Jewhen Zymbaljuk, der Ständige Vertreter der Ukraine bei den internationalen Organisationen in Wien
Einen virtuellen diplomatischen Besuch durchzuführen, ist genauso  verantwortungsbewusst und schwierig wie einen normalen Besuch abzustatten
21.05.2020 13:55

Die Coronavirus-Pandemie hat eine "technische Pause" in der Arbeit der OSZE ausgelöst - einer internationalen Organisation, die sich praktisch in die friedliche Regelung des russisch-ukrainischen Militärkonflikts einschaltet. Insbesondere werden jede Woche eben bei Sitzungen der beiden Beschlussfassungsorgane der Organisation - des Ständigen Rates und des Forums für Sicherheitskooperation - diplomatische Bataille bezüglich der russischen Aggression gegen die Ukraine durchgeführt.

Nach langen Diskussionen in der OSZE wurde beschlossen, Sitzungen dieser Gremien in den virtuellen Raum zu versetzen - auf der Plattform Zoom. Über die Besonderheiten der Arbeit der OSZE und des Standorts unseres Staates sprechen wir mit dem Ständigen Vertreter der Ukraine bei den internationalen Organisationen in Wien, Jewhen Zymbaljuk.

"TECHNISCHE PAUSE" DAUERTE NICHT LANGE

Jewhen Viktorowytsch, wegen der Coronavirus-Pandemie arbeiten in Wien ansässige internationale Organisationen, insbesondere die OSZE, im Home-Office. Seit Ende April begannen der Ständige Rat und das Forums für Sicherheitskooperation der OSZE, die Online-Sitzungen abzuhalten. Wie arbeitet die Mission unter Corona-Krise?

Ich bin sehr zufrieden, dass es uns erst zu Beginn der Quarantäne-Einführung gelungen ist, damals noch im Modus der "physischen" Sitzung, das Mandat der OSZE-Sonderüberwachungsmission in der Ukraine zu verlängern und deren Budget zu verabschieden. Deshalb sind wir jetzt ruhig bei dieser Frage, mindestens bis April 2021.

Danach haben der Ständige Rat, das Forum für Sicherheitskooperation und andere OSZE-Gremien während des Coronavirus eine Art "technische Pause" gemacht.

Für unsere Mission wurde es zu einer bestimmten Herausforderung - wie die Haltung der Ukraine zu vermitteln und wöchentlich Aufmerksamkeit auf die Verletzungen seitens der Russischen Föderation zu lenken sind, was wir bei den Sitzungen ständig gemacht hatten. In dieser Situation haben wir beschlossen, eine Art Digest zu starten - Ereignisse im Überblick, in dem wir unsere Bewertung gegeben und unsere Appelle an die Partnerländer gerichtet haben - unsere Erwartungen wurden an sie gestellt.

Insgesamt wurden mehrere Digests veröffentlicht - sowohl wöchentliche Ausgaben als auch einzelne thematische Auswahl von Mitteilungen über die wichtigsten Ereignisse im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Konflikt. Und das hat uns die Möglichkeit gegeben, einen Aufmerksamkeitsgrad gegenüber der russischen Aggression und der Besatzung nicht zu verringern.

In der Folge wurde klar, dass die restriktiven Maßnahmen nicht bald beendet werden. Deshalb wurde beschlossen, virtuelle Sitzungen der OSZE- Beschlussfassungsorgane durchzuführen.

Die erste Online-Sitzung des Ständigen Rates fand am 23. April statt und war eine Art Test. Eine Woche später fand auch eine Sitzung des Forums für Sicherheitskooperation statt. Gerade die Ukraine hat den  Vorsitz übernommen.

VORSITZ IM FORUM FÜR SICHERHEITSKOOPERATION VERSTÄRKT DIE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE UKRAINE

Ja, Glückwunsch zu diesem historischen Vorsitz, denn die Ukraine hat zum ersten Mal den Vorsitz im Forum für icherheitskooperation inne und zum ersten Mal geschieht dies online. Welche Möglichkeiten eröffnet das?

Der Vorsitz im Forum für Sicherheitskooperation gibt uns die Möglichkeit, die Tagesordnung dieses Gremiums stärker zu beeinflussen. Wir können mehr Themen anbieten, die gerade für die Ukraine wichtig sind. Die Sicherheit in der Region des Schwarzen und des Asowschen Meeres, Hybriddrohungen und moderne Kriegsmethoden, Aktivitäten privater Militärunternehmen (insbesondere der berüchtigten russischen TVK Wagner) (ein russisches privates Sicherheits- und Militärunternehmen - Red.) - diese und andere Fragen stehen auf der Tagesordnung unseres Vorsitzes im Forum, zusammen mit dem bereits traditionellen Ansatz zur Berichterstattung über die russische Aggression im Donbass.

Wir bieten auch einen Teil unserer Speaker an, Hauptberichterstatter bei den Sitzungen zu sein. Sie werden das Thema natürlich im Allgemeinen darstellen, im Interesse der gesamten OSZE, aber als Beispiele wird die Situation in der Ukraine berücksichtigt.

So wird die Aufmerksamkeit für die ukrainische Frage verdoppelt, vielleicht auch verdreifacht. Entsprechend wird auch der Druck auf die Delegation der Russischen Föderation in der OSZE um das Dreifache steigen.

Könnten Sie bitte uns sagen, wer von Sprechern erwartet wird?

Wir haben damit begonnen, dass wir bei der Eröffnungssitzung auf höchster Ebene von dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und seinem Stellvertreter Ehor Boshok vertreten waren. So haben wir gezeigt, wie wichtig für uns die Problematik der OSZE im Allgemeinen und des Forums für Sicherheitskooperation im Besonderen ist. Denn viele Länder haben sich während ihrer Präsidentschaft nur mit einem stellvertretenden Minister beschränkt.

Der stellvertretende Verteidigungsminister Anatoli Petrenko hat sich bereits zum Thema konventioneller Waffen und Antiminenaktionen am 13. Mai geäußert. Während einer gemeinsamen Sitzung des Ständigen Rats und des Forums für Sicherheitskooperation zur Umsetzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats "Frauen, Frieden, Sicherheit" wird auch der stellvertretende Minister eines der ukrainischen Ministerien sprechen. Sitzungen werden abgehalten, zu denen wir Vertreter des ukrainischen Präsidenten einladen werden.

Außerdem werden auch Vertreter aus akademischen Kreisen eingeladen. Insbesondere freuen wir uns, dass der renommierte britische Politologe, der Sicherheitsexperte James Sherr unseren Vorschlag angenommen hat, an einer der Diskussionen teilzunehmen.

ES IST KEINESFALLS EINFACHER, VIRTUELLEN BESUCH ZU ORGANISIEREN

Sind Online-Sitzungen und diese virtuellen Besuche von Hauptsprechern leichter als "physische"?

In der Diplomatie bin ich 27 Jahre und war an der Vorbereitung vieler Minister- und Präsidentenbesuche beteiligt gewesen. Aus diesem Grund versichere ich Ihnen, dass die Durchführung eines virtuellen Besuchs - im Hinblick auf den Nutzen und unternommene Anstrengungen - nicht weniger verantwortungsbewusst und schwierig als ein normaler Besuch ist. Das Einzige, was wir nicht tun, ist die Hotelreservierung für eine Delegation.

Die russische Delegation wollte übrigens die Diskussion über den russisch-ukrainischen Konflikt, den sie als "innere Krise in der Ukraine" bezeichnet, gar nicht wieder aufnehmen. Ich glaube, die Russische Föderation würde sie lieber so lange wie möglich mit Verweis auf verschiedene Verfahrensmomente pausieren, die Möglichkeit der Durchführung von Online-Sitzungen der OSZE-Beschlussfassungsorgane verneint zu haben.

Wie genau finden Online-Sitzungen statt?

Die erste Sitzung des Ständigen Rates erinnerte an den Lauf übers Minenfeld. Jemand wusste nicht, worauf man drücken sollte, jemand hatte keinen Ton, jemand keine Übersetzung. Diese Probleme entstehen derzeit kaum.

Virtuelle Sitzungen dauern länger als "physische". Das liegt unter anderem daran, dass, wenn eine Delegation das Wort nimmt, Video- und Audiosignale nicht sofort empfangen werden können. Zudem dauert es länger, bis Entscheidungsvorschläge vorgelegt und abgestimmt werden.

Einerseits müssen Sie als Vorsitzender Unparteilichkeit bei den Sitzungen zeigen und andererseits immer wieder mit antiukrainischen Provokationen und Manipulationen konfrontiert werden, zu denen die russische Delegation greift. Wie ist es, in dieser neuen Rolle zu arbeiten?

Ich muss sagen, dass es nicht leicht für mich ist, Vorsitzender des Forums für Sicherheitskooperation zu sein. Zunächst einmal ist die Koordinierung aller Delegationen, des OSZE-Sekretariats, die Besprechung der Tagesordnung, die Lösung der mit Zoom verbundenen technischen Fragen erforderlich. Zweitens fällt es mir moralisch schwer, zu arbeiten, denn ich muss ein ehrlicher "Broker" sein.

Ich versuche zu erklären, worum es geht.

Ich als Vorsitzender eröffne die Sitzung des Forums und erteile den Delegationen das Wort. Im Namen der nationalen Delegation der Ukraine spricht mein Stellvertreter oder ein anderer Diplomat. Die ukrainische Delegation erhöht die Aufmerksamkeit betreffs des durch Russland verursachten Konfliktes und informiert ausführlich über alle mit der russischen Aggression verbundenen militärisch-politischen Momente.

Traditionell nimmt die russische Delegation das Wort. Aber ein Vertreter der Russischen Föderation, indem er auf den Auftritt der ukrainischen Delegation reagiert, spricht mich als Vorsitzenden an und nimmt verschiedene Manipulationen gegen die Ukraine zu Hilfe. Aber ich kann keiner Delegation das Recht abziehen, sich zu äußern. Und ich muss mir das alles anhören und erst dann gebe ich das Wort der ukrainischen Delegation zur Reaktion auf den russischen Angriff.

RUSSLAND GREIFT AUF SCHIMPFWORTE UND BELEIDIGUNGEN ZURÜCK

Einer der Tagesordnungspunkte der wöchentlichen Sitzungen des Ständigen Rats ist die "Anhaltende Aggression Russlands gegen die Ukraine und die illegale Besetzung der Krim". Genau zu diesem Punkt treten die ukrainische Mission und andere Delegationen auf - außer Russland. Es kann diese Frage nur anschneiden, indem es das Wort zu einem anderen Tagesordnungspunkt nimmt. Zeugt das von der Isolation der russischen Delegation bei den Sitzungen?

Die russische Delegation befindet sich tatsächlich bei diesen Sitzungen völlig isoliert. Keine der Delegationen unterstützt den von ihm vorgeschlagenen Tagesordnungspunkt. Lediglich sind wir gezwungen, das Wort zu nehmen, um einige völlig falsche Behauptungen zu widerlegen und Manipulationen zu demaskieren.

Die Russen haben ihre Absicht erklärt, einen gemeinsamen Tagesordnungspunkt zu setzen, in der Hoffnung, dass wir bereit sind, die Begriffe "russische Aggression" und "Besetzung" daraus auszustreichen. Aber natürlich wird die ukrainische Delegation so etwas nie zustimmen.

Insgesamt erzählt die Delegation der Russischen Föderation bei den Sitzungen traditionell Unsinn, wie das ukrainische Militär gegen sein Volk kämpfe und die Einrichtungen der zivilen Infrastruktur beschieße.

Die russische Militärpräsenz geht weiter, die Spezielle Überwachungsmission führt in ihren Berichten immer wieder Angaben über die Stationierung der russischen Technik in den besetzten Gebieten an. So haben die OSZE-Beobachter im letzten Wochenbericht eine am Lkw montierte Anlage zum funkelektronischen Kampf RP-377UVM2 festgestellt. Dieses moderne russische System wurde zum ersten Mal im Donbass registriert.

Die russische Delegation wird natürlich nervös und greift manchmal zu direkten Beleidigungen bezüglich der Sitzungsteilnehmer. Kürzlich erklärte der Botschafter der Russischen Föderation so etwa: "Wir sehen, dass niemand etwas versteht. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Zeit des Coronavirus nicht nur auf die allgemeine Gesundheit, sondern auch direkt auf das Gehirn der Diplomaten auswirkt, die an Diskussionen mit uns teilnehmen".

Diese Erklärungen sind unannehmbar. Ausländische Diplomaten staunen allerdings nicht mehr über Russland. Erinnern Sie daran, als der stellvertretende Leiter der Mission der Russischen Föderation bei der Sitzung des US-Sicherheitsrats dem britischen Botschafter zurief: "Schau mich an, dreh mir nicht den Rücken zu!!"... Bei der jüngsten Sitzung des Ständigen Rates der OSZE hat der russische Ständige Vertreter überhaupt Kraftausdrücke an die Adresse seiner Helfer benutzt, ohne dabei vielleicht zu erkennen, dass das Mikrofon nicht ausgeschaltet ist.

Wir verstehen gut, dass es oft ein Versuch ist, durch Beleidigung unkontrollierte Emotionen zu provozieren. Jeder versteht das alles gut.

Die Russische Föderation bleibt allein während der Sitzungen, sie sind isoliert.

"KRISE IN DER UND UM DIE UKRAINE" - ES SAH EINST WIE UNSER ERFOLG AUS

Die Führung, einzelne Institutionen und Vertreter der OSZE, wenn sie über den von Russland entfesselten Krieg im Donbass, die Besetzung der Krim sprechen, verwenden die Redewendung "Krise in der und um die Ukraine". Aber sie ist, gelinde gesagt, falsch. Wie kommt es, keine Erwähnung von der russischen Aggression zu tun?

Man muss gut verstehen, was die OSZE darstellt und wie konservativ diese Organisation ist. Einmal den Wortlaut abgestimmt zu haben, ist er  im weiteren Verlauf nur schwer zu ändern.

Gleichzeitig war die Formulierung "Krise in der und um die Ukraine" in Zeiten meines Vorgängers schon ein erheblicher Schritt nach vorne. Damals sagte Russland: "Ws für eine Krise um die Ukraine? Das ist die innere Krise in der Ukraine ". Und das war seine eindeutige Haltung. Durch lange Verhandlungen gelang es der ukrainischen Delegation zu zeigen, dass diese Krise zwar in der Ukraine in Erscheinung trete, aber von außen ausgelöst wurde und deshalb hier "um" figuriert.

Jetzt, da wir bereits bewiesen haben, dass es russische Formierungen und Waffen im Donbass gibt, dass eben Russland eine Quelle der Krise ist die, sprechen unsere Partner über den russisch-ukrainischen Konflikt. Es wäre aber seltsam zu erwarten, dass das OSZE-Sekretariat sofort von einem von der Russischen Föderation initiierten internationalen bewaffneten Konflikt spricht.

Übrigens ist heute der ukrainische Außenminister der amtierende Vorsitzende des Forums für Sicherheitskooperation. Und zum Auftakt der ukrainischen Präsidentschaft äußerte er sich klar zu russischer Aggression. Es ist wichtig, dass es nicht nur die Feststellung der Tatsache war. Dies wurde im Namen des amtierenden Vorsitzenden eines OSZE-Beschlussfassungsorganes ausgesprochen.

Nationale Delegationen unterstützen immer öfter unsere Position. Die Schweiz sagte bei einer Sitzung des Ständigen Rates, dass in der Ostukraine kein eingefrorener Konflikt, sondern ein echter heißer Krieg sei. Das löste damals eine heftige Reaktion des russischen Botschafters aus, der erklärte, er habe das von der neutralen Schweiz nicht erwartet.

Die USA, Großbritannien, Kanada sowie die EU-Mission nutzen Formulierungen, die klar auf die russische Beteiligung am Krieg hinweisen. Wir sind auch dankbar für die Unterstützung aus der Türkei, Norwegen, Georgien, Bosnien-Herzegowina, sicherlich Albanien, das jetzt den OSZE-Vorsitz übernimmt, und anderen Ländern.

OSZE - STANDORT ZUR ERREGUNG VON AUFMERKSAMKEIT AUF AGGRESSION RUSSLANDS

In der Ukraine steht man ziemlich skeptisch gegenüber der OSZE und ihrer Fähigkeit gegenüber, den Frieden wiederherzustellen. Was halten Sie davon?

In der Tat ist die OSZE keine internationale Organisation, weil sie ihre Satzung bei den Vereinten Nationen nicht genehmigt und registriert hat. Die Frage der rechtlichen Rechtmäßigkeit der OSZE wurde in verschiedenen Zeiten von verschiedenen Delegationen aufgeworfen. Es  gab doch keinen Konsens darüber.

Tatsächlich war und bleibt die OSZE rechtlich ein politisches Forum. Und deshalb kann man keine klaren Entscheidungen von ihr verlangen und diese erfüllen. Es ist nicht der UN-Sicherheitsrat, dessen Entscheidungen bedingungslos umgesetzt werden sollen.

Außerdem müssen OSZE-Entscheidungen die Konsensentscheidungen sein, also von allen Ländern getroffen werden. Es ist aber klar, dass mindestens ein Land - die Russische Föderation - alle ukrainischen Initiativen blockieren wird.

Deshalb sind die OSZE-Entscheidungen überwiegend allgemein, sie sind Rahmenentscheidungen. Aber selbst in dieser "verallgemeinerten" Form sind sie für uns oft wichtig und wertvoll. Das betrifft beispielsweise die Unterbringung der OSZE-Sonderüberwachungsmission in der Ukraine sowie der OSZE-Beobachtermission an den beiden russischen Kontrollpunkten Hukowe und Donezk. Sind wir mit den genehmigten Mandaten dieser Missionen voll zufrieden? Natürlich, nein. Aber es ist gut, dass diese Entscheidungen getroffen wurden. Wir hätten überhaupt keine dauerhafte internationale Präsenz in der Konfliktregion, wenn es keine Sonderüberwachungsmission gäbe.

Es gibt noch weitere Beispiele. Bei der Ministerratssitzung in Bratislava im vergangenen Jahr war es praktisch gelungen, Beschlüsse zur Folterbekämpfung abzustimmen. Aber in letzter Minute kam die Russische Föderation wie immer dazwischen. Sie war damit nicht einverstanden, dass Foltern unter Besatzungsbedingungen bekämpft werden, obwohl Russland oder das ukrainische Gebiet nicht einmal erwähnt wurden. Und selbst mit dieser Formulierung war die Russische Föderation nicht einverstanden. Letzten Endes wurde keine Entscheidung getroffen.

Die OSZE bleibt eine wichtige politische Plattform, um Sicherheitsfragen zu diskutieren. Für uns direkt ist sie wohl die beste Möglichkeit, um die Aufmerksamkeit der internationalen Partner auf Verbrechen russischer Aggression und Besatzung zu lenken. Dadurch bilden sich die Haltungen der Staaten. Das sind sowohl die Hilfe für die der Ukraine als auch die Sanktionen gegen Russland. Das darf man nicht unterschätzen.

WAHL IN "VOLKSREPUBLIKEN" DONEZK UND LUHANSK: ERST SICHERHEIT

In Bezug auf die Möglichkeit der Kommunalwahlen in den "Volksrepubliken" Donezk Und Luhansk, an deren Beobachtung auch die OSZE-Strukturen teilnehmen werden... Zuvor gab es Informationen, dass sie beinahe im Herbst stattfinden könnten. Ist das möglich?

Es gab mehrdeutige Auslegungen von Aussagen der ukrainischen Regierung. Die russische Seite reißt diese Fragen einfach aus dem Zusammenhang.

Beim letzten virtuellen Treffen der Außenminister im Normandie-Format bekräftigte der Außenminister Kuleba klar: "Erst Sicherheit". Das heißt, man muss vor allem sichere Bedingungen schaffen, damit politische Fragen geklärt werden könnten.

Ich denke, für heute kann man nicht über einen konkreten zeitlichen Rahmen sprechen. Die Entscheidung wird auf höchster politischer Ebene getroffen und wird auf praktische Schritte vor Ort zurückzuführen sein, die vor allem mit der Sicherheit verbunden sind.

Bezüglich der russischen Aggression - der MH17-Abschuss über dem besetzten Donbass. Im März startete in den Niederlanden ein Prozess in diesem Fall. Werfen Sie das Thema bei Ihrer Arbeit auf?

Natürlich. Wir lenken die Aufmerksamkeit sowohl auf den Absturz des Flugzeugs als auch auf den Prozess. Auch hier bleibt die russische Delegation isoliert und ihre manipulativen Appelle an die Mitgliedsstaaten, das Thema "nicht politisieren" zu lassen, bestätigen nur das.

AN VORDERSTER DIPLOMATISCHER FRONT

Gibt es etwas, was Ihnen als dem Ständigen Vertreter am besten im Gedächtnis geblieben ist?

Als ist hierher gefahren bin, war ich bereit für viele Dinge. Aber eine Auseinandersetzung zu erwarten, die an vorderster diplomatischer Front in Wien durchgeführt wird, ist da eine Sache und die direkte Teilnahme daran ist eine ganz andere.

Die Sitzungen werden wöchentlich abgehalten. Mittwochs findet eine Sitzung des Forums für Sicherheitskooperation statt, donnerstags - des Ständigen Rats. Natürlich erhalten wir die Informationsunterstützung aus der Hauptstadt (Kyjiw - Red.), aber "an vorderster Front" bist du allein. Man muss das Vorgehen mit den Partnerdelegationen immer wieder koordinieren, die Tagesordnung bestimmen - damit sie "ukrainisch" sei. Und jede Woche treten wir in einen diplomatischen Zusammenstoß ein, es gibt mehrere Auftritte bezüglich der russischen Aggression und der zeitlichen Besetzung, wir wirken der Förderung der Narrative der russischen Seite entgegen. Wenn die russische Delegation eine Art Fake, Lüge oder Manipulation erteilt, reagieren wir zügig.

Diese Erfahrung ist für mich etwas neu, das Land auf dieser Linie der ständigen diplomatischen Kollision mit der Russischen Föderation in der OSZE zu vertreten. In meiner diplomatischen Karriere war Russlands Einfluss fast immer zu bekämpfen und entgegenzuwirken. Aber heute ist die Verantwortung sehr groß, nicht immer leicht psychologisch.

Die Coronavirus-Pandemie hat bereits zu einem Anstieg der Aktivität der "Futurologen" geführt, die deren Auswirkungen auf die Welt vorhersagen. Manche sagen, dass die Welt nicht mehr so wie früher sein wird. Was denken Sie darüber?

Ich werde diese Frage positiv beantworten.

Wir haben gesehen, dass es auch Vorteile der Fernarbeit und Möglichkeiten gibt, den virtuellen Raum weiter zu nutzen. Vielleicht wird  das Verständnis dafür kommen, dass man späterhin keine Sitzungen innerhalb der Vereinten Nationen oder der OSZE mehr braucht, alle nach New York oder Wien hinzuziehen.

Es gibt die Möglichkeit für uns alle, mobiler zu werden und damit flexibler und schneller auf Herausforderungen zu reagieren. Daher glaube ich, diese Erfahrung, die mit der COVID-19-Pandemie  verbunden ist, wird die internationalen Organisationen stärker in Bezug auf die Reaktion auf Krisen und Herausforderungen machen.

FÜR DIE UKRAINE WIRD SICH NICHTS WESENTLICH ÄNDERN

Ändert sich die Kräftekonfiguration aufgrund dieser Pandemie, darunter auch aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen auf jedes einzelne Land?

Geopolitisch betrachtet kann man viel sagen. Aber ich möchte mich auf keinerlei Spekulationen einlassen.

Das Einzige, was ich gerne erwähnen würde: Die Versuche einiger Politiker in der Russischen Föderation, zu verkünden, dass die EU tot sei, dass sie vom Coronavirus getötet wurde, ist, gelinde gesagt, eine starke Übertreibung. Die EU wird gestärkt aus dieser Situation  herauskommen.

Ich erwarte keine wesentliche Veränderung aus geopolitischer Sicht für die Ukraine. Unsere Zukunft ist in der EU und der NATO, in freundschaftlichen oder zumindest friedlichen Beziehungen zu den Nachbarn. Ich hoffe, dass diese Situation neue Chancen eröffnen wird.  Und unser strategisches Ziel bleibt unverändert.

Wasyl Korotkyj, Wien

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