Naftogaz-Chef Andrij Koboljew
Mit seiner Zustimmung für Nord Stream 2 muss Europa zur Einstellung der Gaslieferungen bereit sein
14.03.2018 16:26

Am 12. März wurde vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments die ukrainische Sicht und Einschätzung der Taktik der russischen Gaskriege, schon den dritten (nach 2006 und 2009), den Russland entfesselte, vorgestellt. Nach Straßburg ist der Vorstandsvorsitzende des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Andrij Koboljew gekommen, um den Europaabgeordneten über die Gefahren der Pipeline Nord Stream 2 zu erzählen und die Erfahrung der Ukraine im Kampf gegen die russische Gas-Erpressung zu teilen.

Im exklusiven Interview für die Nachrichtenagentur Ukrinform erzählte Andrij Koboljew über russische Dumpingpreise für Gaslieferungen nach Europa, warum braucht die EU die ukrainische Erfahrung mit Russland im Gasbereich und welche Gefahren kann in der Zukunft eine oberflächliche Haltung zu diesem Problem bergen.

Gaskrisen 2006 und 2009 wurden in Europa nicht ausführlich analysiert

Andrij Wolodymyrowytsch, welchen Zweck hat Ihr Besuch ins Europaparlament? Welche wichtigsten Messages haben Sie für Europaabgeordnete vorbereitet?

Wir haben über eine künstliche Gaskrise gesprochen, die Gazprom Anfang März dieses Jahres auszulösen versuchte. Das war vor etwa 12 Tagen. Wir haben dem Europaparlament vorgeschlagen, dass es seine Einschätzung der Lage abgibt. Ob dafür eine Gruppe oder eine Kommission eingerichtet wird, das hängt von der Geschäftsordnung des Parlaments ab. Das Hauptproblem der Gaskrisen 2006 und 2009 besteht darin, dass Europa, das von beiden Krisen betroffen wurde, versäumt hatte, das, was wirklich passiert war, einzuschätzen. Und das ist ein großes Problem in den Beziehungen zwischen uns und Gazprom, zwischen Europa und Gazprom, weil die Russen sich gegen Regeln des Marktes verhalten und verstoßen, gegen Verträge und Gesetze verstoßen, Gerichtsurteile missachten und niemand black black, white white nennt. Niemand in Europa sagt ihnen; „Sehen Sie, sehr geehrte Damen und Herren, sie haben Bedingungen des Vertrags nicht erfüllt. You failed“. Es ist sehr wichtig, das zu sagen, denn ohne es ist es sehr schwer, ihre Handlungen überhaupt einzuschätzen und es ist zum Beispiel sehr schwierig darüber zu sprechen, ob Europa Nord Stream 2 braucht. Ist das ein kommerzielles Projekt oder es ist nicht kommerziell. Aus dieser Sicht sind Geschichtskenntnisse und richtige Beurteilungen der geschichtlichen Ereignisse sehr wichtig.

Das Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts ist schon eine Art der Einschätzung, die Anerkennung dessen, dass black black ist?

Die Tatsache ist, dass durch das Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts bestimmte Beziehungen in der Vergangenheit abgedeckt sind, die wenig die Europäische Union, sondern die Beziehungen Ukraine-Russland oder Naftogaz-Gazprom betreffen. Die Gaskrise in diesem Jahr betrifft direkt Interesse der Europäischen Union. Wenn die Krise weiter eskalieren würde, hätten wir dieselbe Unterbrechung des Gastransits wie 2009. So ist es. Ich wiederhole, das Schiedsgericht in Stockholm sagte, dass black black ist und white white ist, aber sie machten das bezüglich der Beziehungen zwischen Gazprom und Naftogaz, also, von verschiedenen Aspekten einer Frage.

Forschungen über vergangene Gaskriege werden dem Europaparlament erlauben, Grundlagen für künftige Diskussionen zu schaffen

Wie muss sich die Ukraine Ihrer Meinung nach gegen den Bau von Nord Stream 2 wehren. Welche andere Behörden könnten effektiver im Kampf mit Nord Stream 2 sein?

In der Tat beteiligen sich viele an dieser Diskussion, ich würde diesen Prozess so nennen. Wie Sie wissen, wendete sich vor kurzem das ukrainische Parlament an Parlamente anderer Länder, es gibt ein gemeinsames Schreiben, dem sich schon die Parlamente von fünf Ländern angeschlossen hatten, angeregt wurde dieses Schreiben, soweit ich mich erinnere, von den Parlamenten der Ukraine und Moldawien, viele Parlamentarier reden darüber. Ich weiß, dass „Die Volksfront“ (die Partei Narodnyj Front – Red.) bald gewisse Maßnahmen bezüglich von Nord Stream 2 plant. Sie haben schon einige öffentliche Erklärungen abgegeben, deswegen sprechen viele darüber mit Europäern, aber ist schwer, solche Gespräch zu führen, ohne den Business-Begriff fact-based evidence zu verwenden. Wir schlagen jetzt dem Europäischen Parlament folgendes vor: Diese Situation zu untersuchen, zu verstehen und fact-based evidence zu schaffen, was passiert war, wer und wie sich verhielt. Das ist sehr wichtig für die zukünftigen Diskussionen.

Gab es Schlussfolgerungen daraus, was passiert war und wer und wie sich 2006 und 2009 verhielt?

Es gab leider keine Schlussfolgerungen oder sie waren entweder neutral oder ambivalent. Die Europäische Kommission teilte nach den Ereignissen im März dieses Jahres mit, dass sie alle Parteien aufruft, dem Beschluss des Stockholmer Schiedsgerichts nachzukommen. Das alles ist gut, das bedeutet aber dasselbe, dass man eine Schlägerei zwischen zwei Menschen in der Schule sieht, und der Dritte steht und sagt, dass diese zwei sich an die Regeln halten sollen, und die begannen schon mit der Schlägerei. Gespräche und die Einhaltung der Regeln sind wichtig, man muss aber auch bestimmen, wer die Schuld daran trägt, wer das begann und wer diesen Konflikt anregte.

Russland arbeitet ununterbrochen an der Spaltung der EU und Europa weiß darüber Bescheid

Welche Haltung nehmen westliche Partner in dieser Frage ein? Wie reagiert man auf die aktuelle Situation? Welche Interessen haben sie?

Gazprom und Russland haben in die Köpfe vieler Politiker in Europa Gedanken gesetzt, dass sie ein vorteilhafter und bequemer Kontrahent sind.

Alle haben ihre eigenen Interessen. Das ist immer so. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass Gazprom und Russland in die Köpfe vieler Politiker in Europa Gedanken gesetzt haben, dass sie ein vorteilhafter und bequemer Kontrahent sind. Viele in Europa verdienen damit. Man muss darüber nicht vergessen. Es gibt viele Leute, die pragmatisch daran interessiert sind, mit Russland weiter zusammenzuarbeiten und entsprechend beide Augen angesichts der Ereignisse, die diesem Ruf des kommerziellen Partners schädigen, zuzudrücken.

Alle wollen leben, alle wollen verdienen, es gibt deswegen eine gewisse Gruppe von Leuten, die bestimmt Gazpron unterstützen und sagen wird, dass alles okay ist, dass es nicht ihre Frage ist, dass es die Frage der Ukraine ist. Ein anderer Teil der Politiker in Europa, die wirklich bereit sind, das zu betrachten, die bereits die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen haben, von diesem Brexit, als es die Einmischung der Russischen Föderation gab. Sie haben auch die Schlussfolgerungen aus aus anderen Elementen des Hybridkrieges in Europa gezogen, sie verstehen, dass die Augen angesichts dieser Handlungen Russlands zudrücken, bedeutet, den Russen die Möglichkeit zu geben, die Spaltung in der EU voranzutreiben, mit der sie sich Tag und Nacht beschäftigen.

Soll also ein gleichzeitig strategischer, geopolitischer, globaler Aspekt das Geschäft bezwingen?

Ich würde lieber sagen, dass es ein Sicherheitsaspekt ist. Es gibt eine interessante Diskussion, sie fand in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Houston statt. Ein Vertreter von Nord Stream 2 sagt: „Sie verstehen, wenn das Gas über Nord Stream 2 geliefert wird, wird Russland immer einen besseren Preis geben, als LNG“. Ob immer oder nicht, das ist umstritten. Hier steckt jedoch eine Menge Wahrheit, und die Europäer müssen de-facto wählen, entweder etwas teurere Komponente des Gasimports in die EU haben, das ist das LNG-Gas (und wir reden über das LNG auf dem Weltmarkt) oder bereit zu sein, auf die in der Ukraine im März dieses Jahres geschehenen Ereignisse, wenn Russland plötzlich entschied, das Gas abzuschalten. Wir waren in der Ukraine dazu bereit, wir haben uns schnell umorientiert, wir haben einen gewissen Aktionsplan umgesetzt, und alles ist gut. Hätten sie das gegen die EU getan, könnte sie auch nach einem Monat nicht umorientieren. Sie würde ein reales Defizit und eine reale Gaskrise haben.

Ob es sich lohnt, einen normalen Marktpreis zu zahlen, um die Diversifizierung zu haben, oder man will um eine Kopeke billiger bekommen, und es ist immer um eine Kopeke billiger, gerade, weil es dort die Komponente der strategischen Gefahr gibt, wie wir das russische Gas nennen. Auf das Risiko einer möglichen Gasabschaltung eingehen, ist keine Frage der Philosophie sondern der Sicherheit. Für mich ist die Antwort offensichtlich, man muss die Variante wählen, wenn du in Sicherheit bist und eine Alternative hast. Wir, die Ukraine, haben daran so viel gelitten, dass wir genau wissen, wie es funktioniert. Die Europäer haben das am eigenen Leib nicht vollständig gespürt. Und wir wollen ihnen darüber vorher erzählen, was passiert, wenn diese Frage ignoriert wird.

Nach dem Bau von Nord Stream wird Russland den Gaspreis erhöhen

Sie sagen, „um eine Kopeke billiger“, wer reguliert diesen Preis?

Niemand reguliert diesen Preis. Gazprom dominiert auf dem Gasmarkt Europas und missbraucht diese Stellung. Eine der Komponenten des Missbrauchs besteht darin, dass Gazprom ein Teil des Gasmarktes in Osteuropa de-facto kontrolliert (dazu gibt es eine Kartelluntersuchung der EU, die schon fast zehn Jahre dauert und sein Ende ist nicht in Sicht) und den Zugang für andere Gaslieferanten zu diesem Markt verwehrt. Es gibt viele Wege, das zu tun, doch wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft sind, was machen sie: Sie verlangen Dumpingpreise, und liefern Gas um eine Kopeke billiger, als die andere Quelle, um diesen Markt nicht zu verlieren.

Was wird sich nach dem Bau von Nord Stream 2 ändern? Wie wird der Preis sein?

Nach dem Bau von Nord Stream 2 wird Gazprom mehr Möglichkeiten bekommen, diese Strategie einzusetzen. Wenn sich andere Gaslieferanten von Europa abwenden und verstehen werden, dass es sinnlos ist, in diesen Markt einzusteigen, weil dort Gazprom jederzeit zum kurzfristigen Dumping bereit, wird das russische Monopolunternehmen verstehen, dass es diesen Markt für andere Lieferanten versperrte. Dann wird Gazprom seine andere Taktik anwenden. Sie werden einfach den Preis erhöhen.

Olga Budnyk, Straßburg

Foto Ukrinform

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