Endet „ATO“? Wird jetzt ein „Krieg“ oder ein „bewaffneter Konflikt“?

Endet „ATO“? Wird jetzt ein „Krieg“ oder ein „bewaffneter Konflikt“?

Ukrinform Nachrichten
Turtschynow schlägt vor, neues Format der Verteidigung des Landes vor Aggression Russlands zu suchen. Das aktuelle hilft nicht.

Am 13. Juni hat der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine (RNBO), Oleksandr Turtschynow, erklärt, dass die Ukraine die Antiterror-Operation (ATO) beenden und zu einem neuen Format der Verteidigung des Landes vor dem Hybrid-Krieg, den die Russische Föderation gegen uns führt, übergehen soll. Zitat: „Die Kämpfe im Osten unseres Landes dauern bereits seit drei Jahren an und haben sowohl nach der Dauer als auch nach der Größe das ATO-Format übertroffen… Es ist die Zeit, zu einem neuen Format der Verteidigung des Landes zu übergehen“. Die Frage ist: welche Änderungen genau meint der RNBO-Sekretär? Und sind sie mit der Vorbereitung des Gesetzentwurfs „Über die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität in den vorübergehend besetzten Gebieten von Donezk und Luhansk“ verbunden, über welchen der Präsident Petro Poroschenko gesprochen hat? Ihre Meinungen für Ukrinform sagten:

Oleksandr Bryginezj, Mitglied des ukrainischen Parlaments in der Fraktion „Block von Petro Poroschenko“, Mitglied des Ausschusses für Nationale Sicherheit und Verteidigung:

Im Allgemeinen verstehen alle, dass das Minsker Format und die Situation mit ATO in eine bestimmte Sackgasse geraten sind. Das Konzept von Petro Poroschenko über die friedliche Beilegung des Konflikts war ausschließlich darauf konzentriert, dass Russland es einhalten wird, weil der Kreml wiederholt betont hatte, dass er solchen Weg unterstützt. Allerdings ist es schon offensichtlich, dass das nicht stimmt. Und die Erklärung von Oleksandr Turtschynow ist in einem gewissen Maße Plan b mit der nächsten Liste von Handlungen im Falle einer groß angelegten Invasion Russlands. Meiner Meinung nach ist es zu früh, über die Ausrufung des Kriegszustandes zu reden, denn es ist eine sehr harte Option, zu der die ukrainische Gesellschaft, trotz der theoretischen Erklärungen, praktisch nicht bereit ist. Am wahrscheinlichsten wird eine andere Option in Betracht gezogen werden, zum Beispiel die Anerkennung der Existenz eines lokalen militärischen Konflikts. Ich glaube, dass dafür bereits das entsprechende Gesetz oder sogar eine Reihe von Gesetzen vorbereitet werden. Ich vermute, dass dort die Erklärungen der Vorgehensweise während der Hybridgefahren verankert werden. Weil der Begriff „groß angelegter Hybridkrieg mit Elementen des lokalen bewaffneten Konflikt“ nicht in die Gesetze der Ukraine „Über das gesetzliche Regime des Kriegsstandes“ und „Über vorläufige Maßnahmen während der Durchführung der Antiterror-Operation“ hineinpasst.

Ob das Parlament für das erwähnte Gesetz bis zur Sommerpause abstimmen wird? Wenn es ein kleines Präzisierungsgesetz ist, dann kann man es natürlich vor der Sommerpause verabschieden. Aber wenn es ein großes Gesetz ist, und es schon geschrieben ist, woran ich nicht besonders glaube, dann kann es in erster Lesung jetzt und in der zweiten Lesung im Herbst verabschiedet werden.

Jurij Radkowez, Vize-Präsident des Unabhängigen analytischen Zentrums für geopolitische Studien „Borysfen Intel“, Kandidat der Militärwissenschaften, Generalleutnant in Reserve:

Ich denke, mit dem neuen Format ist die Ausrufung des Kriegszustandes gemeint (gesetzlich ist das erlaubt), aber nicht im ganzen Lande, weil es nicht sinnvoll ist, sondern nur in den besetzten Gebieten. Allerdings muss dafür die gesetzgebende Definition stimmen, dass Teil der Gebiete Donezk und Luhansk besetzt ist. Darüber hinaus glaube ich, dass auch Änderungen in der Terminologie passieren werden. Wir werden nicht mehr ATO sagen, sondern die Dinge beim rechten Namen nennen: militärische Aggression, Kriegshandlungen, etc.. Ich denke, das wird die Möglichkeiten für die Führung mit allen Sicherheitskräften vom Oberstem Befehlshaber, für die Koordination unter ihnen ausweiten. Sogar noch mehr, wenn die Oberste Führung des Staates den Krieg bei seinem Namen Krieg nennen wird, dann werden zweifellos die Parlamentarische Versammlung des Europarates (Pace) und viele andere internationale Institutionen Russland auch als Aggressor anerkennen.

Die Erklärung des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine ist richtig. Ich hoffe nur, dass all dies nicht nur leere Worte bleiben. Wenn ich mit ausländischen Experten spreche, fragen sie mich oft: Wie kann man die Antiterror-Operation drei Jahre lang durchführen und nicht vom Fleck kommen? Für sie ist wichtig, konkrete Vorschläge zu hören, sie verstehen nicht, sollen sie uns tödliche Waffen geben oder diplomatisch und politisch helfen? Uns muss endlich bewusst sein, dass es nur in unserem eigenen Interesse liegt, weil weder die USA noch Europa für die Ukraine, oder mehr noch anstelle der Ukraine, kämpfen werden.

Jurij Butusow, Chefredakteur der Internetseite censor.net.ua:

Meiner Meinung nach ist das Wesentliche, aus allem, was Oleksandr Turtschynow gesagt hat, ist, dass jetzt endlich die Frage über die Erstellung einer einheitlichen Führungsstruktur der ATO aufgerollt ist. Das heißt, es muss eine klare Führungsvertikale geben, die vor Ort arbeitet, nämlich dort, wo die Menschen Befugnisse haben, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Das ist sehr wichtig, weil man die Anzahl der Zwischenglieder in der Führung reduzieren und die Schnelligkeit der Annahme der Entscheidungen erhöhen und dadurch die Reaktionszeit auf die Ereignisse kürzen muss. Es ist absolut natürlich, eine vernünftige Entscheidung, die die Ukraine strategisch braucht, weil sie erlaubt, das Modell des Regierens mit dem Land im Falle einer Invasion Russlands auf den letzten Stand zu bringen.

In Bezug auf die Änderung des ATO-Formats muss man, denke ich, in besetzten Gebieten den Kriegszustand ausrufen. Jetzt steht an der vordersten Linie die Arme mit allen Arten von Waffen, was nicht ganz der ukrainischen Gesetzgebung entspricht. Die Streitkräfte können doch nur bestimmte Handlungen gewährleisten und die Hauptaufgaben müssen der Sicherheitsdienst und das Innenministerium der Ukraine ausführen. Bei uns ist alles, wie immer, umgekehrt.

Oleksandr Kotschetkow, Politikwissenschaftler:

Erstens ist es ganz klar, der Begriff „ATO“ stimmt nicht mit dem, was im Donbass geschieht. Wir handelten im Format des uns aufgezwungenen Hybrid-Kriegs, wo die Dinge nicht beim rechten Namen genannt werden. Auch waren wir gezwungen, unter anderem unter äußerem Druck den Krieg ATO nennen, und wir sehen, dass dieses Format absolut ausgeschöpft ist, genauso wie das Minsker Format. Diese Situation stabilisiert praktisch die Unbestimmtheit im Donbass - weder Frieden noch Krieg. Wozu ruft eigentlich Oleksandr Turtschynow auf? Er will die juristischen und politischen Definitionen zu dem, was in Wirklichkeit passiert, näher bringen… Ich glaube nicht, dass Turtschynow, als intelligenter und gebildeter Mensch, die Option der Ausrufung des Kriegsstandes oder Krieges mit Russland absolut ausschließt, obwohl er auch versteht, wie wir zu einem groß angelegten Krieg nicht bereit sind. Schließlich sind es die Befugnisse der Werchowna Rada, des Präsidenten, aber nicht des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Dennoch ist die Ausrufung des Kriegsstandes in bestimmten Gebieten Donezk und Luhansk absolut möglich, aber nur da, wo reale Kämpfe geführt werden, was erlaubt, den Einsatz der Streitkräfte der Ukraine zu legitimieren. Ich denke, dass dies das Land auf bestimmte Art und Weise mobilisieren und die Spaltung der Ukraine mit Russland vertiefen wird.

Myroslaw Lyskowitsch, Kiew

yv


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