Berufungsprozess gegen Markiw - Emotionen und Fake statt Fakten

Berufungsprozess gegen Markiw - Emotionen und Fake statt Fakten

Ukrinform Nachrichten
Wie reagierte die Anklage auf die Beweise für die Markiws Unschuld und was ist von der nächsten Verhandlung zu erwarten?

Während der dritten Verhandlung in Mailand bei Prüfung des Einspruchs gegen die Verurteilung des Nationalgardisten Vitali Markiw hat das Gericht eine neue Variante der Übersetzung seines Gesprächs mit einem Mithäftling im Juli 2017 entgegengenommen, die seine Unschuld am Mord des italienischen Fotoreporters Andrea Rocchelli und seines Dolmetscher, des Russen Andrej Mironov im Mai 2014 im Donbass beweist.

Das Gericht des ersten Rechtszugs in Pavia verurteilte den Ukrainer zu 24 Jahren Freiheitsentzug wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Mord des Journalisten. Im Moment scheint die Gerechtigkeit gewonnen zu haben, da das Gericht anordnete, die Aufnahmen, die angeblich die Anerkennung des Ukrainers bezeugen, neu zu übersetzen. Laut der veröffentlichten Variante der Übersetzung sagte Markiw nicht: "Wir haben den Reporter ausgeschaltet". Er sagte: "2014 wurde ein italienischer Reporter ermordet und jetzt will man mir die Schuld geben".

Die Anklage versuchte, den Fall mit einem aus dem Kontext gerissenen Satz "ein Journalist wurde ermordet" zu Fallakten zu nehmen, als Geständnis des Mordes zu interpretieren. Aber das Prüfungsergebnis hat diese manipulative Haltung gebrochen, weil sich der Schlüsselbeweis als Fake herausstellte.

Tatsächlich basiert die Anklage auf russischen Propagandamedien. Nach wie vor werden Kampfhandlungen im Donbass bestritten.

BEWEISE FÜR UNSCHULD DES UKRAINERS IGNORIERT

Die dritte Verhandlung dauerte etwa neun Stunden. Das Gericht nahm eine neue Übersetzung des Gesprächs Markiws entgegen, die seine Unschuld am Tod der Journalisten beweist, und nahm sie zu Fallakten. Wie aus dem Gespräch ersichtlich ist, bekannte sich Vitali Markiw nicht zur Begehung des schweren Verbrechens, sondern im Gegenteil bestritt er vollständig seine Beteiligung daran. Zur gleichen Zeit sprachen  Staatsanwälte und Vertreter der Kläger erneut nicht die Fakten und Beweise, sondern eine Reihe von Propaganda-Klischees und manipulative, keine begründeten Anschuldigungen aus.

Vitalis Mutter, Oksana Maksymtsvhuk, machte deutlich, dass die dritte Verhandlung sehr schwierig war. Es tue ihr weh, dass die Anklage Beweise ignoriere, sogar den Krieg in der Ukraine selbst ablehne.

"Wenn du schreien könntest, würdest du die ganze Zeit vor Dreck schreien. Es wurden sogar so lächerliche Dinge gesagt, dass sogar der Staatsanwalt in Pavia sich weigerte, sie auszusprechen. Insbesondere geht es um Verleumdung, dass Vitali angeblich aus dem Gefängnis fliehen wollte. Dass als er nur verhaftet wurde, solltee er angeblich die Flucht organisieren haben. Die Staatsanwältin hat versucht, ihn zu einem Monster zu machen. Es war sehr schmerzhaft, dies zu hören. Wie kann man so etwas über jemanden sagen, der seine Pflicht getan hat, ohne zu verstehen, was in der Ukraine vor sich geht? Die Menschen geben ihr Leben hin, um ihr Heimatland zu verteidigen... Eines freut mich, dass die Sitzung aufgenommen worden ist und die Menschen mit eigenen Ohren hören können, was für einen Unsinn dort gesagt wurde", empört sich Markiws Mutter.

Sie teilte auch mit, dass sie am Tag nach der Verhandlung ihren Sohn im Gefängnis besuchte.

"Es gab einen Besuch, eine Stunde. Ich habe mir Sorgen gemacht, wie er sich nach der Sitzung fühlt. Aber ich sah ihn in gehobener Stimmung. Er ist wie immer davon überzeugt, dass wir so hart wie er sein müssen, nicht aufzeigen, dass wir es schwernehmen, sondern bis zu Ende gehen und die Wahrheit verteidigen, weil sie hinter uns ist und all diese Lügen können uns nicht niederschlagen. Er hat gesagt: "Ich werde mich nie ihren Lügen und diesem Dreck beugen". Und wissen Sie, mir ist klar geworden, dass nicht wir ihn unterstützen, sondern er uns... Er gibt uns Kraft. Ich habe mich beruhigt, weil ich sehr besorgt um ihn war", sagte Oksana.

Bei der Verhandlung in Mailand war auch die Menschenrechtsbeauftragte der Werchowna Rada, Ludmila Denissowa, anwesend. Sie hat ein Video aufgenommen, in dem sie betont, dass sie nichts Neues von der Anklage gehört habe.

"Die Reden selbst wurden in einer Weise gesprochen, dass man nicht nur Markiw, sondern die Ukraine heute richtete. Und all diese Reden waren nur den Geschworenen zugedacht. Sie waren sehr emotional, sehr falsch, meiner Meinung nach, weil es eine Verzerrung von Daten, Vermutungen, Anschuldigungen, einschließlich betreffs einiger offizieller Vertreter unseres Staates gab. Ich denke, dass Geschworene selbst, wenn sie am 23. Oktober die Verteidigung hören, sich zurechtfinden werden, dass unser Markiw nicht schuldig ist, sondern zum Mörder von Hr.  Rocchelli nur "ernannt" wurde, sagte Denissowa.

GESPRÄCH HINTER GITTERN UND STANDPUNKT DER VERTEIDIGUNG

Die Anklagebehörde versucht, Vitali Markiw für den Tod des Italieners verantwortlich zu machen. Und interessanterweise ist es die Staatsanwältin, die die Untersuchung des Gesprächs des Nationalgardisten mit einem Zellengenossen beantragt hat, aber nur in Bezug auf die aus dem Kontext gerissenen Worte.

"Noch vor der ersten Anhörung bei der Berufung hat die Generalstaatsanwältin von Mailand einen Antrag auf Expertise der Übersetzung des Satzes "Wir haben einen Journalisten ermordet" aus Vitalis Gespräch im Gefängnis im Jahr 2017 angebracht“, betonte Andrij Pylypenko, Advokat der Anwaltsvereinigung „Serhij Kozjakow und Partner“, die zusammen mit der italienischen Anwaltskanzlei Legance Avvocati Associati die Interessen des Staates Ukraine im Fall Markiw verteidigt, in einem Kommentar für Ukrinform. „Dieser Satz war die Grundlage der Anklage vor dem Gericht der ersten Instanz gegen Vitali und wurde immer wieder von der Partei der Anklage angespielt. Die Anwälte des Staates Ukraine reichten dem Richter einen Gegenantrag über die Prüfung der Übersetzung des ganzen Gesprächs ein. Und wie sich später herausstellte, hat Vitali nie seine Beteiligung an der Ermordung eines Journalisten anerkannt wie auch über die Beteiligung der ukrainischen Truppen an diesem tragischen Vorfall nicht gesagt. Und als am 15. Oktober die Ergebnisse des Gutachtens offiziell veröffentlicht wurden, beschloss die Generalstaatsanwältin, die Schlussfolgerungen dieses Gutachtens zu vergessen, das sie initiierte. Dagegen hat sie emotional dem Urteil den schwarzen Peter zugeschoben und wiederholte einfach die Erfindungen aus dem Rechtsspruch des Gerichts in Pavia. Ohne Beweise für Markiws Beteiligung an dem Beschuss der Journalisten übt die Anklage offensichtlich psychologische Auswirkungen auf Verschworene aus, um Markiws Bild als eines brutalen und prinzipienlosen Menschen zu erschaffen, der angeblich das tun konnte, was geschehen war. Und auf solchen Manipulationen und Vermutungen beruht die ganze Anklage. Das Schlimmste ist, dass beim Geschworenengericht in Mailand – Geschworene sind keine Juristen -, alle Spekulationen der Anklage in den Köpfen in ein lebhaftes Bild verwandelt werden".

Die Haltung der Generalstaatsanwaltschaft von Mailand hat den italienischen Anwalt Raffaele Della Valle sehr überrascht und enttäuscht, da die Anklage einfach die Augen vor dem Ergebnis der Prüfung verschlossen hat.

"Ich wundere mich darüber, dass die Staatsanwaltschaft dieses Gutachten angefordert hat, um eine umfassendere Wahrheit herauszufinden, und dann, als sie sah, dass sie zu unseren Gunsten ist, das heißt, Markiws Unschuld bestätigt, schwieg sie. Diese Expertise hat sich in Luft aufgelöst. Wozu man diese Forderungen vor Gericht stellt und dann sich mit keinem einzigen Wort daran erinnert? Das ist seltsam. Markiw hat in diesem Gespräch tatsächlich bestätigt, dass er mit der tragischen Tatsache nichts zu tun hat",  betonte der italienische Anwalt nach den Anhörungen.

Die ukrainischen Anwälte ihrerseits sind der Ansicht, dass weder der Staatsanwalt noch die Verteidigung und schon gar nicht das Gericht emotionalen Gefühlsregungen erliegen sollten. Die Entscheidungen sollten auf den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit beruhen.

"Vor dem Berufungsgericht, wie vor dem Gericht der ersten Instanz sind Geschworene präsent, für die dieses Stück bestimmt ist. Und der zweite Grund ist nach unserer Ansicht, dass die auf radikale Weise falsche erste Übersetzung des Gesprächs Vitali Markiws eine Frage der möglichen strafrechtlichen Verantwortung des Dolmetschers für offensichtlich falsche Übersetzung und die strafrechtliche Verantwortung für den möglichen Druck auf den Dolmetscher von denen, die eine bestimmte Interpretation der Worte von Vitali erhalten wollten, stellt. Vielleicht ist dies der Grund für die Abwesenheit von Erläuterungen seitens der Anklage auf die neue Übersetzung", sagte Anwalt Markiws, Oleksander Tschebanenko, in einem Kommentar für Ukrinform.

Sein Kollege betonte auch, dass die Anklage ohne einen seiner wichtigsten "Beweise" geblieben sei.

"Um ethisch korrekt zu sein, werden wir das Verhalten des Staatsanwalts in einem Prozess nicht beurteilen, aber in Bezug auf seine Verfahrensweise des Strafverfahrens ist es möglich. Der Staatsanwalt gab in diesem Prozess nichts Neues bekannt, sondern wiederholte alles, was der Anklage vor dem Gericht der ersten Instanz gesagt wurde. Die Anklage hat vor dem Gericht keine neuen Umstände bekannt gegeben. Es wurden auch keine eindeutigen Beweise für die Beteiligung Vitalis an der Begehung des Verbrechens vorgelegt. Es tut uns aufrichtig leid, dass anstatt alle Vorwürfe gegen Vitali Markiw zurückzuweisen, setzt die Anklage ihre falsche Praxis fort", betonte der ukrainische Anwalt Markiws, Leonid Topal.

Die Verteidiger erklärten, dass es nur die erste Etappe der Behandlung des Falles in dieser Instanz sei. Die Debatte hat noch nicht begonnen. Bis dahin muss das Gericht noch über die Beweise entscheiden, die die Verteidigungspartei ihm zur Verfügung gestellt hat, d.h. über deren Zugehörigkeit, Zulässigkeit und Angemessenheit.

"Wir sind überzeugt, dass Vitali Markiw nichts mit dem tragischen Tod von Andrea Rocchelli zu tun hat und dass die Verteidigung das Berufungsgericht davon überzeugen wird. Wir hoffen, dass das Gericht bei der nächsten Sitzung am 23. Oktober die Vertreter der Verteidigung anhören wird. Und es wird eine positive Entscheidung treffen, die von der Verteidigung gewährten Aktenstücke, die wir für wichtig für die Feststellung der Wahrheit halten, als Nachweis in das Verfahren einzubeziehen“,  so ukrainische Anwälte.

EMPÖRUNG  ITALIENISCHEN STAATSANWALTS UND  UKRAINISCHER BOTSCHAFT

Emotionen toben nicht nur im Gerichtssaal in Mailand, sondern auch auf Seiten italienischer Publikationen. Während die ukrainische Gemeinde in Italien trotz Regen und Kälte vor das Gerichtsgebäude zieht, um Vitali Markiw zu unterstützen, auf ein faires Verfahren gehofft zu haben, berichtet l 'Espresso die Propaganda des Kremls. Ohne Beweise, nur von Emotionen wie auch die Anklage geleitet, verbreitet die Zeitschrift Fake und Lüge. Was ist nur der Titel "Die Ukraine schießt weiter auf Andenken an Andrea Rocchelli" wert?

Während dieser Zeit, wenn das Berufungsgericht Mailand die Berufung des Falls gegen den ukrainischen Nationalgardisten Vitali Markiw behandelt, glauben wir weiterhin an die Gerechtigkeit des italienischen Staates, die hoffentlich die Gerechtigkeit wiederherstellen und Vitali freilassen wird. Dies geht aus einem Appell der ukrainischen Botschaft an den Chefredakteur der führenden italienischen Zeitung l 'Espresso über die jüngsten Publikationen hervor, die anstatt objektive Berichterstattung über den Verlauf des Prozesses mitzuteilen, die Kreml-Propaganda für italienische Leser verbreiten, steht auf der Facebook-Seite der ukrainischen Botschaft in Italien geschrieben.

Gleichzeitig erscheint in den Medien auch objektive Berichterstattung über Markiw. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt in Genua, Enrico Zucca, macht deutlich, dass die Anschuldigungen gegen den Nationalgardisten nicht überzeugend seien.

Er veröffentlichte ein Material, in dem er die Argumente der Anklage in Frage stellt. Er betont, dass die Empathie, die dem Opfer gilt, die Oberhand nicht gewinnen könne. Und er beharrt auf der Unabhängigkeit des Gerichtsverfahrens, darauf, dass der Angeklagte noch nicht als schuldig gelte und dass unbestreitbare Beweise die Schuld beweisen müssen. Ihm zufolge wählte das Geschworenengericht Pavia den Weg der Vereinfachung, indem es sich weigerte, die Fakten im Zusammenhang mit dem Krieg zu behandeln.

"Im Markiws Fall ist ein vollkommenes Verständnis des Zusammenhanges der Ereignisse in der Ostukraine sowie des Einflusses von Desinformation und Propaganda von entscheidender Bedeutung. Das Urteil ist in seiner Beweisbasis unvollkommen und ist bereits Gegenstand des Interesses der zuständigen europäischen Institutionen geworden. Daher sollte man bei der Berufung alle Widersprüche und Zweifel beseitigen und sich bemühen, um eine solidere Beweisgrundlage für die Anklage zu erhalten", betonte er.

Der italienische Staatsanwalt weist auf die Übernahme der Kontrolle über Donezk und Luhansk durch bewaffnete Formierungen, auf Berichte von internationalen Beobachtern hin. Seinen Worten zufolge wurde der internationale Charakter des Konfliktes nach der Annexion der Krim deutlich. Er sagte auch, dass es keine unbestreitbaren Beweise für die Beteiligung von Vitali Markiw an der Tragödie, sondern nur Hypothesen gebe. Er forderte das Berufungsgericht auf, die Frage, Fakten sorgfältig zu prüfen und alles zu analysieren, was passiert sei. Die nächste Verhandlung vor dem Mailänder Berufungsgericht ist für den 23. Oktober 2020, 9.00 Uhr angesetzt.

Iryna Drabok, Den Haag

Foto: Ukrainische Gemeinde in Italien

nj


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