rosa weiter – und zwar von einer „globalen Sicherheitsarchitektur, die nicht gegen andere gerichtet ist, sondern inklusiv angelegt wäre“. – Abgesehen davon, dass bisher nicht einmal eine regionale „Sicherheitsarchitektur“ existiert, welche die Ukraine vor einem russischen Großangriff hätte schützen können: Rosa spricht sich hier also explizit gegen eine „Sicherheitsarchitektur“ aus, die auf den Schutz vor einem militaristischen, faschistischen und expansionistischen Russland ausgerichtet wäre; stattdessen will er dieses „inkludieren“. Das variiert die heute nur noch tragikomisch klingende Beschwörung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz u.a. gegenüber Putin, wonach „Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland erreicht werden kann“ (Twitter, 15. Februar 2022); einige Tage später startete genau dieses Russland den Großangriff auf die Ukraine. Nicht alle haben, wie der Text Rosas einmal mehr dokumentiert, daraus Lehren gezogen. Er bewirbt seine „globale Sicherheitsarchitektur“ mit Worten auf dem intellektuellen Niveau eines Handelsvertreters, der seine Ware losschlagen muss: „So können wir der mörderischen Bedrohung durch Hitze und Dürre entgegentreten.“ Hitze und Dürre gehören allerdings zu den kleinsten Bedrohungen, denen die Bevölkerung der Ukraine derzeit ausgesetzt ist. Doch für deren Schicksal interessiert sich Rosa – nach seinem Text zu schließen – wenig bis gar nicht. Und eine Beendigung des Krieges durch Putin und seinen völligen Truppenabzug aus der Ukraine (natürlich einschließlich Krim und Donbass), was die einzige moralisch richtige sowie auch und gerade völkerrechtlich konforme Lösung wäre, fordert Rosa nirgends. Das alleine ist verstörend und sollte bereits ausreichen, seine Meinungen in Angelegenheiten der internationalen Politik vollkommen zu diskreditieren. Er ist dabei streng ein Teil jenes (zumindest in Westeuropa) „intellektuellen Mainstreams“, der ständig „den Planeten retten“ will, nachdem er an lokalen bis regionalen Aufgaben gescheitert ist.

Was kommt noch alles bei Rosa nicht vor, obwohl es zur Beurteilung der Lage unabdingbar ist? So z.B. die (neuerliche) Hochrüstung der russischen Armee unmittelbar nach Putins Amtsantritt 1999 (was durch die damals gerade stark steigenden Preise für Erdöl und Erdgas erleichtert wurde) und, damit korrespondierend, die Militarisierung der ganzen Gesellschaft (bis zu Volksschulkindern, und zwar in Gestalt der sogenannten „Jugendarmee“). Spätestens ab dem 24. Februar 2022 baute Putin das längst autoritäre Russland innerhalb kurzer Zeit zu einem praktisch totalitär regierten Staat um, dessen Bevölkerung pausenlos einem Trommelfeuer aus ebenso primitiver wie widerlicher Hass- und Hetzpropaganda ausgesetzt ist. Auch das ist Rosa viel zu unwichtig, um es zu erwähnen oder „sogar“ zu verurteilen. Was hat er (wie übrigens fast der ganze „Westen“) noch demonstrativ überhört? So etwa die sich seit vielen Jahren in Russland hinziehenden Debatten in Medien, Politik, „Wissenschaft“, Kultur usw. über eine „Notwendigkeit“ der völligen oder teilweisen Wiederherstellung der Sowjetunion in der einen oder anderen Form (und natürlich nicht zwangsläufig unter diesem Namen) bis zu einer „Rückholung“ Alaskas (das das Zarenreich 1867 an die USA verkauft hatte). Nuancen gab es, wenn überhaupt, nur im Hinblick auf die Methode, mit der das zu erzielen sei: „Friedlich“, mit wirtschaftlichem Druck auf ehemalige Sowjetrepubliken oder gleich mit Krieg? Die Unterstützer dieser Idee fanden sich nach 1999 bald keineswegs nur an den Rändern des politischen Spektrums; sie entwickelte sich wirklich zum „Mainstream“. In Westeuropa und Nordamerika (darunter bei den „public intellectuals“ wie Rosa) hätten alle Alarmglocken schrillen und Gegenmaßnahmen auf mehreren Ebenen eingeleitet werden müssen, um Putins gewaltsame Expansion einzudämmen und unermessliches menschliches Leid sowie gigantische Sachschäden – wie jetzt in der Ukraine – zu verhindern. Was geschah stattdessen? Man kaufte immer mehr Öl und Gas (bei dessen Förderung sich niemand jemals um welche Umweltauflagen auch immer, CO2-Ausstoß usw. gekümmert hat, Herr Rosa!) bei Putin, was die Finanzierung seiner Aufrüstung und imperialistischen Kriege gegen mehrere Länder stark erleichterte, wenn nicht überhaupt erst ermöglichte. Alles das wird bei Rosa erst gar nicht erwähnt, von einer kritischen Reflexion ganz abgesehen.

Schmerzlich vermisst man bei Rosa auch Interesse für das, was der Soziologe und Gewaltforscher Wolfgang Sofsky Anfang August 2022 „genozidale Kriegsführung“ Putins nannte. Ein wichtiger Teil von Putins Kriegführung gegen die Ukraine und ihre Bevölkerung sind die Massendeportationen von Ukrainern (Mitte Juli 2022 lagen die meisten Schätzungen zwischen 900.000 und 2 Millionen) nach Russland und die sogenannten „Filtrationslager“, wo Ukrainer erniedrigt, gefoltert und mitunter auch getötet werden. Doch auch das ist Rosa nicht wichtig genug, um auch nur erwähnt, geschweige denn diskutiert zu werden.

Zu den Kriegszielen Putins merkte der Autor und Osteuropakenner Martin Pollack Anfang August 2022 in der „Frankfurter Rundschau“ an:

„Putin will die Ukraine als kulturell selbstständiges Land mit seiner reichen Tradition wegwischen und russifizieren. Ganz so wie früher die Zaren. Putin scheint geradezu einen atavistischen Hass gegen die Ukraine zu hegen, denn ohne die Ukraine kann ein großrussisches Reich nicht funktionieren. […] Wenn die Okkupation gelänge, würden die Russen ganz sicher als erstes die ukrainische Intelligenz liquidieren. Nach altem stalinistischen Vorbild wäre sie die erste, die drankommt, da wird nicht lange gefackelt.“

Auch davon kein einziges Wort bei Rosa. Dieser tut zudem so, als ob er sich besonders um den Umweltschutz bekümmern würde, verfährt dabei aber hochgradig selektiv. Der massive Ausbau der Atomkraft in Russland und China (ohne jede grüne Parteien in den Scheinparlamenten und ohne jede in Umweltfragen kritische Öffentlichkeit) kommt bei ihm nämlich erst gar nicht vor – vermutlich, weil dann gleich zu Beginn klar wäre, wie haltlos seine Positionen sind. Ebenfalls keiner Aufmerksamkeit gewürdigt (und daher auch nicht kritisiert) wird der unbestreitbare Umstand, dass die EU jeden Tag für Energieträger etwa 1 Milliarde Euro an Putin überweist, womit dieser seinen Krieg gegen die Ukraine noch lange wird leicht finanzieren können. Sieht Rosa also tatsächlich kein (einen Aufsatz im „Spiegel“ oder wo auch immer verdienendes) moralisches Problem darin, dass die Erdöl- und Erdgas-Kunden Moskaus in- und außerhalb der EU Putins Vernichtungskrieg bezahlen „dürfen“? Und wenn Rosa ein solches sieht, warum setzt er sich nicht damit auseinander? Und warum fehlt bei ihm auch jedes Wort über Putins mehrmonatige weitgehende Blockade des Getreideexports der Ukraine, welche Hungersnöte in der Dritten Welt und damit (weiteres) Chaos in den internationalen Beziehungen mit einer neuen (wie der Kreml hoffte: destabilisierenden) Flüchtlingswelle in die EU provozieren sollte?

Wenn Rosa das alles nicht weiß, wie kommt er dann dazu, in einem „meinungsmachenden“ Medium seine Unwissenheit auszubreiten? Doch wenn es ihm bekannt ist – warum verschweigt er es, wem will er damit nützen (und wem schaden)? Doch grundsätzlich, Herr Rosa, war es natürlich sehr gut, dass Sie einmal mehr „aus Ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht“ haben. Zum Abschluss ein Vorschlag zur Güte: Halten Sie ein! Allerdings kennt man Sie ja längst und weiß, dass Sie das nicht zu tun gedenken. Leute Ihres „Schlages“ hat die Widerlegung sämtlicher Ihrer „Argumente“ aus desaströsen bis peinlichen schriftlichen und/oder mündlichen Äußerungen noch nie dazu bewogen, sich zu besinnen und umzukehren. Und das Putin-Lager feixt natürlich – ob Sie das nun wissen oder nicht, ob Sie es bezweckt haben oder nicht.

Unabhängiger Politologe Martin Malek (Österreich) für Ukrinform

18. August 2022


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