Ihor Koslowskyj, Religionswissenschaftler, ehemals Gefangener der Separatisten
In Gefangenschaft habe ich mir am meisten Sorgen um meine Familie gemacht
05.02.2018 16:57

Am 27. Dezember hatte im Donbass eine große Befreiung der Gefangenen aus den besetzten Gebieten in der Ostukraine stattgefunden. 73 Ukrainer waren heimgekehrt. Unter den Ukrainern, die aus der Gefangenschaft der Rebellen im Donbass befreit wurden, waren „Cyborgs“ und andere ukrainische Soldaten, Aktivisten und Volontäre, unter ihnen auch der Religionswissenschaftler Ihor Koslowskyj. Über die Gefangenschaft, Propaganda, Freiheit und Zukunftspläne hat er in einem Interview mit der Ukrinform-Korrespondentin erzählt.

Zu allererst gratuliere ich Ihnen im Namen der gesamten Redaktion zu Ihrer Befreiung! An was erinnern Sie sich als Erstes an dem Tag, an dem die Jahre der Gefangenschaft in der Vergangenheit geblieben sind?

Es ist eher der innere Zustand, wo du denkst, wann kann ich endlich frei atmen. Das ist die Freude vom Treffen mit den Angehörigen, Verwandten, Freunden. Dies ist etwas Unfassbares und das kann man nicht beschreiben. Umarmungen, Grüße – all dies gibt nicht das Verständnis von dem, was in dir innen vor sich geht.

Wofür haben Sie das Interesse als Erstes gehabt, als Sie die Gelegenheit bekommen haben, etwas zu lesen und zu sehen?

Wir hatten fast keinen Zugang zu Informationen. Mit Verspätung bekamen wir etwas Zeitungen, Zeitschriften.

Zuerst wollte ich mal sehen, wie es meiner Familie, meinen Freunden, meinen Schülern geht.

Jetzt hat man mich ins Institut für Philosophie eingeladen, das ist eine wissenschaftliche Einrichtung, Abteilung für Religionswissenschaft. Das ist die Richtung, wo ich als Wissenschaftler beschäftigt war. In Bezug auf die Lehrtätigkeit gibt es viele Einladungen, verschiedene Kurse zu leiten. Ich hätte gerne den Kontakt mit Jugendlichen, ich würde öffentliche Vorträge, Seminare geben.

Im Institut für Philosophie werde ich mich mit Problemen befassen, mit denen ich mich noch in Donezk beschäftigte – Religionsforschungsfragen.

Zurück zu Erinnerungen. Nach der Besetzung von Donezk sagten Sie in einem Interview, dass Sie sich auf eine Abreise vorbereiteten. Was hat Sie daran verhindert?

Es war Winter, und um meinen Sohn wegzubringen, braucht man eine andere Saison. Das ist nicht einfach, denn der Sohn braucht ein Bett, medizinische Ausrüstung. Es gab sehr viele Momente, die man regeln sollte. Ich wartete auf das Frühjahr.

Hat man in der Gefangenschaft versucht, Sie zu beeinflussen oder anzuwerben?

Sie haben sofort gesagt, dass ich eine reife Person bin, die ihre ideologischen, weltanschaulichen Positionen hat, und sie keine Zeit verlieren werden.

Und wie haben sie die anderen Gefangenen behandelt?

Es gab immer Versuche, jemanden zum Zusammenbruch zu bringen. Sie haben mit allen so „gearbeitet“, dass jemand zusammenbricht….

Wann haben Sie persönlich die Anwesenheit des russischen Militärs in der Stadt gespürt?

Sofort und ständig. Das ist so ein Moment, ein so genanntes „Geheimnis“. Die Präsenz ist da, dort denkt gar niemand daran, das zu verheimlichen. Man braucht nicht verhaftet zu sein, um das zu sehen. Es gibt Menschen, die keine Militärangehörigen, sondern Kuratoren der verschiedenen Zentren sind, aber es gibt auch das Militär. Burjaten, Osseten, Tschetschenen...

Welche Voraussetzungen gab es vor der Verhaftung?

Die Voraussetzungen gab es ständig, weil ich meine Position nie geheim gehalten habe, alle wussten. Ich bin ein öffentlicher Mensch, deshalb war ich von Anfang an auf dem Donezker Maidan, das Gebetmarathon fand zusammen mit Vertretern der verschiedenen Konfessionen statt – angefangen von Katholiken, Protestanten, Orthodoxen, Muslimen.

Und konkrete Drohungen?

Natürlich gab es sie… noch seit 2014.

Wie war die Kommunikation in der Gefangenschaft? Wie haben Sie die Neuigkeiten über Angehörigen erhalten?

Ja, ich war isoliert, sie haben mir irgendwann nach einer Woche gesagt, dass die Frau gekommen ist. Davor wusste ich gar davon nicht, ich blieb allein. Ich verstehe, dass das der psychologische Druck war.

Und welchen Sinn hatte dieser Druck, wenn man Ihnen sofort zu verstehen gegeben hat, dass Sie praktisch für den Austausch von Gefangenen festgenommen wurden?

Nicht sofort, am Anfang wusste ich überhaupt nichts. Ich war überhaupt in den Kellern, dann Folter. Und erst dann gab es ein Gespräch, in dem mir gesagt wurde: „Verstehen Sie, dass niemand weiß, wo Sie sich befinden, wir brauchen Sie für den Austausch“.

Hat Sie die Information über Aktionen und Flash-Mob zu Ihrer Unterstützung in der Ukraine und im Ausland erreicht?

Ja, solche Information hat mich erreicht. Wir haben auch, als alle „politischen“ in den Keller verlegt wurden, die Informationen auf unterschiedliche Weise erhalten. Wir waren dort eigentlich von einander isoliert, aber wenn alle ins Bad gingen, hat man mir dann erzählt: für euch hat der Flash-Mob begonnen, und Jamala, Wakartschuk unterstützen euch.

Wer war hauptsächlich unter den Verhafteten, Gefangenen?

Diejenigen, die man „politische“ nannte, stellte man nach Artikeln Terrorismus, Spionage vor Gericht. Es gibt Geschäftsleute, denen man Immobilien, Autos, Geschäft weggenommen hat, es gibt Lehrer. Dort sind keine zufälligen Menschen. Sie saßen dort ein Jahr, zwei Jahre, und sie hat man auch zum Austausch gestellt. Ein Teil wurde befreit, der andere Teil bleibt immer noch dort. All diese Menschen waren Fremde für jenes System.

Was war persönlich für Sie am schwierigsten innerhalb dieser zwei Jahre?

Nicht einmal die Tatsache, dass ich mich dort befinde. Am schwierigsten war es, dass meine Angehörigen, Verwandte mitleiden. Sie leiden, dass ich mich hier befinde. Ich machte mir Sorgen, weil sie Sorgen machten. Das ist das Wichtigste. Wenn du allein bist, du kannst leben. Aber wenn du so die Angehörigen leiden lässt, ist das das Schwierigste.

Gab es einen Moment des Unglaubens, war es Ihnen irgendwann bewusst, dass man mit Ihrer Person „spielen“, austauschen wird?

Ich wusste, dass es gespielt wird. Aber ich lebe lange in dieser Welt und weiß, dass unvergänglich in dieser Welt nur Änderungen sind. Alle ändern sich, alles endet. Und in dieser Geschichte gibt es auch ein Ende. Ich wusste nicht genau, welches. Dies gab Hoffnung, dass eine der Optionen der Austausch sein wird.

Was ist Ihre Meinung, sollte man über die erlebte Erfahrung in der Gefangenschaft sprechen, oder umgekehrt, man sollte eine Pause, Auszeit nehmen?

Ich würde auch eine Auszeit nehmen. Ich verstehe, dass die Gesellschaft genau solche Momente, Schmerzpunkte interessieren. Aber du wolltest, dass man dir Fragen stellt, die sich auf deinen Aufenthalt in der Gefangenschaft nicht beziehen, sondern auf die Kreativität, die Seele, die Vision der Welt.

Wenn man über die ehemaligen Gefangenen spricht, ja, wir müssen über all diese Probleme sprechen, weil man andere Gefangenen befreien muss. Und das tun wir jeden Tag, wir treffen uns mit Machtstrukturen, Ausländern. Wir arbeiten durch das Büro von Iryna Geraschtschenko (stellvertretende Parlamentspräsidentin – Red.). Diejenigen, die man befreit hat, kommunizieren untereinander. Wir versuchen, diese oder andere Kräfte zu bewegen, um die Situation zu beeinflussen.

Fühlen Sie sich jetzt komfortabel in Kiew?

Oh, ich laufe ständig von einem Treffen zum anderen. Ich liebe Kiew noch seit den 50-er. Die Stadt verändert sich, wird immer besser. Ich fühle mich sehr wohl. Kiew ist auch eine Stadt, wo ich das Gefühl habe, ich sei von hier. Viele Freunde sind hierher gezogen, Verwandte sind auch hier. Und am komfortabelsten ist es da, wo Verwandte sind.

Das Gespräch führte Oleksandra Scharkowa, Kiew

yv

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