Roman Suschtschenko, Journalist, der ehemalige Polithäftlinge des Kremls
Will meine Bilder bei einer Versteigerung verkaufen und der gesamte Erlös für Unterstützung der Gefangenen spenden
13.09.2019 13:10

Zwei Tage nachdem er freigelassen wurde, ist Roman Suschtschenko einfach bei der Frührunde in Ukrinform vorbeigekommen. Er blieb nicht lange, vor dem Besuch im Krankenhaus, wo er medizinisch untersucht wird.  

Freude, Lächeln, warme Umarmungen. Wir haben Roman drei Jahre ohne drei Wochen nicht gesehen.

Der Generaldirektor von Ukrinform Oleksandr Chartschenko öffnete eine Flasche Sekt Krim, die am Tag des Journalisten 2017 speziell für das bevorstehende Treffen mit Suschtschenko versteckt wurde. Damals war das der erste Tag des Journalisten in Haft, die 1070 Tage dauerte...

Stellen Sie sich vor, die Anzahl der Fragen, die Kollegen an Roman stellen möchten. Deswegen wurde entschieden, das erste Interview so abzuhalten - jeder stellt eine Frage.

Roman, es ist vielleicht keine Frage, womit ein Interview beginnt, aber trotzdem. Nach so vielen Jahren in russischen Gefängnissen können Sie bitte sagen: was sind Russen heute, wie war ihr Verhältnis zu Ihnen, was ist das System, auf das Sie gestoßen haben?

Wenn es sich um die Menschen handelt, mit denen ich gesprochen, ihre Taten gesehen habe, sind sie unterschiedlich, weil sie unterschiedliche Völker und Nationalitäten mit ihrer Mentalität, ihrer kulturellen Tradition darstellen. Obwohl sich alle als russische Staatsbürger identifizieren. Wenn aber die Rede von den Russen als Nationalität ist, so wird ihre Mentalität je nach ihrem Wohnortt gebildet. Am Anfang dieser Hölle und in "Lefortowo" bin ich einigen Menschen und später in der Kolonie und auf dem Weg dorthin anderen begegnet, eine andere Sprache, andere Akzente.

Es gab verschiedene Menschen, und das Verhältnis zu ihnen war unterschiedlich. Die Russen, mit denen ich in Briefwechsel stand und die mich unterstützten, es ist anders. Ich bin ihnen dankbar für das bürgerliche Engagement  und ihre Unterstützung. Aber die Briefe waren auch unterschiedlich. Und viel war zwischen den Zeilen zu lesen. Jemand war aufrichtig, eröffnete sein Herz, unterstützte, teilte Nachrichten mit. Und jemand "aus dem System" hatte konkrete Aufgaben. Manchmal waren die Fragen in den Briefen offen schnöd.

Im großen und ganzen fühle ich keine Abneigung und keinen Hass gegen alle Russen, aber an sie zu erinnern, ist unangenehm.

In Bezug auf diejenige, die in Uniform sind, ist mein Verhältnis eindeutig negativ. Trotz grober Dinge, denen man begegnen musste, haben sie jedoch nicht so tief gesunken, um physischen Einfluss auszuüben, zu mobben. Um körperliche Folter geht es in meiner Geschichte nicht. Ich habe bei der Etappierung und dann im Lager von den Gefangenen über schreckliche Dinge gehört, in der Presse gelesen, wie die Verwaltung mit ihnen umgeht.

Moralisch und psychologisch ist aber sicherlich der Einfluss, den man erleben musste, Folter. Sie werden so im Strafgesetzbuch der Russischen Föderation eingestuft.

Unter Gefängniswärtern waren übrigens solche, die Verständnis für meine Position haben, manchmal wurden in ihren Augen Respekt, Verständnis, Mitgefühl gelesen... Aber das waren nur wenige.

Es gab viele, die sich "neutral" verhalten haben, wie es in der Dienstordnung geschrieben steht : "Guten Tag, guten Abend", menschlich...

Im Straflager aber war es etwas ganz anderes - sowohl Hohn als auch psychologischer Druck etwa innerhalb von einem oder eineinhalb Monaten, bis der Konsul gekommen war. Der Unterschied zwischen der Untersuchungshaft und einer Kolonie ist spürbar. In einer Kolonie ist Kastengeist zu verzeichnen, ihre so genannten "Konzepte" sind ein bestimmter Verhaltenskodex. Dort sitzen normale zufällige Menschen, und es gibt auch echte Mörder, Drogensüchtige, Diebe, Räuber. Die meisten sagen: wir sind nicht schuldig, so hat es sich ereignet usw. Und mein Verhalten ihnen gegenüber war, wissen Sie, wie in einem Zug: heute in einem Waggon zu fahren, sich kennenzulernen, sich zu unterhalten, und morgen bin ich raus und habe es vergessen. So habe ich mich psychologisch geladen, weil es anders unmöglich war, zu überleben...

Hat es dort Provokationen gegeben?

Ja. Es gab auch heimtückische Dinge. In der Kolonie hat es mehrere Provokationen, Versuche, eine Falle zu stellen, gegeben. Zum Beispiel. Ich war dort in einer Isolierzelle, obwohl ich nach ihren Vorschriften wie üblich an einem sicheren Ort festgehalten werden sollte. Das heißt, es sollte wie gewohnt sein. Aber die Regierung der Kolonie (ich weiß nicht, wovon sie sich geleitet lassen wurde) hat mich in einem Isolationsraum untergebracht, in dem man erstens wegen schwerster Verbrechen sitzt, und zweitens diejenigen sitzen, die sich selbst als Diebe darstellen und weder Gesetze noch Regeln und Behörden anerkennen. Und die Haftbedingungen sind dort sehr streng, die Einschränkungen sind schrecklich.

Ich saß mit einem Nachbarn, der sich mit einem der "Roten" (Gefangene, die für die Verwaltung der Kolonie arbeiten) geeinigt hat, um einen Draht für den selbstgemachten Tauchsieder zu verschaffen. Der Nachbar spazierte in einem anderen Hof und der "Rote" bat mich, diesen Draht zu übergeben. Ich habe zugestimmt, hat ihn in der Kleidung versteckt. Und nach dem Spaziergang holt uns ein Inspektor mit dem Metalldetektor. Ich meine, das war eine bestimmte "Falle"! Ich habe dann verstanden, warum: um meinen Status zu senken, weil ich nicht unter allgemeinen Bedingungen lebe, ohne Einschränkungen unterschiedlicher Art, mich auf das bevorstehende Treffen mit meiner Familie vorbereite. Ich ging als Zweiter, und die Durchsuchung begann mit dem, der vor mir lief. Das hat mir Zeit gelassen, den Draht loszuwerden. Aber man sah an den Augen derjenigen, die mich durchsuchten, sie waren gestimmt, etwas zu finden, dreimal haben sie mich durchsucht...

Und womit würde das Ihnen drohen?

Mit Sanktionen, einer Einzelhaftzelle, anderen Strafen.

Roman, Sie sind in eine Situation geraten, die psychologisch schwer zu ertragen ist. Glauben Sie, dass man Ihnen nur drei Jahre Ihres Lebens gestohlen haben, oder waren diese drei Jahre nicht umsonst und Sie haben etwas für sich entdeckt, einige Merkmale, die Sie vorher nicht erwartet haben?

Offen gesagt, habe ich nicht erwartet, dass ich es ertragen würde. Für einen Mann aus dem humanitären Bereich, um so mehr für einen Journalisten, war es ein verrückter Schock. Als es zu einer Festnahme und weiteren Aktionen und einem stinkenden Sack auf dem Kopf kam... Als man mit Handschellen so gefesselt hat, dass man sich nicht bewegen konnte, die Handsehne gezerrt hatte, als einer am Adamapfel hielt und die anderen durchsuchten, den Kragen des Hemdes befühlten: "Wo haben Sie eine Kapsel mit Gift? Haben Sie Waffe oder nicht? " Ich war schockiert: Gift, Waffe? Ich habe ich noch in ihrem Bus gefragt: Ist das für Abschreckung oder Demütigung? Habe keine Antwort erhalten...

Dann ist mein Leben vor meinen Augen abgelaufen. Außerdem wusste ich, dass der Krieg herrscht, Menschen sterben, ich wusste, wie sie alle behandelt werden, die gefangen genommen sind. Entsprechend habe ich mich eingestellt: jetzt beginnen "Keller", Folter und dann "Geständnis"-Aufnahmen von  Kamera, elektrische Kabel und andere Schrecken... Ich begann zu erkennen, was mich erwartet, und ich wie jeder normale Mensch hatte natürlich Angst. Aber dieser Schock dauerte etwa zwei oder drei Stunden. Als wir in die Ermittlungsbehörde kamen, hat man den Sack entfernt und der Chef nimmt eine Serviette - man hat mit diesem Sack ein Muttermal in meinem Gesicht aufgeschrammt - und tupft mir das Blut auf. Und da beruhigte ich, ich wusste, dass es keine körperliche Folter geben würde, und sie mich wahrscheinlich auf eine andere Mission vorbereiten.

Ich war ein bisschen zu sich gekommen. Die Gespräche begannen und ich habe verstanden, was sie von mir erwarten. Zuerst kam der Ermittler, Major mit einem rasierten Kopf. Er erwies sich als eine mehr oder weniger gebildete Person, führte höflich alle Verfahrensmomente durch. Und dann, zehn Minuten später, kommt der Oberstleutnant rein - graue Augen, Glatze, blondes Haar, das Gesicht farblos, wie man in Büchern schreibt und im Kino filmt, den wird man nicht in Erinnerung behalten. "Guten Abend, sagt er, wir haben hier auf Sie gewartet. Mein Name ist Michael Wladimirowitsch Swinolup, ich bin stellvertretender Leiter der Untersuchungsabteilung. Wir bieten Ihnen eine Zusammenarbeit mit uns an. Werden Sie zusammenarbeiten oder nicht? "

Später kam eine von ihnen ernannte Anwältin und sagte: "Ihnen drohen 20 Jahre Haft nach Ihrem Artikel". Da hatte ich so viel Stress. Und später fragt der Ermittler wieder: "Werden Sie also mit uns zusammenarbeiten oder nicht?". Ich sage: "Ich habe euch gehört, auf Wiedersehen". Danach kamen wir in die temporäre Haftanstalt des Innenministeriums. Um drei Uhr nachts legte er sich hin, schloss die Augen, und um 6 Uhr morgens auf volle ganze Lautstärke: "Ein ewiges Bündnis...!", da erkannte ich: ich habe den schwarzen Peter. Am Morgen kamen wir in das Gericht von Lefortowo und all der Alptraum setzte fort. Der Richter fragt mich und ich verstehe nicht, was passiert. Sie: "Sind Sie einverstanden oder nicht? "Ich: " Ja, Nein "... Die Reaktion war unbewusst. 

Danach wurden wir nach Lefortowo gebracht, unsere Kleidung wurde  vollständig gewechselt. Man hat unsere Sachen zur Entseuchung genommen und wir haben Arbeitsklamotten erhalten. Erst in der zweiten Nacht bin ich zu einer Erkenntnis des Geschehens gekommen. Und in zwei Tagen hat mich der Anwalt Mark Fejgin besucht und wir haben ein Abkommen abgeschlossen. Und ich haben verstanden, das ist der Kampfbeginn.  

Trotzdem, sind diese Jahre Ihrem Leben gestohlen oder war das sozusagen doch eine Erfahrung?

Wenn man sagt, ob sie gestohlen sind, ja, natürlich. Andererseits sind das wertvolle Erfahrungen, die man niemandem wünscht. Ich bin nicht sicher, dass das mir jemals helfen wird. Aber es war eine Probe und es scheint, als hätte ich sie so geschafft, wie ich geplant hatte. Und die Planung begann ich in Einzelhaft. Dann hat sich der Körper im Hinterkopf an all diese Zeichnungen, Bücher, Lektüre festgeklammert. Ich habe auch begonnen, mich ein wenig körperlich zu betätigen. Da war die vollständige Isolation und ich blieb mit meinen Gedanken allein: "Ich bin 47 plus 20... Wow, wie alt wird Maksym (der Sohn von Suschtschenko, der zum Zeitpunkt der Festnahme 9 war - Red.) sein, wenn ich zurück bin. Ich werde ihn nicht aufwachsen sehen". In diesem Zusammenhang ist natürlich die Zeit verloren, all diese drei Jahre.

Roman, ich möchte eine Frage stellen, worauf Sie all diese drei Jahre nicht geantwortet haben: warum sind Sie nach Moskau gefahren? Mit wem haben Sie sich getroffen, als Sie festgenommen worden waren?

Ich bin wegen der Familienangelegenheiten nach Moskau gefahren. Es bestand ein dringender Bedarf an Hilfe für meine Verwandten. Als ein Teil von diesen Problemen gelöst wurde, habe ich mich mit meinem alten Bekannten getroffen. Er ist ein Militärangehöriger, diente in inneren Truppen. Ich kenne ihn  schon viele Jahre. Ich habe mich mit ihm  auf seine Bitte getroffen.

Ist er derjenige, den Mark (Fejgin - Red.) Ihren Paten genannt hat?

Ja.

Sie haben also sein Kind getauft?

Ja. Tatsächlich erinnert diese Geschichte an die Bibelgeschichte mit Kain und Abel über Verrat. Aber ich hatte keine Ahnung, was geschieht. Tatsächlich, wie sich dann herausstellte, war es eine raffinierte, heimtückische und kaltblütige Provokation unter der Leitung der Geheimdienste der Russischen Föderation. Während des Treffens hat er mir eine CD unter dem Vorwand der Familienfotos zugesteckt, die sich bei den Ermittlungen zu einigen geheimen Daten über die Übungen der inneren Truppen und Streitkräfte der Russischen Föderation geworden waren.

Nach der Festnahme bei der Untersuchung war in einer der Aufnahmen zu hören, wie mein Bekannter die Geheimdienstler fragt: "Nun, lohnt sich das ganze Spiel oder nicht?" Und die Antwort war: "Alles super!". Da habe ich verstanden, dass das alles geplant wurde. Ich weiß nicht, warum er das getan hatte und wie seine Motivation war, aber ich vermute, dass er vielleicht "am Haken hing".

Kann man vermuten, dass Ihre antirussischen Publikationen eine Ursache für die "Entwicklung" werden könnten?

Ich schließe das nicht aus.

Der FSB (der russische Inlandsgeheimdienst- Red.) hat außerdem mitgeteilt, dass Sie angeblich Informationen über die Streitkräfte der Russischen Föderation gesammelt hätten...

Das ist eine Version der Untersuchung. Sie zeigten sogar als Beweis einen Teil der Nachrichten für Ukrinform über Frankreich, die es öffentlich auf unserer Website gibt. Das sind offizielle Aussagen von François Hollande, dem französischen Außenministerium, französischen Experten u. dgl.

Also, diese ganze Operation war nicht innerhalb von ein paar Tagen Ihres Aufenthalts in Moskau geplant, sondern schon lange, bevor Sie nach Moskau fahren. Ist das so oder nicht? Und zum zweiten. Offensichtlich müssen Sie diese Frage wiederholt beantworten: hatten Sie die Erkenntnis dessen, dass Russland ein Land ist, mit dem wir im Krieg sind, und ob es trotz aller Probleme notwendig wäre, dorthin zu fahren? ist das wirklich so oder nicht?

Was den ersten Teil der Frage betrifft, war ja auffällig, dass diese Operation mindestens ein Jahr, vielleicht mehr konzipiert und umgesetzt wurde. Ob es möglich wäre zu fahren oder nicht... Das war eine falsche, leichtfüßige Entscheidung. Aber es ist unmöglich, die Zeit zurückzudrehen  Was geschehen ist, ist geschehen. Und natürlich ist das großer Schmerz für meine Familie und die verlorene Zeit. Aber man sollte in die Zukunft schauen!

Ich würde alle ermahnen, die dort (in Russland) Beziehungen haben (oder nicht), über Pro und Contra nachzudenken und abzuwarten, bis sich die Situation ändert und die Vernunft siegt, die Macht, dieses Regime sich ändern werden. Aber das Risiko sollte man nicht eingehen.

Dann noch über die Zukunft. Offensichtlich scheinen Sie sich selbst nach diesen Jahren nicht mehr derselbe zu sein. Und angesichts dessen sind das durchaus spezielle Erfahrungen: Werden Sie sie irgendwie verwenden? Wird das vielleicht eine Art Beteiligung an Menschenrechtsaktivitäten in Bezug auf Gefangene sein, die noch sitzen? Vielleicht Veröffentlichungen zum Thema Gefangene? Oder vielleicht öffentliche Tätigkeit? Oder politische?

Ich verstehe Ihren Appetit dazu. Aber ich habe mich noch nicht genau entschieden. Das Wichtigste ist jetzt, alle Fragen betreffs medizinischer Untersuchungen zu regeln, behandelt zu werden, Glühbirnen zu Hause zu wechseln, ein wenig irgendwo dort Nägel einzuschlagen, Alltagsdinge...  Und was weiter kommt, sehen wir dann. Natürlich plane ich, wieder in die Agentur (Ukrinform - Red.) zurückzukehren. Es gibt Pläne, diese Erfahrungen in schriftlichen und Videoformaten zu teilen. Selbst einige Museumsstücke, Gegenstände mit dem gewissen Etwas an Kyjiwer Museen zu übergeben. Ich werde diese Informationen gerne teilen.

Es gibt eine Idee, wie man einen Fonds zur Unterstützung von Familien politischer Gefangener gründen kann.

Und dort sitzen knapp 100 Menschen. Man muss sie freilassen. Ich bis also offen und bereit, mein erzwungenen Erfahrungen zu teilen. Ich habe meine Vision, die eines Gefangenen. Und wie man auf höheren Ebenen agiert, ist nicht mehr meine Kompetenz. Aber wenn es Fragen gibt, werde ich gerne Informationen teilen.

Was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft, habe ich diese Absichten. Es gibt die Idee, einen Fonds zur Unterstützung von Familien politischer Gefangener ins Leben zu rufen. Einige Support-Systeme sind bereits aufgebaut. Als wir mit anderen Schicksalsgefährten mit dem Bus gefahren sind, haben wir miteinander gesprochen. Alle saßen in verschiedenen Kolonien, es hat Besonderheiten gegeben, aber alle sagten, man habe uns unterstützt. Jemand hat Lebensmittel übergeben, jemand hat geschrieben, jemand hat einfach besucht und mitgeteilt, dass man euch nicht vergessen hat, man spreche über euch, mache sich Sorgen euretwegen und drücke euch die Daumen. Aber es gibt andere Menschen, auf die keine große Aufmerksamkeit gelenkt wird. Jeder hat seinen eigenen Fall. Deshalb denke ich, man muss sich darauf konzentrieren. Nun eine der Varianten. Ich habe bereits zuvor in einem Interview für unsere Heimatagentur gesagt, man kann zum Beispiel, meine Werke versteigern und gesammelte Beiträge auf das Konto einer Organisation überweisen, die sich mit Problemen von Gefangenen und Politikhäftlingen beschäftigen wird. Ich habe ein paar Ideen und hoffe sehr darauf, dass wir mit Ihrer Hilfe auch versuchen werden, dieses Projekt umzusetzen.

Was die politische Zukunft angeht... Daran habe ich nicht gedacht, weil es so eine durchaus komplizierte Sache ist...

Sie haben gesagt, während Sie über Ihre Festnahme mitteilten, dass Sie verstanden haben, das sei der Beginn der Hölle. Wie sieht es heute aus, aus der Hölle zurückzukehren? Wie sind diese ein paar Tage, als Sie auf freien Fuß gesetzt wurden? Haben Sie sich bereits mit der Mutter getroffen?   

In Wirklichkeit bin noch gar nicht richtig bewusst, was passiert ist. Aus Gewohnheit stehe ich um 5:00 Uhr auf, wie in der Untersuchungshaft, wie in Utrobino. Mein  Körperhaushalt und biologische Uhr funktionieren wie dort, Magensaft wird zur selben Zeit produziert. Um 9:00 Uhr kann ich  meine Augen nicht offen halten. Ich habe mir ein Handy bei meinen Verwandten geschafft und versucht, daran zu erinnern, wie man einen SMS errichten kann, da ich binnen drei Jahre kein Gadget in der Hand gehalten habe, nur einen Mobilteil, der tyts-tyts funktioniert.

Offen gesagt, habe ich versucht, zu lächeln, zu umarmen. Ich fühle aber, dass es nicht aufrichtig ist, dass es eine Müdigkeit gibt, als ob man auf der Arbeit extrem erschöpft ist. Du triffst sich mit Menschen, Bekannten, erinnerst dich an ihre Namen, aber bist melancholisch, fühlst innere Leere, die einstweilen nicht gefüllt ist.   

Es ist klar, dass es Pläne gibt - mit dem Sohn, mit der Tochter, mit der Familie zu unterhalten. Ich habe meine Mutter sofort angerufen, als ich angekommen war. Die Reaktion war aber anders wie bei allen, die Reaktion war schrecklich! Ich weiß, dass es vor einer Woche schon einige Berichte gab (über die Rückkehr der Polithäftling des Kreml in die Ukraine - Red.). Man sagte : "Die fliegen schon!". Und ein Mensch im hohen Alter hat sich schon eingestellt und all das ist plötzlich abgebrochen... Und dann ist plötzlich eine weitere Wiederholung. Da ist so ein Stress... Ich sage : "Mama, ich bin wieder da, gewöhn dich allmählich an diesen Gedanken, ich rufe in ein paar Stunden an". Gut, dass der älteste Enkel in der Nähe war. Nach ein paar Stunden habe ich Mama wieder angerufen und sie hat sich schon etwas beruhigt und wir haben uns mehr oder weniger unterhalten.

Roman, Sie haben ohne Zweifel jeden Tag, den Sie hinter Gittern verbracht hatten, gezählt. Sagen Sie bitte, welcher war der schwierigste?

Ja, das sind 1070 Tage. Es gab einige schwierige. Natürlich, war das der erste Tag und dieser wahnsinnige Stress. Als ich verstanden habe, es ist alles, es ist soweit. Und ich hatte Angst, da meine Schmerzgrenze nicht hoch liegt, deshalb war die Angst so groß, dass ich nicht aushalte, wenn physische Gewalt angewendet wird.     

Dann unter Quarantäne war es schon etwas leichter. Man hat mir sogar ein Buch gegeben. Und dann, am Vorabend des Wochenendes haben mich das Mitglied der ONK (Öffentliche Aufsichtskommission - Red.) Soja Lichtmann, am nächsten Tag Elena Maisjuk aus "Nowaja Gaseta" besucht. Ich habe mich auch mit Mark Fejgin getroffen und kennengelernt und verstanden, dass ich mit dem Teufel nicht allein geblieben war.

Der zweite schwere Tag war es, als in Lefortowo Selbstmord stattfand. Gemäß dem "Drogenartikel" saß ein Gefangene gerade gegenüber meiner Zelle in Isolationshaft. Und am Abend war der Schalter unserer Zelle für Abendessen geöffnet und wir hörten ein Quieken: der Mann hat sich erhängt. Und am meisten hat mich nicht die Tatsache des Todes getroffen, sondern die Tatsache, dass seine Leiche mit demselben Wagen gebracht wurde, mit denen uns das Essen verteilt wurde.

...Und der dritte Fall ist die Verlegung (in den Straflager) mit dem Waggon "Stolypin", zusammengepfercht, wie die Heringe in der Büchse, 28 Stunden lang, und Kirowskyj Zentral (Untersuchungshaftgefängniss - Red.).

Verstehen Sie, zwei Jahre war ich tatsächlich isoliert, es  gab  nur sehr wenig Kommunikation - nur mein Anwalt, der Konsul und der Zellennachbar. Und nun gerate ich in den Waggon "Stolypin". Man verlegt mich aus "Matrosskaja tischina" (Matrosenruhe) und aus einer anderen Isolierhaft "Medwedkowo" - 13 harte Burschen, für manche von ihnen ist das kein erstens Absitzen. Als ich diesen Himmel und Menschen sah, habe ich verstanden, dass sie keine vergnügte Gesellschaft sind. In Erwartung irdenwelcher "Aktivitäten" habe ich praktisch innerhalb von 28 Stunden nicht geschlafen.

Und dann sind alle Gefangenen aus dem Waggon ausgestiegen. Man hat uns mit Handschellen aneinander gefesselt, ringsum Wachposten, Hunde, grobe Kommandos (seitens der Aufpasser - Red.). Jeder Gehangene hat 2 bis3 Koffer. Und dazu Eis da, alles gefroren, man konnte hinfallen. Man hat uns in einer Reihe aufgestellt und in den Gefangenentransporter einsteigen gelassen. Bevor wurden aber Gefangene aus einem anderen Stolypin-Waggon ausgestiegen gelassen. Das waren sogenannte "Polosatiki", also Gefangene, die viele verschiedene Straftaten hinter sich hatten, sie waren unter verschärften Bedingungen. Man hat sie konkret erpresst, geschrien, geschimpft, als wären sie keine Menschen, so war das Verhalten. Und all das war vor unseren Augen verlaufen, so ein psychologischer Druck. Aber am meisten erstaunte mich, wie sie aussahen, diese Menschen. Man kann sie nicht einmal als Lebewesen bezeichnen - blass, Schrecken schoss ihnen in die Augen, dass ich gefühlt habe: unter welchen Bedingungen sie waren, ohne zu wissen, was sie begangen haben.

Das waren so drei Fälle. Und dann, wenn man schon gewöhnt und weiß, was in anderen Lagern zu erwarten ist, war es ein bisschen leichter.    

Was denken Sie, was hat Ihnen geholfen, all diese Prüfungen zu bestehen, was hat Ihnen Kraft gegeben?

Als es mir klar wurde, dass einige der schlimmsten Erwartungen nicht erfüllt wurden, begann ich, die Situation mit Ironie wahrzunehmen. Derartige Haltung in Bezug auf alles, was passiert ist, hat mich gerettet. Noch Zeichnen - als psychologische Entspannung und psychologische Entlastung, es hat auch gerettet.

Zudem wurde in der Kolonie psychologisch getestet. Sie haben da ein paar Methoden, ein paar Lüscher-Tests, andere, mehr als tausend Fragen, um Aggressivität, Suizidneigung zu identifizieren. Ich haben Antworte geschrieben, angekreuzt. Da gab es solche Fragen: "Können Sie ein Huhn schlachten?". Und dann, in 20 Fragen: "Können Sie ein Lamm schlachten?". Und als ich in 4 Monaten das Gutachten erhalten hatte, dachte ich: "Was mache ich hier? Ich muss mindestens zur Kosmonauten-Abteilung". Das heißt, psychologische Abweichungen wurden nicht gefunden, und ich glaube, dass eben meine Humor-Haltung bezüglich mancher komplizierten Situationen mich gerettet hat.

Sie haben Zeichnungen erwähnt. Die ganze Welt hat in dieser traurigen Zeit Ihre unglaublichen Zeichnungen gesehen, Sie als Künstler entdeckt. War das nur eine Art Therapie? Oder werden wir doch Roman Suschtschenko auch als Künstler sehen und Sie werden weiter schaffen?

Vielleicht hätte ich mich früher geöffnet, aber die journalistische Tätigkeit ist so, dass es tatsächlich keine Zeit gegeben hat. Außerdem bin ich ziemlich kritisch gegenüber meinen Arbeiten, beanspruche in der Malerei keine Höhen. Was die Pläne angeht, kommt es immer wieder auf die Zeit und Inspiration an.

Ich habe mich sogar vom Briefwechsel inspirieren lassen, habe mir daraus Energie verschafft. Schreibt jemand etwas Interessantes, hat man geantwortet - und das hat mich in beschwingter Stimmung versetzen lassen. Und ich wollte so malen! Außerdem habe ich dort einige russische Zeitungen abonniert. Speziell. Die einen waren propagandistisch, die anderen mehr oder weniger ausgewogen, mit Fotos, Zeichnungen, mit Werbung. Und da die reale Welt durch vier Wände beschränkt war und man aus der Fantasie nicht alles kriegen konnte, habe ich das genutzt, was später auf dem Papier in Tinte und anhand natürlicher improvisierter Farbstoffe gezeichnet wurde.

Als Farben haben Sie Zwiebelschalen und Ketchu benutzt. Was haben Sie noch benutzt, um diese Bilder zu malen?

Es gab Experimente. Am Anfang waren es schwarze und blaue Kugelschreiber, ein Bleistift. Gummi war verboten, deshalb musste ich ein Stück Gummisohle abschneiden und erfolgreich genug nutzen. Das Papier war nicht dicht, gewöhnliches, so dass es unmöglich war, etwas Großartiges zu zeichnen. Ich machte, was ich konnte. Die ersten Zeichnungen waren zweifarbig und dann erinnerte ich mich: erstens trinkt man Tee - eine Farbe, zweitens erinnerte ich mich an Omas Ostereier, wie sie mit Zwiebelschalen gefärbt wurden, es gab sie, deshalb habe ich beschlossen, auch sie anzuwenden. Es gab Pillen, die gelb waren, Furacilin, glaube ich. Entsprechend gab es bereits mehrere Farben: Blau, Schwarz, Gelb in mehreren Färbungen und Weiß, durch Papier. Später experimentierte ich mit Karotten, aber die Farbe war instabil, sie färbte ab. Habe auch mit Rübensaft probiert, er ist gesättigt. Das bezieht sich aber auf die Zeit vor der Kolonie. Der Konsul hat mir dorthin das Pastell gebrach und dann Mark, der Anwalt, das Aquarell. Und das war schon eine Entdeckung! Andererseits ein bisschen ein anderer Stil. Das war also alles in Form eines Experiments und irgendwie intuitiv ging ich dazu, obwohl ich Farben nach alten Rezepten nicht kenne...

Das Ergebis ist sehr gut, wir sind Ihnen dankbar und wünschen Ihnen Inspiration in Ihren nächsten Bildern!..

Ukrinform

Foto: Julia Owsjannikowa, Ukrinform

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